Über Hannover… (Titel 2024-08)

Im Gespräch mit Eva Bender,
Dezernentin für Kultur & Bildung

Können Sie zum Einstieg ein bisschen über Ihren Werdegang erzählen, über Ihre bisherigen Stationen bis zum aktuellen Amt …
Ich bin in Bremen zur Schule gegangen und habe dort ein 14-Jahre-Abi gemacht, was daran lag, dass ich nicht immer nur gerne zur Schule gegangen bin. Ich habe während der Schulzeit ein paar Abstecher gemacht und weiß darum auch, wie schwer es ist, wieder ins Schulsystem einzusteigen, wenn man mal draußen war. Nach meinem Abitur habe ich dann in Göttingen und Córdoba studiert.

Dann sprechen Sie fließend Spanisch?
Naja, ich spreche andalusisches Spanisch. Das klingt so ein bisschen härter und mir wurde öfters gesagt, dass sich mein spanisch dreckiger anhört.

Sie sind in der SPD. Gestartet bei den Jusos?
Genau. Ich bin seit meinem 14. Lebensjahr bei den Jusos und später dann auch in die SPD eingetreten.

Sozialdemokratisch vorbelastet durch die Eltern oder einfach so reingeraten?
(Lacht) Ich war im Stadtschülerrat Sprecherin, und dort gab es unter den anderen ein paar Jusos. Über die bin ich in der Politik gelandet. Wobei ich vorher auch nicht unpolitisch war, ich hatte schon immer eine politische Meinung. Aber ich habe mich selbst nicht als politisch interessiert definiert, glaube ich. Über die Arbeit im Stadtschülerrat habe ich dann aber gemerkt, dass das durchaus politisch ist, was ich so denke und meine. Dass ich eine politische Haltung habe. Dann ist ja der Gedanke nicht weit, für diese Meinung auch organisiert innerhalb einer Partei einzutreten. Was meine Familie angeht, so gab es schon eine eher sozialdemokratische Denke, aber es war niemand organisiert. Es war eher so, dass ich dafür gesorgt habe, dass Teile meiner Familie inzwischen ebenfalls in der SPD sind, zum Beispiel meine Mutter (lacht). Vielleicht wäre ich nicht in der SPD, wenn mein Vater Mitglied gewesen wäre. Mein Vater war so ein bisschen die Figur, an der ich mich damals gerieben habe.

Was muss man denn Studieren, um Dezernentin für Kultur & Bildung in Hannover zu werden?
Sozialwissenschaften (lacht). Damit kann man bekanntlich irgendwie alles und überhaupt gar nichts, was natürlich eine gute Voraussetzung ist für diesen Job ist. Mein Bereich war während des Studiums aber immer eher die internationale Politik. Dass mich mein Weg in die Kommunalpolitik führt und in die Verwaltung, das war eher Zufall. Ich bin nach Hannover gekommen durch die Arbeit in der Ratsfraktion. Danach bin ich tatsächlich als Quereinsteigerin in der Verwaltung gelandet, im Schulbereich. Ich habe diesen Fachbereich stellvertretend geleitet. Im Anschluss bin ich als Fachbereichsleiterin Schule nach Braunschweig gegangen. Der Personalrat hat mir damals einen 96-Schal zum Abschied geschenkt und ich habe gefragt, ob sie mich im Krankenhaus wiedersehen möchten. Von Braunschweig ging es nach Langenhagen, dort war ich als erste Stadträtin für alles zuständig, was nicht mit Steinen und Finanzen zu tun hatte. Also alles mit Menschen. Ich habe mich dann hier in Hannover beworben für das Dezernat für Bildung und Kultur. Und zwar mit sehr viel Überzeugung, weil dies aus meiner Sicht zwei Themenfelder sind, die sich ganz hervorragend miteinander ergänzen.

