… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, wie war der Urlaub?
Sehr schön! Ich kann nicht meckern. Ich war mit meiner Frau unterwegs, wir haben es uns wirklich gut gehen lassen: Gut gegessen und getrunken, schöne Landschaften genossen, ein bisschen gewandert, viel gelesen, alles fein.
Haben Sie wirklich entspannen und abschalten können? Gleichzeitig gab es ja zum Beispiel in Deutschland schon wieder die Querelen um den Haushalt, nachdem der bereits beschlossen war.
Inzwischen ist man das ja leider schon gewohnt. Und ich habe in den letzten Jahren dazugelernt, ich ärgere mich nicht mehr so schnell.
Bei mir ist es inzwischen mehr Verzweiflung als Ärger. Ich verstehe beispielsweise so gar nicht mehr, was die FDP eigentlich umtreibt.
Schwer zu begreifen ist jedenfalls dieses wiederholte Schauspiel eines feierlichen Verkündens einer Einigung und knapp zwei Wochen später das Abräumen dieser Einigung auf offener Bühne. Bei mir schwindet allmählich die Hoffnung, dass sich daran noch etwas ändern wird. Appelle gab es genug, immer wieder Mahnungen, Diskussionen oder auch Streitigkeiten doch bitte intern und geräuschlos auszutragen. Genützt hat es wenig.
Ich verstehe ja, dass auch die FDP im Wahlkampf ist vor den Landtagswahlen, so wie die anderen Parteien, aber wenn die FDP dann mit so einem Pro-Auto-Programm um die Ecke kommt, lässt mich das wirklich ratlos zurück.
Ich habe mich auch gefragt, was das sollte, und ich habe keine plausible Antwort gefunden. Was soll dieser Plan für den Wahlkampf bringen? Zumal es sich dabei um ein kommunalpolitisches Thema handelt. Ich glaube, die Leute im Osten Deutschlands haben ganz andere Sorgen und die FDP rangiert in diesen Ländern inzwischen unter den Sonstigen. Mir kommt das alles vor wie ein wildes Flügelschlagen, in dem Versuch, irgendwie irgendwo Zuspruch zu erzielen. Pro-Auto, Kürzungen des Bürgergeldes, Schuldenbremse – all diese Positionen werden ja wie eine Monstranz vor sich hertragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei Wählerinnen und Wählern verfängt. Eher im Gegenteil. Aber die Schlussfolgerung der FDP scheint zu sein, irgendwie immer so weiterzumachen, koste es, was es wolle.
Ich finde die Diskussionen um das Bürgergeld teilweise arg populistisch.
Das sind sie, Populismus auf dem Rücken der Schwachen. Politik soll und muss die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen. Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass in jedem Fall das Existenzminimum gewährleistet sein muss. Das wiederum wird nach bestimmten Regeln festgelegt, insofern gibt es in Bezug auf die Höhe von Sozialtransfers einen relativ engen Handlungsspielraum. Würde man aus einer Wahlkampflaune heraus, einfach mal X Euro streichen, würde das zu Recht in Karlsruhe sofort kassiert werden. An solchen Beispielen kann man gut sehen, was der Begriff Populismus eigentlich meint: Man sagt Dinge, von denen man denkt, dass sie gut ankommen, obwohl man es besser weiß. Damit macht man den Leuten nur etwas vor, man täuscht sie.
Was mir bei den Diskussionen ums Bürgergeld Sorgen macht, ist dieses fortwährende Befeuern der Neiddebatte. Die einen arbeiten und bekommen zu wenig, während die anderen faul sind und trotzdem viel bekommen. Damit wird polarisiert. Das spaltet. Wobei die Wirklichkeit natürlich sehr viel differenzierter ist. Die Zahl der Leute, die sich wirklich gemütlich in die soziale Hängematte legen, ist ja sehr überschaubar.
Das stimmt, dennoch muss man bei diesem Thema genau hinsehen, denn es geht um Gerechtigkeit. Und wenn es da Schieflagen gibt, müssen die abgestellt werden. Einige Korrekturen sind richtig und notwendig, damit diejenigen, die zumutbare Arbeit ablehnen, Konsequenzen spüren. Und wer Geld vom Staat bekommt, nebenher aber schwarz arbeitet und ein gutes Leben führt auf Kosten der Allgemeinheit, der muss sanktioniert werden. Der Abstand beim Einkommen zu jenen, die im Niedriglohnbereich voll arbeiten gehen, ist in bestimmten Konstellationen zu gering. Was allerdings auch heißt, dass es neben Sanktionen auf der einen Seite eine Erhöhung des Mindestlohns auf der anderen Seite geben muss. Das wird bei der Diskussion aber gerne ausgeklammert. Es gibt in Deutschland viel zu viele Menschen, die voll arbeiten, aber dennoch keine anständige Altersversorgung aufbauen können.
Müssten wir nicht eigentlich auch viel mehr über die Reichen reden? Gerade gab es ja wieder so eine Diskussion der G20-Finanzminister, leider nur mit einer Absichtserklärung. Diskutiert wurde eine Steuer von 2 Prozent für Superreiche. Das brächte weltweit etwa 250 Milliarden Dollar pro Jahr.
Ich hätte damit überhaupt kein Problem. Wir haben aus Niedersachsen vor sieben Jahren mal einen klugen Vorschlag für eine Änderung des Einkommenssteuertarifs gemacht und insbesondere eine Superreichensteuer gefordert. Womit man bei vielen Superreichen übrigens durchaus auf Zustimmung stößt. Einige sagen, dass man gerne das monatliche Einkommen höher besteuern könne, wenn man gleichzeitig die Substanzbesteuerung in Grenzen hält. Denn in vielen Fällen steckt das Vermögen, über das wir reden, in Unternehmen, und ist damit auch Grundlage für Arbeitsplätze. Also, darüber könnte man sprechen und mit den vernünftigen reichen Leuten wahrscheinlich auch einen Konsens herstellen. Aber mit einem FDP-Finanzministerium ist über solche Ideen nicht zu reden.
Den Vorschlag der 2-Prozent-Reichensteuer hat die FDP direkt im Anschluss an das Treffen in Rio „nicht zielführend“ genannt. Fertig waren sie mit der Diskussion. Aber ich finde, dass auch die SPD bei diesem Thema zu leise bleibt.
Ja, da gehe ich mit, das ist ein Defizit meiner eigenen Partei. Man kann über mehr Konsequenz beim Bezug von Bürgergeld reden, aber man muss sich dann auch die andere Seite der Medaille ansehen.
Das klingt ja schon fast nach einer Agenda.
Naja, die SPD ist seit vier oder fünf Bundestagswahlkämpfen mit der Forderung nach einer Vermögenssteuer in den Wahlkampf gegangen. So wahnsinnig viel geholfen hat das nicht. Man hat mit dieser Forderung typischerweise regelmäßig Zustimmung in Umfragen, aber im Wahlergebnis schlägt es sich nicht nieder.
Vielleicht muss man die Forderung einfach ein bisschen lauter vertreten? Wenn wir uns jetzt noch schnell darauf einigen, die Schuldenbremse zu schleifen, bin ich für heute zufrieden.
Ich möchte die Schuldenbremse aber gar nicht schleifen. Wir müssten sie allerdings dringend reformieren. Für die Abschaffung bräuchte es ohnehin eine Zweidrittelmehrheit, die ist völlig unrealistisch. Aber für eine Modifizierung plädieren inzwischen auch viele, die früher nichts ändern wollten – etwa große Teile der Wirtschaft und große Teile der Wirtschaftswissenschaften. Es ist völlig klar, dass wir es mit diesem engen finanzwirtschaftlichen Korsett nicht hinbekommen werden. Alle anderen entwickelten Industriegesellschaften investieren gerade und Deutschland versucht durch Sparen voranzukommen. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Es führt kein Weg daran vorbei: wir müssen Investitionen nachholen, damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt. Das wird eine enorme Kraftanstrengung über 10, vielleicht auch 20 Jahre. Darüber muss geredet werden. Aber wenn überall ein Stoppschild namens Schuldenbremse steht, dann wird es nicht weitergehen. Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs wären. Ich glaube, dass der Kurs von Christian Lindner direkt in eine Sackgasse führt. Davon bin ich leider absolut überzeugt.
Die schwäbische Hausfrau sollte in Rente gehen?
Die schwäbische Hausfrau ist eine kluge Frau, die repariert auch ihr Haus, wenn es durchregnet. Für eine Reform der Schuldenbremse sind inzwischen sogar die Wirtschaftsweisen, und die stehen wirklich nicht unter dem Verdacht, links zu sein. Viele Menschen, die sich früher ganz klar in die Fankurve zur Schuldenbremse gestellt haben, sind in letzter Zeit sehr nachdenklich geworden. Nach meiner tiefen Überzeugung zweifeln inzwischen auch große Teile der FDP daran, ob diese Schuldenbremse in der jetzigen Form der Weisheit letzter Schluss ist. Aber man hat sie eben über Jahre gehütet wie den heiligen Gral. Wahrscheinlich geht es jetzt vor allem um Gesichtswahrung. Aber die Entwicklung in Deutschland ist zu wichtig, als dass man jetzt Rücksicht auf die Befindlichkeit einer Partei nehmen könnte.
● Interview: Lars Kompa