Ein letztes Wort im Dezember

…… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Stephan Weil (r) und Lars Kompa (l)

Herr Weil, wo fangen wir bloß an? Blicken wir zuerst nach Amerika. Hat Sie die Wahl Donald Trumps überrascht?

Überrascht konnte man davon eigentlich nicht sein. Ich hatte es befürchtet. Was mich dann aber doch überrascht hat, das war die Eindeutigkeit. Donald Trump hat die Wahl nicht knapp gewonnen, sondern sehr deutlich. Das hatte ich so nicht erwartet und das markiert jetzt eine echte Wende. Wir hatten es in den letzten Jahren mit einer rationalen US-Politik zu tun. Teilweise galt das sogar für die erste Amtszeit von Donald Trump, weil er damals noch Leute im Team hatte, die manche besonders absurden Entscheidungen verhindert haben. Wenn er jetzt aber umsetzt, was er im Wahlkampf angekündigt hat, und darauf deuten seine Personalentscheidungen momentan hin, dann stehen wir vor bedrohlichen Entwicklungen. Und das gilt international, aber auch insbesondere für Deutschland.

Die Eindeutigkeit ist wirklich beängstigend. Was hat die amerikanischen Wählerinnen und Wähler bewogen, so zu entscheiden? Hat da auch die mediale Manipulation eine Rolle gespielt?

Es hat in der Tat zahlreiche Versuch der Einflussnahme insbesondere über soziale Medien gegeben. Aber leider sieht es so aus, dass viele Leute Donald Trump wirklich wollen. Eine gewichtige Rolle hat dabei sicher die Frage der Migration gespielt. Aber zum Beispiel auch bei den Latinos, das haben Nachwahlerhebungen gezeigt, haben die Demokraten stark verloren, weil in dieser Bevölkerungsgruppe viele keine Frau im Amt sehen wollten. Diese Wahl war also kein Versehen. Wir müssen uns darauf einrichten, im Zweifel jetzt in Europa die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten deutlich zu reduzieren. Dafür müssen wir etwas stärker werden bei der Landesverteidigung. Und das wird leider eine teure Tasse Tee werden.

Ein Hauptgrund scheint auch das fehlende Vertrauen der Menschen in die politische Eliten in Amerika zu sein. Die Mittelschicht in den USA hat ja in den vergangenen Jahren durchgängig verloren. Eine Ironie, dass sie nun ausgerechnet Donald Trump ins Amt gewählt haben …

Das mangelnde Vertrauen in die bislang in Washington Verantwortlichen mag ein Grund sein. Aber wir müssen auch einfach feststellen, dass sich die amerikanische Gesellschaft in einem viel größeren Ausmaß nach rechts entwickelt, als wir das wahrhaben wollten. Rund 80 Prozent der Deutschen haben sich gewünscht, dass Kamala Harris ins Amt gewählt wird. Die meisten Wählerinnen und Wähler in den USA haben das genau umgekehrt gesehen.

Kehren wir zurück nach Deutschland. Am Tag der Wahl Trumps ist dann auch noch die Ampel geplatzt. Fällt Ihnen ein noch schlechterer Zeitpunkt ein?

Manchmal kann man es sich nicht aussuchen. Und wirklich überrascht hat das ja niemanden mehr. Dass die Ampel geplatzt ist, das war doch nicht mehr zu vermeiden. Wir hätten sonst noch weitere zehn Monate ein sehr trauriges Schauspiel anschauen müssen. Wir wissen heute, das war eine geplante Inszenierung einer Partei, die raus aus der Bundesregierung wollte. Es ist gut, dass Olaf Scholz einen Schlussstrich gezogen hat. Ein „weiter so“ hätte unser Land ganz sicher nicht mehr vorangebracht.

Jetzt wird es am 23. Februar Neuwahlen geben, wir sind schon mitten im Wahlkampf. Und das Getöse war und ist bereits groß. Scholz basht Lindner, Lindner basht Scholz, es wird um den Wahltermin gestritten, die SPD hat eine Zeit lang lautstark über den besseren Kanzlerkandidaten diskutiert. Ich habe eben das Stichwort „Vertrauen“ genannt. Was glauben Sie, was das alles anrichtet?

Vertrauensbildend war das natürlich nicht, da muss ich Ihnen leider recht geben. Wobei ein bisschen Getöse ja zum Wahlkampf dazugehört. Aber ich hoffe sehr, dass wir jetzt schleunigst zurückkehren zu den Inhalten. Die Kandidatenfrage ist entschieden, jetzt geht es um die besten Konzepte. Die Bürgerinnen und Bürger finden es, das ist meine regelmäßige Erkenntnis aus Bürgerversammlungen, ziemlich überflüssig, wenn Politik sich nur mit sich selbst beschäftigt. Sie wollen auch keine plumpen Parolen und keine unrealistischen Versprechungen. Sie wünschen sich, dass man auf ihre echten Probleme eingeht und realistische Lösungen und gute Perspektiven für unser Land anbietet. Genau darauf wird sich die SPD jetzt im Wahlkampf konzentrieren.

