Ein letztes Wort im Oktober

Stephan Weil (r) und Lars Kompa (l)

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Herr Weil, wir haben es hinter uns – und vor uns. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind gelaufen, jetzt droht zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch Brandenburg. Lassen Sie uns zuerst über die zwei Ergebnisse sprechen. Was passiert da gerade im Osten Deutschlands? Oder passiert da sogar etwas in ganz Deutschland?

Das ist natürlich kein exklusiv ostdeutsches Problem, sondern ein gesamtdeutsches, aber im Osten haben wir schon ein anderes Niveau, das muss man klar feststellen. Einzig die CDU-Ergebnisse liegen mehr oder weniger im Bundesdurchschnitt. Bei allen anderen Parteien sind die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen entweder nach oben oder nach unten total abweichend von dem, was sie auf der Bundesebene erreichen. Die SPD kam nur knapp über 6 Prozent. Bei den Grünen und der FDP sieht es noch desaströser aus. Während das BSW aus dem Stand ein zweistelliges Ergebnis erreicht hat. Es wäre jetzt falsch daraus zu schließen, dass es solche Ergebnisse mal in ganz Deutschland geben könnte. Aber wenn in einem Land wie Thüringen ein Landesverband der AfD stärkste Kraft werden kann, eine als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei mit einem Faschisten an der Spitze, dann finde ich das wirklich sehr bedrückend.
Ich hoffe wirklich, dass das keine Schule macht. Aber dafür werden alle auch etwas tun müssen.

Die SPD ist mit einem blauen Auge davongekommen, aber das ist schon ein sehr dunkles Blau, oder?

Ja, da muss man auch gar nicht groß drumherum reden. Wobei ich hohen Respekt vor der Arbeit der SPD-Leute in Sachsen und Thüringen habe. Die haben mit ungeheuer viel persönlichem Einsatz gekämpft. Und ich habe mich gefreut, dass es sich dann doch gelohnt hat und für die SPD die ganz große Katastrophe ausgeblieben ist. Ein Wahlkampf in Sachsen und vor allem auch in Thüringen ist schon deutlich anders als hier in Niedersachsen. Ich war ja vor Ort und es herrschte teilweise schon eine bedrückende Atmosphäre. Aber noch einmal zum Ergebnis: Natürlich kann die SPD nicht zufrieden sein. Mit solchen Werten ist es relativ schwer, von sich zu behaupten, eine Volkspartei zu sein.

Aus der Wirtschaft kamen ja schon vor der Wahl sehr deutliche Worte. Nicht wenige Unternehmen überlegen, sich dort nun zurückzuziehen.

Es gehört für mich zu den wenigen positiven Nachrichten aus dem Wahlkampf in Ostdeutschland, dass sich die Wirtschaft zum ersten Mal sehr klar positioniert hat. Beispielsweise hat der Chef von Jenoptik das Problem sehr deutlich angesprochen und sinngemäß gefragt, wie er künftig eine muslimische Ingenieurin überzeugen soll, in ein ostdeutsches Land zu kommen. Das bringt die Sache auf den Punkt. Wir werden in Zukunft zwingend deutlich mehr Beschäftigte mit ausländischen Wurzeln brauchen, schon jetzt bremst der Fachkräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung. Wir benötigen also eine kontrollierte und gesteuerte Zuwanderung. Das passt aber nun so gar nicht zu einer ausländerfeindlichen Grundstimmung, wie sie die AfD und in Teilen auch das BSW verbreiten. Wir sprechen ja über gut qualifizierte Menschen, die es sich aussuchen können, in welches Land sie auswandern.

Der Grundsound verschiebt sich ja schon seit einer Weile. Die AfD setzt die Themen und alle rennen hinterher. Bei der CDU ist es momentan völlig aus dem Ruder gelaufen. Man fordert jetzt populistisch Maßnahmen, die rechtlich total fragwürdig sind …

Die CDU will einfach alle, die an den deutschen Grenzen auftauchen, gleich wieder zurückschieben. Und das lässt das europäische Recht schlichtweg nicht zu. Es gibt dazu sehr klare Aussagen, beispielsweise des Europäischen Gerichtshofs. Und dann fordert Friedrich Merz, dass Deutschland eben mal den Notstand ausruft. Abgesehen davon, dass ich sehen möchte, dass der bayerische Innenminister für sein Land erklärt, die Sicherheit und Ordnung nicht mehr aufrechterhalten zu können, glaube ich nicht, dass uns diese Notlage von der EU bestätigt wird.
Die Zahl der Asylbewerber ist gegenüber dem Vorjahr deutlich rückläufig. Dass Merz trotzdem Ultimaten stellt und anderen Demokraten die Türen vor der Nase zuschlägt, ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD. Das finde ich in einer solchen Situation, wie wir sie derzeit erleben, wirklich fatal.