Gibt es bei Ihnen eine besondere Kultur-Affinität? Wie sind Sie kulturell sozialisiert? Mal Blockflöte gespielt?
Ich habe viele, viele Instrumente gespielt, früher mal Geige, wobei man mir recht schnell zu verstehen gegeben hat, dass das eher nicht zu meinen Talenten gehörte. Ich habe drei Brüder, die waren in der Kommunikation sehr deutlich. Danach habe ich eine Zeit lang gar nichts gespielt, dann Mundharmonika. Mein Vater hat Mundharmonika gespielt und mir oft etwas vorgespielt, wenn er mich abends ins Bett gebracht hat. Das mache ich heute auch manchmal bei meinen Patenkindern und Neffen. Ich kann so die Standardstücke spielen. Ansonsten spiele ich Ukulele, wenn ich mal Zeit habe. Aber eher so begleitend, keine krassen Soli (lacht). Ich habe auch mal eine Zeit lang Saxophon gespielt. Ich hatte mir eins ausgeliehen, aber wir wohnen in einem Mehrfamilienhaus mit unterschiedlichen Parteien und das war nicht so richtig sozialkompatibel.

Das war die Musik. Gibt’s noch mehr?
Ich male bis heute. Leider meistens immer nur so richtig einmal im Jahr im Urlaub, aber dann auch eine Woche am Stück und so richtig produktiv, Tag und Nacht.

Gibt es eine Kunstrichtung, eine Sparte, die Sie persönlich darüber
hinaus besonders begeistert?
Generell gilt für mein Dezernat: im Mittelpunkt steht, was für Hannover wichtig ist. Das vorangestellt, weil meine persönlichen Affinitäten ja nicht maßgeblich sind. Natürlich finde ich manches besonders gut und zu anderem finde ich keinen Zugang, aber das darf keine Rolle spielen. Mich persönlich begeistert Tanz. Ich bin selbst keine Tänzerin und habe das auch nie versucht, aber ich finde beeindruckend, wie man Gefühle, Ideen, Geschichten in Tanz verpacken kann. So dass ich quasi mitfühlen, mich mitbewegen und die Geschichte verstehen kann, ohne dass es Worte braucht. Das finde ich absolut spektakulär. Und wir haben ja sehr viel in Hannover, die Ostertanztage, den Choreographie-Wettbewerb, Real Dance, Theaterformen, eine große Szene quer durch alle Altersgruppen, von Laientanz bis Exzellenz, von Ballett bis zum zeitgenössischen Tanz, von Tango bis zu Urban Dances, von der Ballroom Community bis Zirkus. Es ist wirklich schade, dass die Ausrichtung der Tanztriennale 2026 nicht an die Landeshauptstadt Hannover vergeben worden ist. Was uns aber nicht abhält, den Tanz in Hannover kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Ich stelle mir vor, dass man als Dezernentin so eine etwas größere Idee im Hinterkopf hat. Wo muss es hingehen in Sachen Kultur & Bildung aus Ihrer Sicht? Und wie eng gehört beides eigentlich zusammen?
Ich bin überzeugt davon, dass Kultur alles ist, was identitätsbildend ist. Die Frage ist ja, wie wir uns als Menschen definieren. Wie übernehmen wir gegenseitig füreinander Verantwortung? Und unsere Identität ist die Basis für eine gut funktionierende, demokratische Gesellschaft. Das ist meine Grundidee. Und Kultur und Bildung sind ein Ausgangspunkt unserer Identitätsbildung. Über die Bildung schaffen wir den Zugang zur Kultur. Deshalb ist aus meiner Sicht auch dieses Thema kulturelle Bildung weit entfernt von Freiwilligkeit. Ganz im Gegenteil, es ist essenziell. Schon immer. Ich habe den Eindruck, im Moment mehr denn je. Hannover hat da eine sehr gute Grundlage. Wir haben die Stadtteilkultur, die Kulturzentren, die Freizeitheime, das ist in Deutschland ziemlich einmalig. Das Thema Familienzentrum ist beispielsweise eine Idee, die ursprünglich in Hannover entstanden ist. Es ist ein großes Glück, dass wir diese Einrichtungen haben. Wir müssen darum sehr intensiv darüber nachdenken, wie wir diese Einrichtungen zukunftsfähig machen. Ich bin überzeugt, wir müssen dezentral, direkt vor Ort in Sachen kulturelle Bildung die Antworten geben. Natürlich ist für eine Stadt, die sich als Kulturstadt definiert, auch das ganze Thema Leuchttürme wichtig, gar keine Frage, aber ich glaube, ein Fokus muss wirklich auf dieser Grundidee liegen.

