Allerorten fordern jetzt Menschen, man müsse „die Pandemie aufarbeiten“. Sie meinen damit jedoch keine wertfreie Evaluierung der Maßnahmen, im Sinne von: Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert? Welche Maßnahmen waren übertrieben und welche zu lasch? Und was lernen wir aus der vergangenen für die nächste Pandemie, die – da sind sich alle seriösen Wissenschaftler*innen sicher – irgendwann kommen wird?
Solche Fragen wären ja tatsächlich klug. In der Realität aber geht es vielen, die jetzt nach „Aufarbeitung“ schreien, eigentlich nur darum zu sagen: „Alles totalitärer linksgrün versiffter CDU-SPD-Grünen-Faschismus! Darf nie wieder passieren! Spahn und Lauterbach in den Knast, Drosten ans Kreuz, Merkel in die eiserne Jungfrau und Scholz über die Planke!“
Dass wir, alles in allem, mit der Politik der beiden beteiligten Bundesregierungen, die sich mal mehr, mal weniger an den Aussagen der führenden Forscher*innen aus Virologie und Epidemiologie orientierten, einigermaßen gut durch den Covid-Sturm gesegelt sind, interessiert die faktenkritische Bevölkerung nicht. Auch nicht, dass wir im Vergleich mit ähnlich strukturierten Ländern fast in allen Phasen sogar eher besser dastanden als diese.
Aber davon abgesehen hat die Pandemie neben den politischen Nachwirkungen auch mediale Spätfolgen. Die scheinen vielleicht nicht so wichtig zu sein, gehen mir aber trotzdem enorm auf den Senkel. Zum Beispiel die Unsitte technisch saubere Interview-Live-Schalten im Fernsehen durch dilettantische Video-Calls zu ersetzen. Während der Pandemie machte man das, damit die Gesprächspartner*innen ihre sicheren vier Wände nicht verlassen mussten, um ein möglicherweise verseuchtes TV-Studio aufzusuchen. Oder um zu verhindern, dass ein vielköpfiges Fernsehteam mitsamt seinem traditionell beachtlichen Virenbestand in die Wohnung einmarschierte. Stattdessen setzte man sich einfach an den Schreibtisch, schaltete den Computer an und laberte in die Webcam.
Dabei ist es nun oft geblieben. Auch ohne Todesgefahr. Weil es billiger ist, schneller geht oder die Sendeanstalten damit Personal einsparen können. Keine Ahnung.
Ich will mich aber noch nicht mal über die oft mäßige Bild- und Tonqualität ereifern. Daran kann man sich genauso gewöhnen wie an die Wiederkehr der Compact-Kassette als Tonträger. Viel katastrophaler sind die ästhetischen Folgen der Unkenntnis der Interviewten
bezüglich der einfachsten Regeln des vor-der-Kamera-Rumsitzens. Und das obwohl es sich dabei oft um gebildete Menschen handelt. Bis hin zu Nobelpreisträger*innen.
Erste Video-Call-Regel: Einen ausreichenden Abstand zur Webcam halten! Merke: Mit fünfzehn Zentimeter Abstand zum Objektiv, nicht abgepudert, von einer Arbeitszimmer-Neonröhre grell beleuchtet sieht einfach jeder und jede kacke aus! Auch George Clooney, Brad Pitt, Lucy Liu oder Jennifer Lawrence. Oder wen immer Sie hübsch finden. Bei diesem Minimalabstand sieht man nur noch reifende Pickel, rotadrige Knollennasen, Nikotin-und Koffein-Gebisse oder kraterartige Hautporen. Selbst wo keine sind. Noch nicht mal im echten Leben möchten man Menschen so nah kommen, außer man ist in sie verknallt und/oder hat ein sexuelles Interesse an ihnen.
Zweite Regel: Den Laptop unbedingt hochstellen! Auf einen Ständer oder meinetwegen einen Stapel Bücher. Das verhindert nämlich, dass die Webcam von unten in die Nasenlöcher zielt. Selbst tippitoppi geputzte und mit Emsersalz-Wasser gespülte Nasen will man so nicht inspizieren. Ist jemand aber bei der Nasenhygiene schludrig, gnade einem Gott! Bei älteren Männern gibt es noch ein anderes Problem: Kürzlich sah ich auf BBC World ein Interview mit einem Nahostexperten. Ich glaube zumindest, dass es einer war, ich konnte mich nämlich nicht auf den Inhalt seiner Aussagen konzentrieren, weil ihm ein ganzes Nasenhaar-Gebüsch beziehungsweise eine Schilflandschaft aus dem Riechkolben wuchs. Ich war so verstört, dass ich, um englischsprachige Nachrichten zu schauen, zwei Wochen lang nur CNN einschaltete. Aus Angst, auf BBC wieder dem Mann mit der wuchernden Nasenflora zu begegnen.
Die einzige Person bei der mich diese Perspektive am Rande interessieren würde, wäre Benjamin von Stuckradt-Barre. Der behauptete nämlich mal in einer Talkshow, er habe aufgrund seines exzessiven Kokain-Genusses keine Nasenscheidewand mehr. Das würde ich doch gerne mal sehen. Vielleicht im direkten Vergleich mit der Nasenscheidewand seines Ex-Kumpels, Springer-Chef Mathias Döpfner. Nur so aus Neugier.
● Hartmut El Kurdi