Wenn ständig nur noch von Notlagen gesprochen wird, von einem Ausnahmezustand, dann erzeugt das Angst. Und Angst ist generell kein guter Berater …

Wobei wir Probleme schon benennen müssen. Die Kommunen stehen tatsächlich sehr unter Druck. Aber dieser Grundsound und dieses Schüren von Angst ist dennoch fatal und spricht für fehlendes Verantwortungsbewusstsein. Es ist ja so, dass in größeren Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in die Kompetenz des Staates zur Lösung der Probleme derzeit doch sehr begrenzt ist. Dieses Vertrauen gewinnt man aber nicht durch vollmundige Versprechungen zurück, die ohnehin nicht einzuhalten sind. Das schafft man nur durch Taten und Fortschritte.
Im Herbst des letzten Jahres haben Bund und Länder gemeinsame Beschlüsse gefasst und wir sehen, dass wir in diesem Jahr bereits deutlich weniger Asylgesuche registrieren. Natürlich, das reicht noch nicht. Mittlerweile genießt nur noch die Hälfte der Geflüchteten ein Schutzrecht. Deshalb müssen wir sehr genau unterscheiden: Schutz müssen jene bekommen, die Schutz brauchen. Aber diejenigen, die durch irreguläre Migration ins Land kommen, können nicht bleiben. In diesem Zusammenhang jedoch über rechtlich mehr als fragwürdige Zurückweisungen an der Grenze zu schwadronieren, ist keine gute Idee.

Kommen wir noch einmal auf den veränderten Grundsound zurück. Würden Sie heute noch in einer Bürgerversammlung sagen, dass wir in Deutschland eine Willkommenskultur brauchen? Dass wir attraktiv sein müssen für gut ausgebildete Menschen, die kommen und gerne bleiben?

Das sage ich überall. Und das steht auch nicht im Widerspruch zu dem, was ich eben gesagt habe. Wir brauchen mehr kontrollierte Zuwanderung und wir müssen die irreguläre Zuwanderung so gut wie möglich stoppen.
Deutschland hat den großen Fehler gemacht, jahrzehntelang so zu tun, als seien wir kein Einwanderungsland. Das war immer eine Illusion. Deshalb komme ich mal zu einem Erfolg der Ampelregierung in Berlin: Sie hat mit dem neuen Einwanderungsrecht eine wesentlich bessere Grundlage für kontrollierte Zuwanderung geschaffen.
Wenn ich mich recht entsinne, ist inzwischen jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland von Menschen mit migrantischen Wurzeln besetzt – viele Bereiche von Krankenhäusern bis hin zu Forschungseinrichtungen müssten ohne diese Arbeitskräfte schließen.

Das ist so, und Deutschland wird momentan gleichzeitig immer ausländerfeindlicher. Wie bekommt man das jetzt wieder gedreht? Der Geist ist aus der Flasche … Ich höre immer, man müsse jetzt eine „bessere Politik“ machen. Was wäre denn eine „bessere Politik“?

Das geht mit der Kommunikation los. Man muss mit den Streitereien aufhören, aber diesen Appell mag man mittlerweile ja auch schon nicht mehr hören. Alle sind gefordert an guten Lösungen zu arbeiten. Ich finde zum Beispiel das Sicherheitskonzept gut, das die Ampel nach der Messerattacke in Solingen auf den Tisch gelegt hat. Punkt.
Die Leute erwarten in diesen Zeiten vom Staat Schutz und Sicherheit. Wir müssen liefern. Vieles muss auch einfacher und schneller werden, Stichwort Arbeitsmarktintegration. Geflüchtete mit Bleibeperspektive sollten möglichst zügig arbeiten und nebenbei Deutsch lernen können – im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen lernt man die Sprache auch viel schneller. Wenn sich dann herumspricht, dass die Leute typischerweise für ihr Geld arbeiten und nicht von Steuergeldern leben, wird das auch die Akzeptanz erhöhen.
Momentan haben die wirklich guten Ansätze leider noch viel zu oft Projektcharakter. Wir werden darum jetzt im Herbst mit einer größeren Initiative auch in Niedersachsen antreten, um Geflüchtete wesentlich früher in die Betriebe zu bekommen. Wir müssen einfach in vielen Dingen sehr viel pragmatischer werden.

Interview: Lars Kompa


Schlagwörter: , , ,

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert