Charlie – wer ist das? Längst sind die Solidaritätsbekundungen aus dem Internet verschwunden. Niemand demonstriert mehr mit „Je suis Charlie“ seine Verbundenheit in den sozialen Netzwerken. Auch wenn der brutale Anschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 in Paris in den Medien kaum noch Beachtung findet, so wird er doch nicht in Vergessenheit geraten. Vier führende Institutionen in den Bereichen Cartoon und Karikatur im deutschsprachigen Raum – darunter auch das Museum „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover – haben sich zusammengetan, um über die Hintergründe aufzuklären. Ein wichtiger Beitrag im Sinne der Meinungs- und Kunstfreiheit.
Zwölf Menschen starben bei dem Attentat islamistischer Terroristen auf die Redaktion der Satirezeitschrift in Paris – Chefredakteur und Zeichner Charb (Stéphane Charbonnier), die Zeichner Cabu (Jean Cabut), Honoré (Philippe Honoré), Tignous (Bernard Verlhac) und Wolinski (Georges Wolinski) sowie der Wirtschaftswissenschaftler und Mitinhaber der Zeitschrift Bernard Maris („Oncle Bernard“), die Psychoanalytikerin und Kolumnistin Elsa Cayat, der Lektor Mustapha Ourrad, der Journalist Michel Renaud, der Wartungstechniker Frédéric Boisseau, der Personenschützer Franck Brinsolaro und der Polizist Ahmed Merabet. Bereits 2011 hatte es einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume gegeben. Auslöser der jeweiligen Anschläge war die wiederholte Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen, die in einigen islamischen Ländern zu wütenden Protesten führte. Chefredakteur Charbonnier rechtfertigte im September 2012 seine Entscheidung, die Bilder trotzdem abzudrucken, folgendermaßen: „Wir veröffentlichen Karikaturen über jeden und alles jede Woche. Wenn es aber um den Propheten geht, wird es Provokation genannt. Erst darf man nicht Mohammed zeichnen, dann nicht mehr einen radikalen Muslim, und jedes Mal wird es heißen: Das ist eine Provokation für einen Muslim. Ist die Pressefreiheit eine Provokation? Ich rufe strenggläubige Muslime ebenso wenig auf, ‚Charlie Hebdo‘ zu lesen, wie ich in eine Moschee gehe, um einen Diskurs anzuhören, der meinen Überzeugungen widerspricht. Wir halten uns an die Gesetze der Republik und des Rechtsstaats.“ (Spiegel Online)
Die Brutalität dieses Ereignisses löste weltweit Entsetzen aus und gleichzeitig eine lang anhaltende Debatte über die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Hauptfrage dabei: Was darf Satire? Die Strafbarkeit der Blasphemie wurde in Frankreich bereits 1881 abgeschafft, doch die Beleidigung einer Gruppe aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder deren persönlicher und direkter Angriff sowie Volksverhetzung bleiben weiterhin strafbar. Wo ist hier also die Grenze zu ziehen? In diesem Zusammenhang erreichten nach dem Anschlag auch die Museen, die sich mit Karikaturen befassen, zahlreiche Anfragen. Dies nahmen vier Institutionen zum Anlass, ein Projekt zu initiieren, das die neutrale und wissenschaftliche Aufarbeitung des Vorfall zum Ziel hat. Und so entwickelten das Museum „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover, das „caricatura museum frankfurt – Museum für Komische Kunst“, die „Caricatura – Galerie für Komische Kunst“ in Kassel und das „Cartoonmuseum Basel“ eine Online-Plattform, die eine Fülle an Informationen zur Geschichte und zu den Zeichnern der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ sowie zum Kontext des Heftes innerhalb der französischen Gesellschaft bietet. Anhand von ausgewählten Karikaturen der Jahrgänge 2010 bis 2015 wird ein repräsentativer Überblick über die Hauptthemen (Religion, Gesellschaft und Politik) sowie die Eigenheiten der Zeitschrift und ihrer Zeichner gegeben. Alle gezeigten Karikaturen und Texte wurden vom Französischen ins Deutsche übersetzt. In einem umfassenden Medienspiegel sind die unterschiedlichen Reaktionen auf den Anschlag, aber auch allgemeine Fragestellungen zu Karikatur und Satire, insbesondere im Kontext der Meinungs- und Kunstfreiheit, zusammengestellt und übersichtlich aufbereitet. Unterstützt wird das Projekt durch die deutsch-französische Einrichtung „Antenne Métropole“, eine Institution im Netzwerk des „Institut français“ Deutschland. Zudem standen die beteiligten Ausstellungshäuser während ihrer Projektarbeit in Kontakt mit der Redaktion von „Charlie Hebdo“
Katja Merx
Ein Plädoyer für die Satire, ob als Zeichnung oder in Textform: www.museen-fuer-satire.com.
Bilder: Tignous, „Non au mariage gay“, No. 1074, 2013 – © Charlie Hebdo; Cabu, „faut il avoir peur du petit Jesus“, No.965, 2010 – © Charlie Hebdo