Todeskeime als Tagesmenü

Aus der Rubrik „Unbekannt verzogen – das Elterntagebuch“:

Kinder sind ständig krank – und sie machen krank. Wie kann man da­rüber reden, ohne gemein zu klingen? Versuchen wir es mal: Das Problemfeld von Kindern und Krankheitserregern lässt sich am besten mit einer Parallele zu Drogenhandel und -konsum erklären. Völlig daneben? Warten Sie mal ab.

Zunächst einmal ist bei Drogen die Beschaffung das zentrale Thema. Man muss die richtigen Leute kennen und die richtigen Orte. Und was beim Drogenkauf die dunkle Tiefgarage oder die Seitengasse im Vergnügungsviertel ist, sind bei Kindern und Krankheitserregern Krippe, KiTa und Grundschule. Hier wird immer der „heißeste Scheiß“ gehandelt, die „Sachen, die richtig knallen“. Von der neuesten Grippevariante bis zum exis­tenziell ergreifenden Magen-Darm-Keim. Der Nachschub ist praktisch unbegrenzt. Immer wenn ein Lieferant ausfällt, springt der Nächste ein.

Die Rolle als zentraler Keimumschlagplatz wird in vielen Einrichtungen auf sehr eindrückliche Weise untermalt. Bereits an der Eingangstür erwarten einen Warnschilder, bunte Klein-Plakate, die den neuesten Krankheitstrend im Stile eines Tagesmenüs anpreisen. Heute im Angebot: Bindehautentzündung. Nur diese Woche: Hand-Mund-Fuß-Krankheit. Alles muss raus: Noro-Virus.

Aber bleiben wir noch ein bisschen bei der Drogensymbolik. Woran denken Sie, wenn Sie hören: „Es ging immer im Kreis herum, jeder durfte mal und am Ende waren alle ziemlich fertig.“ Falls Sie einen Joint oder ähnliches vor Ihrem geistigen Auge gesehen haben, herzlichen Glückwunsch. Als leidgeprüftes Elternteil denkt man bei dieser Situationsbeschreibung eher an die Weiterverteilung der kindlichen Krankheitserreger innerhalb der Familie. Schon der große Dostojewski wusste: „Durch Umgang mit Kindern gesundet die Seele.“ Für den Körper gilt das nicht immer. Denn Kinder sind großzügig genug, Erwachsenen reichlich von ihrem Keim-Schatz abzugeben. In vielen Fällen werden die Kinder sogar selbst gar nicht mehr krank, sondern stecken nur die Eltern an, die nun tagelang daniederliegen. Die Kleinen wechseln so von der Rolle des kleinen Straßendealers in die Rolle des Drogenbosses, der zwar verbreitet, aber unter den Folgen nicht zu leiden hat.

Bedenkt man dieses Biowaffen-Schreckenspotential, kommen Kinder medial überraschend gut weg. Von Zeit zu Zeit kursieren diese Keimranglisten in den Medien, die etwa so funktionieren: Im Küchenschwamm sind mehr Keime als auf der Türklinke. Der Küchenschwamm wiederum liegt weit hinter dem Touchscreen des Smartphones. Und wussten Sie, dass im Kühlschrank etwa 100.000 Mal so viele Mikroben pro Quadratzentimeter leben wie auf dem Rand Ihrer Toilette? Nur Kinder kommen niemals vor. Ich bin dafür, dass Kinder in diese Keimschleuder-Charts aufgenommen werden. Das dürfte dann ein bisschen so werden wie mit den Bayern und der Bundesliga: Für alle anderen geht es nur noch um Platz zwei.

Daran lässt sich auch nichts ändern, denn die haushaltsüblichen Entkeimungs-Tipps versagen beim eigenen Nachwuchs. Kinder kann man weder bei mindestens 60°C waschen noch in Desinfektionsmittel einlegen. Manchmal träume ich aber, wie ich durch ein Meer aus Sagrotan schwimme. Ich plansche ausgelassen, fühle mich rein und gesund. Doch plötzlich ändert sich alles und ich wache schweißgebadet auf, nachdem eine der im Ozean treibenden Sagrotanflaschen mich panisch anschreit: „Hilfe, Ihre Kinder haben mich angesteckt.“

Für Erziehungsberechtigte bleibt nur die Hoffnung, dass das eigene Immunsystem und das des Nachwuchses von diesem Intensivtraining profitiert – und dass der Kollateralschaden des eigenen Siechtums nicht ganz umsonst war. Und wer immer noch findet, kindliche Krankheitskeime mit Drogensymbolik zu erklären, wäre daneben, der sei an folgendes erinnert: Heroin wurde von BAYER entwickelt – und war über viele Jahre ein beliebtes Erkältungsmittel.

Martin Kontzog

Martin Kontzog ist staatlich anerkannter Vater –  ansonsten gilt seine Fürsorge dem Satire-Blog Pingu-Mania (pingumania.wordpress.com)


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Ein Kommentar für “Todeskeime als Tagesmenü”

  1. Fipske sagt:

    Genial!!

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