Es geht also eher um die Begegnung vor Ort …
Genau, wir müssen Orte der Verbindung in den Stadtteilen und in den Stadtbezirken schaffen. Das ist meine Grundidee und auch meine Grundhaltung. Darum auch diese Idee, vor Ort mit den Stadtbezirken in den Dialog zu gehen. Die Stadtverwaltung muss im Austausch sein mit dem Bildungsbereich Es gab ja früher immer diese großen Bildungskonferenzen, die haben einmal im Jahr stattgefunden, sehr international, mit renommierten Bildungsforschern. Aber die Frage ist ja, welchen Output das für eine Stadt hat. Wie viel kann man vor Ort damit anfangen? Nichts gegen solche Konferenzen, aber ich glaube es ist viel wichtiger vor Ort in Gesprächen zu sein, um zu sehen, welche Potenziale und welche Herausforderungen es in den Stadtbezirken gibt. Wir starten jetzt aus diesem Grund im Oktober eine Reihe mit Bildungsdialogen in jedem Stadtbezirk. Es gibt also keinen großen Bildungskongress mehr, sondern das Geld fließt stattdessen in diese Bildungsdialoge, mit den Schulen, den Freizeiteinrichtungen, beispielsweise auch den Sportvereinen, mit der Stadtteilkultur, mit den Kirchen, mit dem Stadtbezirksmanagement. Es ist mir wichtig zu sehen, wie man Hand in Hand miteinander arbeiten und die Bildungslandschaft unterstützen kann, gerade auch im Sinne einer kulturellen Bildung. Wenn in den Schulen kulturelle Bildung stattfindet, mit entsprechenden Ergebnissen, dann ist es natürlich auch wichtig, diese Orte noch mehr für die Menschen in den Stadtteilen zu öffnen.

Wenn ich in die Schulen blicke, auf die Lehrpläne, und mir ansehe, welche Bedeutung heute Musik und Kunst haben, oder Poesie und Lyrik, dann sehe ich, dass diese Themen real gerne mal ausfallen. Und das scheint mir insgesamt ein Trend zu sein. Das Musische ist im deutschen Bildungssystem seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Und in den Universitäten sieht es nicht besser aus.
Generell fällt in unserem Bildungssystem gerne alles aus, was im weitesten Sinne mit Kultur zu tun hat, und gar nicht so sehr, weil man finanziell nicht einsteigen will, sondern einfach, weil das Fachpersonal nicht da ist. Wir hatten eine andere Fokussetzung. Das ist aus meiner Sicht ein Punkt, über den wir diskutieren müssen. Wenn unsere Kultur die Basis einer funktionierenden Gesellschaft ist, eines funktionierenden Zusammenlebens, dann halte ich es für fatal, in diesem Bereich immer zuerst zu streichen. Denn es geht bei all dem ja auch um Demokratiebildung. Ich bin sehr für die Idee, Demokratie als Schulfach zu etablieren. Ich würde es insgesamt sehr begrüßen, wenn wir es mit einer etwas anderen Fokussetzung versuchen. Wir müssen uns eine ganz zentrale Frage stellen: Was müssen Schülerinnen und Schüler können, wenn sie unser Schulsystem verlassen? Und ich denke, wir werden nicht darum herumkommen, unser Curriculum in Gänze und grundsätzlich zu überarbeiten, nicht nur in Niedersachsen, sondern in allen Bundesländern. Aus meiner Sicht muss das in den nächsten fünf Jahren passieren und die kulturelle Bildung muss dabei ein zentrales Thema sein.

Ein guter Gedanke, aber ein ganz dickes Brett. Ist so eine Reform realistisch? Ich höre auch seit Jahren immer wieder die Stichworte Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit, aber getan hat sich wenig.
Ich glaube, dass ein Weg tatsächlich die Verbindung ist. Wenn wir in unserer Gesellschaft Orte der Begegnung, des Austausches schaffen, dann gelingt es auch, dass Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Und auf dieser gemeinsamen Basis kann sich dann auch die Haltung entwickeln, dass es Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit geben soll. Darum sind diese Orte der kulturellen Bildung in den Stadtbezirken und Stadtteilen aus meiner Sicht so zentral. Wir haben in Hannover mit unseren Einrichtungen wirklich eine gute Grundlage.
Bildung und Kultur sind also Hebel, um Gesellschaften resilienter zu machen, beispielsweise gegen rechte und demokratiefeindliche Tendenzen?
Ja, absolut! Es gibt ganz sicher noch andere Hebel, aber Bildung und Kultur sind auf jeden Fall ganz wichtige Hebel. Weil sie für die Basis sorgen, für Haltungen, für Überzeugungen. Und wenn man eine klare Grundhaltung hat, dann ist es auch wesentlich einfacher sie nach außen zu vertreten und klare Positionen zu beziehen. Ich wundere mich immer, dass so viele Menschen lieber nichts sagen wenn sie mit rechtem und rechtsextremen Gedankengut konfrontiert werden, obwohl sie Teil einer großen Mehrheit sind. Den Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, dass es wichtig ist, klar Stellung zu beziehen, das finde ich sehr, sehr wichtig. Umso mehr angesichts der Krisen, die uns noch drohen. Wir wissen heute nicht, wie wir in fünf Jahren leben werden und das verunsichert natürlich und macht Angst. Angst wiederum befördert die Suche nach einfachen Antworten. Zumal wenn man mit sich allein ist, wenn man einsam ist. Umso wichtiger ist es, dezentrale Orte der Verbindung zu schaffen, die Gemeinschaft zu stärken, denn das vermittelt uns Sicherheit. Teil einer Gemeinschaft zu sein. Also im Zweifel nicht nur Teil einer Familie, sondern Teil einer echten Gesellschaft im besten Sinne.

Bleiben wir noch kurz bei der Bildung. Wie ist es momentan ganz konkret um die Schulen in Hannover bestellt?
Es gerät natürlich immer das in den Fokus und in die Öffentlichkeit, was schlecht ist. Die Toiletten, die Mensen … Was gut ist, bleibt gerne unerwähnt. Also, es ist nicht alles schlecht. Aber wir haben natürlich einen unfassbaren Investitionsbedarf in Hannover. Wir haben jetzt gerade die Liste zur Investitionsplanung für die nächsten 5 bis 10 Jahre vorgelegt und da ist lange nicht alles drin, was wir eigentlich machen müssten. Was natürlich auch für verständlichen Frust sorgt, da in den Schulen bekannt ist, wie lange Bauvorhaben dauern. Die Leute vor Ort wissen also, mit welchen Realitäten sie es absehbar zu tun haben und haben werden. Die Schulentwicklung ist ja eigentlich eine Landesaufgabe und das Land ist auch durchaus nicht tatenlos, aber die Prozesse dauern. Und darum versuchen wir, parallel zu unterstützen. Wir identifizieren vor Ort besondere Herausforderungen und halten dann zum Beispiel Ausschau nach geeigneten Programmen, die die Situation direkt verbessern könnten. Glücklicherweise, und das meine ich wirklich so, haben wir in Hannover sehr viele gute Schulleitungen, die ganz viel wollen und entsprechend Stress machen. Gute Schulleitungen sind anstrengend für den Schulträger, wobei ich hier keinen Aufruf starten möchte, jede Woche anzurufen (lacht). Aber ich finde es gut, wenn Schulleitungen visionär unterwegs sind. Dann kann sich auch etwas entwickeln.

Die Stadt hat also gar nicht so sehr die konkreten, harten Mittel, um die Situation zu verbessern, sondern eher so eine Art begleitende und unterstützende Funktion?
Teilweise ja, teilweise können wir aber durchaus gestalterisch aktiv sein und das betrifft zum Beispiel das ganze Thema Ganztagsgrundschulen. Da haben wir ab 2026 den Rechtsanspruch, und die Schulverwaltung organisiert mit den Kooperationspartnerinnen diesen kompletten Ganztag. Anders als in anderen Städten, wo das Thema im Jugendbereich angesiedelt ist. In Hannover gehört das zum Bildungsbereich und das finde ich super, weil das Thema Ganztag schon immer eines meiner Steckenpferde ist. Ich habe schon damals das Ganztagsmodell in Hannover mitentwickelt. Da fließen jedes Jahr 30 Millionen Euro aus dem Haushalt rein, das ist schon ziemlich ordentlich. Langfristig geht es darum, dafür zu sorgen, dass der Ganztag für alle Kinder in einem großen System gut funktioniert. Also auch für jene Kinder, die in einem großen System eher nicht so gut zurechtkommen. Gerade bei den Erst- und Zweitklässlern haben wir da durchaus Herausforderungen.

Kommen wir mal zur Kultur. Sie haben ja schon in anderen Kommunen gearbeitet. Gibt es etwas spezifisch Hannöversches in dieser Stadt? Was zeichnet die Kultur in Hannover aus?
Hannover ist einfach unfassbar vielfältig und qualitativ richtig gut aufgestellt. Aber leider gleichzeitig in der Außenkommunikation genauso unfassbar zurückhaltend (lacht). Wir haben eine sehr große und diverse Szene, die sich auch in den letzten Jahren noch einmal massiv entwickelt hat.

Und die zu kämpfen hat, weil überall die Mittel fehlen …
Ja, die Kosten sind sehr gestiegen in den letzten drei Jahren. Immerhin hat es letztlich keine Streichungen gegeben, aber eben auch keine Erhöhungen, was unterm Strich dann doch weniger als mehr bedeutet. Das ist für sehr viele Kulturschaffende eine totale Herausforderung. Es ist im gesamten Kulturbereich richtig schwierig und wir versuchen eigentlich permanent, überall kreative und gute Wege zu finden. Wobei wir tatsächlich vergleichsweise noch gut aufgestellt sind, wenn ich so höre, was mir meine Mitdezernentinnen aus anderen mittelgroßen Städten erzählen. Dort wurde stellenweise im Kulturbereich massiv eingespart. Mit der Folge, dass die Kulturschaffenden nun untereinander die Ellenbogen ausfahren. Das ist in Hannover zum Glück ganz anders. Hier hält unsere Szene sehr stark zusammen. Was ich natürlich als Kulturdezernentin zu spüren bekomme (lacht).

Das sind wahrscheinlich nicht immer leichte Gespräche …
Nein, aber trotzdem finde ich diesen Zusammenhalt richtig gut.

Gibt es noch etwas spezifisch Hannöversches in Sachen Kultur?
Wir haben natürlich ein paar Leuchttürme. Wobei wir die ebenfalls noch nicht so richtig gut nach außen kommuniziert bekommen. Das ist zum Beispiel das Sprengel Museum. Oder auch die Kunstfestspiele – es ist wirklich spektakulär, was die anbieten. Aber sie werden außerhalb Hannovers nicht wirklich wahrgenommen. Ich fand es darum sehr wichtig, so eine Art Commitment zwischen Stadt und Kunstfestspielen herauszuarbeiten. Also ganz klar auch nach außen zu kommunizieren, dass die Kunstfestspiele gewollt sind und auch eine Weiterentwicklung gewollt ist.

Sind Sie eher im Team Leuchtturm oder im Team Gießkanne?
Ich bin auf jeden Fall im Team Strukturförderung. Wir müssen einfach sehr genau hinsehen, welche Strukturen die Kunst- und Kulturszene braucht, um sich langfristig halten zu können und sich auch weiterentwickeln zu können. Wir hatten zum Beispiel gerade im Kulturausschuss einen Beschluss zu POMP, das ist ein neues Kultur- und Atelierzentrum in Hainholz. Das finde ich wegweisend. Oder auch die Entscheidung zum Musikzentrum. Ein sehr klares Statement. Wir haben den Beschluss zum Ausbau der Bunker. Das alles ist Strukturförderung. Das ist aus meiner Sicht wirklich die zentrale Aufgabe der Verwaltung. Wie können Strukturen erhalten und geschaffen werden, damit Hannover eine attraktive Kulturstadt bleibt und sich auch noch entwickelt? Wie können wir es schaffen, dass Künstlerinnen und Künstler, dass Kreative Hannover als attraktiven Standort entdecken? Zumal größere Städte wie Berlin oder Hamburg für viele Kulturschaffende im Moment nicht mehr ganz so attraktiv sind und es eine wahrnehmbare Suchbewegung gibt. Da haben wir gerade eine echte Chance mit einer passenden Struktur.