Bisher geht es ja eher darum, wer wann aktiv gegen die Ampel gearbeitet hat und welche Rede vorbereitet war. Über Probleme wird auch gerne gesprochen. Nur über Lösungen habe ich bisher wenig gehört. Es steht ja eigentlich unglaublich viel auf der To-Do-Liste: Europa, Wirtschaft, Infrastruktur, aber auch Umwelt, Bildung, Gerechtigkeit …

Das war so, als das Ende der Ampel noch sehr frisch war. Inzwischen ist das abgehakt, so scheint mir, und alle gucken nach vorne.

Wir müssen ran an die Schuldenbremse, das ist das erste, oder?

Ja, aber eine Reform der Schuldenbremse ist nur ein Mittel zum Zweck. Mir geht es um Investitionen, die dringend nötig sind. Ich war in Hannover zehn Jahre Kämmerer und Sie können mir glauben, dass ich keine besonders ausgesprägte Sympathie für öffentliche Schulden habe. Im Gegenteil, man muss sie schließlich verzinsen und zurückzahlen. Aber wir haben offenkundig einen riesigen Nachholbedarf bei den Investitionen, und zwar zeitgleich in unterschiedlichen Bereichen. Helmut Schmidt wird aus seiner Zeit als Bundeskanzler der Satz zugeschrieben, die Bundesrepublik könne sich nur eines leisten – Bundeswehr oder Bundesbahn. Wir haben uns bedauerlicherweise viele Jahre lang beides nicht so recht geleistet. Jetzt müssen wir in beiden Bereichen sehr viel Geld in die Hand nehmen. Und das ist ja nicht alles. Wir müssen uns beispielsweise auch fragen, wie wir es trotz der sehr notwendigen CO2-Reduzierung hinbekommen, Deutschlands wirtschaftliche Stärke nicht zu gefährden. Da braucht es zumindest für einen Übergangszeitraum eine deutliche Unterstützung für die betroffenen Industrien. Die müssen sehr oft sehr viel investieren und stehen gleichzeitig in einem internationalen Wettbewerb. Wenn wir jetzt nicht die richtigen Weichen stellen, wird es nicht billiger, sondern viel teurer. Weitere Fehlentwicklungen würden uns unaufhaltbar zurückwerfen. Insofern ist die Frage einer Überarbeitung der Schuldenbremse tatsächlich eine echte Schlüsselfrage. Wir müssen investieren, wir müssen nach vorne kommen. Wir sind, wenn ich es recht sehe, das einzige entwickelte Industrieland, das es momentan mit Sparen versucht. Und das, obwohl Deutschland unter den entwickelten Industrieländern eine der niedrigsten Verschuldungsraten hat.

Aber mehr Geld löst auch nicht alle Probleme.

Das ist richtig, und man sollte es mit den Schulden auch nicht übertreiben. Aber wir müssen wieder handlungsfähig werden. Alle anderen gehen entschlossen voran, nur wir nicht. Das sieht man übrigens sehr deutlich an den Wirtschaftsdaten. Es ist nicht so, dass die Weltwirtschaft momentan ein besonderes Problem hätte. Sie wächst und die meisten Länder, mit denen wir uns vergleichen können, kommen in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung gut voran. Nur Deutschland nicht.

Aber wenn es nicht gleichzeitig gelingt, die Bürokratie zurückzuschrauben, wird auch viel Geld wenig ausrichten.

Das Thema Überregulierung muss definitiv auf die Agenda. Die hinter den einzelnen Regelungen stehenden Absichten sind eigentlich immer gut gemeint. Aber die Summe aller guter Absichten führt dazu, dass ganz viel blockiert wird. Das ist schwer aufzulösen, auch weil die Regulierungen ganz unterschiedlich Ursprünge haben. Europa, Bund, Länder, Kommunen, Gerichte – es ist ein fast undurchdringliches Dickicht an komplizierten Regeln und Formvorschriften entstanden. Da müssen wir ran. Und das geht auch, siehe die Änderungen bei den Regeln für die Planung großer Infrastrukturvorhaben. Da hatte sich manches Vorhaben zur Generationenaufgabe ausgewachsen. Die Planungsverfahren haben wir nun vom Kopf auf die Füße gestellt, sie sind wesentlich schlanker und kürzer geworden. Das müssen wir auch in anderen Bereichen hinbekommen.

Das höre ich nur leider seit 20 Jahren. Können Sie verstehen, dass mir ein bisschen der Glaube fehlt? 

Natürlich kann ich das verstehen. Aber es muss geschehen, die Überregulierung ist eine unserer größten Schwachstellen. 

Mit Olaf Scholz?

Ja, genau mit Olaf Scholz! Das steht auch bei ihm ganz oben auf der Agenda.

Interview: Lars Kompa


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