El Kurdis Kolumne im August: Kaiserliche Teckel-Trauer

Kürzlich fuhr ich mal wieder in meine Aufwachsstadt Kassel. Mit dem ICE ist das ja von Hannover aus nur ein schlappes Stündchen. Diese Ausflüge sind für mich eine Art privat-anekdotischer Forschungsreise. Am liebsten unternehme ich sie mit meiner Tochter. Wir latschen dann so herum und labern uns Blutergüsse ans Ohr. Meine Ausführungen spannen logischerweise den Bogen vom Persönlichen zum Allgemeinen, quasi vom Mikro- zum Makrokosmos; meine Tochter ist als Niedersächsin bezüglich Kassel unbelasteter, deswegen ordnet sie die nordhessischen Phänomene ohne private Umwege gleich in den aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs ein.

Bei unserer letzten Expedition besuchten wir den „größten und schönsten Bergpark Europas“ den Park Wilhelmshöhe. Das mit dem „größten und schönsten“ war früher Teil der Eigenwerbung Kassels, was nicht unbedingt für die Marketingabteilung der Stadt spricht. „Groß“ kann man ja immerhin noch irgendwie messen, aber wenn man behauptet, man hätte irgendwas „schönstes“, klingt das immer nach provinziellem Minderwertigkeitskomplex. Hannover ist da schlauer. Ist hier von der Eilenriede die Rede, auch offiziell, heißt es immer nur norddeutsch-sachlich: „Der größte Stadtwald Europas.“ Punkt. Hier zählen nur überprüfbare Fakten. Ob der Wald nun schön, schöner oder am schönsten ist, muss schließlich jede*r selbst beurteilen.

Dabei ist der Park Wilhelmhöhe tatsächlich so hübsch, dass man gar keine Vergleichsgröße braucht. Einfach spazieren gehen und genießen reicht. Wir waren diesmal aber auf der Suche nach etwas Besonderem. Nach dem Grab des einzigen Dackels der Welt, der einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat: Erdmann, der Lieblingsdackel von Kaiser Wilhelm II.

Der Kaiser verbrachte nämlich gerne einen Teil seiner Sommerfrische auf Schloss Wilhelmshöhe und ließ sich dabei von diversen Dackeln begleiten. Der Kurzhaarteckel Erdmann aber war ihm wohl der liebste von allen. Es gibt ein Foto, auf dem WilhelmZwo mit Erdmann auf einer Bank sitzt und beide nachdenklich in die Ferne schauen. Man spürt sofort, dass es sich hier um zwei Seelenverwandte handelt, weswegen Erdmanns Tod den Kaiser wohl auch tief getroffen hat. So tief, dass er einen Grabstein für ihn anfertigen ließ, mit den preußisch-knappen, aber in ihrer Kürze umso wuchtigeren Trauer-Worten: „Andenken an meinen treuen Dachshund / Erdmann 1890 – 1901 / W. II.“

Die Inschrift kenne ich allerdings nur aus der Literatur. Früher hatte mir nie jemand von diesem Grab erzählt, und jetzt, als ich davon erfuhr, konnten meine Tochter und ich es trotz intensiver Suche nicht finden. Beim Googeln stieß ich dann aber auf die Info, dass die HKH, die „Hessen Kassel Heritage“ – eine Landeseinrichtung zur Pflege des kulturellen Erbes – regelmäßig einen „Großen Dackelspaziergang“ im Park Wilhelmshöhe anbietet. Eine Park-Rallye mit zehn Stationen, inklusive Erdmann-Grab-Besuch. In Zusammenarbeit mit dem „Deutschen Teckelklub 1888 e.V.“ Die HKH-Homepage verspricht: „Hier kommen sowohl Hund als auch Halter*in auf ihre Kosten. Am Ende winkt eine kleine Anerkennung.“

Die nächste Dackelführung findet am 21. September statt. Ich werde dabei sein. Mit irgendeinem beliebigen Leihhund. Denn erfreulicherweise dürfen nicht nur Dackelbesitzer*innen mit ihren Gefährten am Spaziergang teilnehmen. In der Ankündigung heißt es vorbildhaft diskriminierungsfrei: „ALLE Hunde sind willkommen“. So gefällt mir das.

Ich hoffe, dass dann auch immer noch der „Hundemantel“ von Erdmann im Schloss ausgestellt ist. Der konnte von der HKH im Juni 2020 auf einer Auktion für 3600 Euro ersteigert werden. Im selben Jahr veröffentliche die HKH auch eine Broschüre mit dem Titel „Mit Erdmann durch den Bergpark“. Zitat: „Auf kurzen Dackelbeinen gibt es darin einiges zu sehen“. Der Comic-Hund „Ertl“ entpuppt sich in der Broschüre als „findige Führungskraft“, die offenbar jede noch so versteckte Ecke des Bergparks kennt. Geschrieben hat das Heftchen der HKH-Direktor Prof. Dr. Martin Eberle. Wofür so eine akademische Ausbildung doch manchmal gut ist…

Das hört sich jetzt alles sehr lustig an, aber ich bin heilfroh, dass es Erdmann gibt bzw. gab. Sonst wäre das berühmteste Grab Kassels wohl die Ruhestätte des Neonazis Michael Kühnen. Für die Jüngeren: Kühnen war eine evolutionäre Zwischenstufe zwischen Hitler und Höcke und verstarb 1991 in einem Kasseler Krankenhaus. Er wurde auf dem Westfriedhof urnenbestattet. Man möchte nicht wissen, was für eine Rallye bestimmte Parteien gerne zu dessen Ehre veranstalten würden.

● Hartmut El Kurdi


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