Was ich außerdem wichtig finde, ist Wertschätzung. Und da kann ich mal ein Lob mitbringen aus der Szene. Was ich so höre, ist, dass Sie sehr sichtbar sind, sehr viel unterwegs, sehr nahbar. Das finde ich ausdrücklich gut. Denn für Kulturschaffende ist es neben allen Strukturen auch wichtig, sich gewollt und erwünscht zu fühlen.
Wenn das so rüberkommt, dann freue ich mich, weil ich genau diese Wertschätzung habe. Ich bin auch gerne unterwegs, das macht nämlich Spaß und ist eine Bereicherung, immer wieder auch für mich. Darum bin ich gerne präsent. Ich mag Kultur und ich mag Menschen. Ich bin auch super gerne vor Ort in den Schulen. Das Problem ist einfach, dass dieser blöde Tag nur 24 Stunden hat. Ich möchte wirklich verstehen, was die unterschiedlichen Blickwinkel und Sichtweisen auf Kultur und Bildung in Hannover sind. Weil ich weiß, dass diese Landschaft so unfassbar divers ist, ist es für mich grundsätzlich superwichtig, mit den Leuten im Gespräch zu sein. Was nicht bedeutet, dass ich alle Wünsche erfüllen kann, die da so an mich herangetragen werden. Das kommuniziere ich auch sehr klar. Man kann nicht nur Entscheidungen treffen, die alle gut finden. Aber ich möchte einfach möglichst viel wissen, um gute Entscheidungen zu treffen.

Sie sind seit März im Amt. Würden Sie sagen, dass Sie schon jetzt einen Überblick über die gesamte Szene haben?
Das ist natürlich ganz schwer zu sagen und zu beurteilen. Im Zweifel halte ich es da mit Sokrates und weiß, dass ich nichts weiß. Ich glaube, ich habe inzwischen schon so eine Idee, wie Hannover funktioniert, welche Player agieren und welche Bedarfe es gibt. Aber es braucht wahrscheinlich eher so drei Jahre, bevor man ernsthaft behaupten könnte, Hannovers Kulturlandschaft insgesamt verstanden zu haben. Ich lerne, und denke: jetzt habe ich es verstanden. Und dann kommt eine neue Komponente dazu und ich denke, dass ich noch überhaupt nichts verstanden habe. Was ich dann auch klar kommuniziere. Das ist aber ebenfalls spezifisch für den Kultur- und Bildungsbereich, dass alles sehr flexibel ist. Und entsprechend flexibel muss man als Dezernentin sein, bei aller Verlässlichkeit.

Fast zum Schluss noch kurz ein paar Sätze zum Kulturentwicklungsplan. Wo will der hin? Was sind Punkte aus dem Kulturentwicklungsplan, die Ihnen wichtig sind?
Der will „Vorwärts nach weit“. Der Kulturentwicklungsplan soll bis 2030 umgesetzt sein, das heißt, wir haben im nächsten Jahr Halbzeit. Und er ist wirklich sehr breit angelegt. Wir haben jetzt gerade eine Übersicht gemacht für den Kulturausschuss, der zeigt, was bislang passiert ist in den letzten fünf Jahren, was umgesetzt wurde. Im Herbst und Winter wird es mit dem Kulturausschuss nun darum gehen, noch einmal einen Fokus zu setzen, also festzustellen, was aus politischer Sicht die zentralen Themen sind. Ich halte diese Fokusbildung für sehr wichtig, auch wenn das schwer ist.

Mit der Kulturhauptstadt hat es ja nicht geklappt. Aus meiner Sicht ist Hannover aber sowieso schon längst Kulturhauptstadt. Wie schafft man es denn, diesen Gedanken mehr in die Öffentlichkeit zu tragen?
Das ist die große Frage. Zum einen eine Frage von Markenbildung. Da gibt es ja den Ratsauftrag, eine Kulturmarke zu entwickeln, was im Moment passiert und bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein soll. Und daran schließt sich die Frage an, wie man diese Kulturmarke nach außen kommunizieren soll. Für diese Kulturmarke gibt es ein Komitee, in dem unterschiedliche Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Szenen und Bereichen dabei sind. Natürlich kann man so einen Prozess immer noch offener gestalten, aber ich denke, die aktuelle Form passt ganz gut. Wir haben dort unterschiedliche Blickwinkel versammelt auch aus der freien Szene.

Und wenn es diese Marke gibt, dann folgt die große Kampagne?
Wir müssen unsere Kulturhauptstadt der Herzen unbedingt mehr nach außen kommunizieren, das ist ganz wichtig. Alle, die nach Hannover ziehen, und so ging es mir damals auch, sind völlig erstaunt, dass man in Hannover im Kulturbereich im Prinzip das ganze Jahr im besten Sinne des Wortes durchfeiern kann. Ganz unabhängig von der Jahreszeit ist immer irgendwo ein Festival, es ist immer irgendwo eine besondere Ausstellung, wir haben wirklich eine große und diverse Veranstaltungsdichte. Hannover ist da auch im Vergleich mit anderen Städten ganz weit vorne. Und das müssen wir selbstbewusst nach außen kommunizieren. Ich hatte erst neulich wieder Besuch, ein Intendant, der in einer anderen Stadt arbeitet, der war hier übers Wochenende und völlig geflasht. Der hatte das nicht erwartet und war entsprechend überrascht und begeistert. Momentan ist es so, dass die Leute immer sehr explizit für eine Kulturveranstaltung nach Hannover kommen, da geht es dann nur in die Oper oder zu einem bestimmten Festival oder zu „Pablo trifft Max“. Aber in Hannover kann man auch einfach spontan eine Woche verbringen und man hat, wenn man mag, tatsächlich eine hochspannende Kulturwoche, egal wann man kommt. Das gibt es in anderen Städten so nicht und das müssen wir mehr vermarkten. Über eine Marke, aber natürlich auch über die vielen starken Akteurinnen und Akteure der unterschiedlichen Szenen, die wir in Hannover haben. Wir müssen das bundesweit und international viel stärker kommunizieren. Das ist ja so ein Hannover-Phänomen, dass Menschen, die zum Arbeiten herkommen, schon nach kurzer Zeit ziemlich begeistert sind, während die Menschen aus Hannover beim Thema Hannover eher die Schultern heben. Und ich höre von diesen Zugezogenen immer wieder die Frage, warum Hannover mit diesem Pfund nicht mehr wuchert. Ja, Hannover ist sehr bescheiden.

Es gab vor einigen Jahren mal eine Studie der imug Beratungsgesellschaft im Auftrag der Stadt zum Image Hannovers. Und ein Ergebnis, beziehungsweise ein klar identifiziertes Problem war, dass die Hannoveraner selbst nicht als Werbeträger oder auch Botschafter nach außen gehen. Sie heben die Schultern und sagen: „Klar, ist viel los. Schon fast zu viel.“ Aber sie sprechen nicht begeistert oder stolz von ihrer eigenen Stadt. Und eine daraus abgeleitete Handlungsempfehlung war, dass man zusätzlich zu einem Marketing, das sich nach außen richtet, gleichzeitig auch Hannover in Hannover vermarkten muss, um die Hannoveraner selbst ein bisschen mehr von ihrer Stadt zu überzeugen …
Das ist natürlich total wichtig. Also zum Beispiel auch Erfolge zu feiern und klar zu kommunizieren, was wir für Superlative haben.
Casper de Vries hat das gerade erst vorgemacht. Das „Kleine Fest im Großen Garten“ ist nun mal das größte Kleinkunstfestival Europas, und das darf man dann auch gerne laut sagen und kommunizieren, nach außen und intern. Ich denke, es ist insgesamt eine gute Strategie, zu sagen, dass wir den Namen Kulturhauptstadt durchaus verdienen, weil wir wirklich gut aufgestellt sind. Und wenn wir das national und international kommunizieren, und Leute kommen und finden Hannover schön, dann wirkt das ja auch auf die Hannoveraner. Es fühlt sich ja einfach gut an, Komplimente zu bekommen. Das ist auf jeden Fall schöner als Eigenlob. Und ich glaube, dieser Gedanke ist beim Marketing nicht unwichtig.

Braucht es vielleicht trotzdem mal eine Kampagne für mehr Hannover-Selbstbewusstsein?
So eine aufgesetzte Kampagne wäre bestimmt schwierig, das kann auch grandios scheitern. Ich denke, wir brauchen einfach Persönlichkeiten, die Hannover lieben und das sehr klar nach außen transportieren, so ein Hannover-Gefühl. Das ist extrem hilfreich. Und solche Persönlichkeiten haben wir ja schon. Denen müssen wir jetzt noch verstärkt eine Stimme geben.

● Interview: Lars Kompa

 


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