Ein letztes Wort im August

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Stephan Weil (r) und Lars Kompa (l)

Herr Weil, wir sprechen Mitte Juli, die Sommerpause steht vor der Tür. Geht’s wieder wandern?

Das gemeinsame Wandern fällt in diesem Jahr leider zum ersten Mal seit ungefähr 40 Jahren aus. Meine Mitwanderer sind junge Väter geworden und haben leider keine Zeit. Aber meine Frau und ich werden fleißig wandern. Wir fahren – wie schon oft – an einen See in Italien und lassen es uns dort gutgehen. Darauf freue ich mich sehr. Das ist immer eine wunderschöne Zeit.

Können Sie so richtig abschalten?

Normalerweise klappt das gut. Aber es gibt eine ganze Reihe von herausfordernden Themen, die auch im Urlaub im Hinterkopf bleiben. Wir erleben ja bewegte Zeiten.

In den Zeiten vor Corona war das Gepäck noch wesentlich leichter, oder? Und seither ist es immer schwerer geworden …

Es ist wirklich erstaunlich, wie sich das verändert hat. Ich erinnere mich, dass uns im Sommer 2018 die Affäre um Herrn Maaßen beschäftigt hat, der damals Verfassungsschutz-Chef war und Staatssekretär werden sollte. Das war damals eine ernsthafte Koalitionskrise, an die sich heute kaum jemand noch erinnert. Ich weiß noch, dass ich deswegen permanent am Handy hing und meine Frau verständlicherweise schwer genervt war. Und 2019 hatten wir einen gehörigen Krach in der SPD und der hat mich auch im Urlaub beschäftigt. Heute reden wir im Vergleich dazu über Probleme von einer ganz anderen Größenordnung. Ja, seit 2020 reisen wir mit schwererem Gepäck.

Wir haben die Kriege, das Klima, wir haben wirtschaftlich zu kämpfen – und zu allem Überfluss droht uns eine zweite Amtszeit von Trump in Amerika. Es gab dort vor kurzem dieses bemerkenswerte Urteil des Supreme Court. Was erleben wir da? Schafft sich dort die Demokratie ab? Was sagen Sie als Jurist zu diesem Urteil?

Das ist ja noch nicht einmal alles – das Attentat auf Donald Trump und die Diskussion über Joe Biden kommen noch dazu. Aber dieses Urteil ist wirklich erschreckend und ich hätte mir noch vor kurzem nicht ausmalen können, dass so etwas möglich ist. Es führt dazu, dass in einer Demokratie ausgerechnet dem obersten Repräsentanten Narrenfreiheit gewährt wird. Das ist wirklich schwer zu ertragen und das Gegenteil einer wehrhaften Demokratie. So liefert sich eine Demokratie ihren Gegnern aus. Um die USA muss man sich ja schon seit einer Weile Sorgen machen. Und diese Sorgen werden aktuell leider immer größer.

Wir sehen diese Entwicklungen in den USA, wir sehen einen Rechtsruck in vielen Ländern, der Rechtspopulismus scheint so etwas wie ein Erfolgsmodell zu sein.

Das ist kein Naturgesetz. Es gibt auch ausgesprochen positive Entwicklungen, so wie zuletzt beispielsweise in Frankreich oder in Großbritannien. In den Niederlanden haben wir jetzt allerdings eine extrem rechte Regierung. Ich hätte mir das in einem so liberalen Land zuvor nicht vorstellen können. Was Deutschland angeht, hat die Europawahl gezeigt, dass der Zuspruch zu extremen Parteien bei uns im Vergleich noch eher moderat ausfällt. Aber ja, die Demokratien sind insgesamt unter Druck, das ist eine internationale Entwicklung.

Kommen wir mal zurück nach Deutschland. Bei der Europawahl haben sehr viele junge Menschen die AfD gewählt.

Ja, und das muss uns beschäftigen.

Man hat im Nachgang herausgefunden, dass vor allem junge Männer die AfD oder rechts wählen, während die jungen Frauen eher links wählen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Es gibt wahrscheinlich mehrere Gründe. Es gibt Untersuchungen, wonach momentan eben nicht mehrheitlich eine Fridays-for-Future-Generation heranwächst. Ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler befasst sich eher mit ihrer wirtschaftlichen Zukunft. Und da scheint seltsamerweise die AfD punkten zu können. Es gibt dazu zwei recht einleuchtende Erklärungsansätze. Ein Faktor ist wohl die Dominanz der AfD, was Social Media angeht. Das hinterlässt Spuren. Und es gibt zweitens offenbar das Phänomen, dass man etwas erst recht macht, wenn viele sagen, dass man das nicht darf. Wolf Biermann hat das mal in einem ganz anderen Zusammenhang gut auf den Punkt gebracht: „Was verboten ist, das macht uns grade scharf. Keiner tut gern tun, was er tun darf.“ Aber das ist nicht alles, wir haben vor allem dort hohe Stimmanteile für die AfD, wo die Lebensverhältnisse problematisch sind. Das gilt etwas in manchen ländlichen Regionen und dagegen kann man etwas tun.

TikTok, Trotz und das Gefühl, abgehängt zu sein, das sind so die Erklärungen, die ich öfter höre. Und dann werden als Reaktion TikTok-Filmchen über Aktentaschen gedreht. Ist das nicht ein bisschen sehr platt? Und unterstreicht das nicht, dass die Politik die jungen Menschen nicht wirklich ernst nimmt? Kann es nicht eher sein, dass sich da eine Generation einfach nicht gesehen fühlt? Aber gesehen werden möchte? Und jetzt nach Aufmerksamkeit schreit.

Naja, so schlimm fand ich die Aktentasche nicht und sie hat viele Klicks bekommen. Das war für das Bundeskanzleramt ein Eintritt in die TikTok-Welt. Richtig ist, dass wir uns der jungen Generation stärker zuwenden müssen. Aber zu Ihrer Frage: Ich glaube, es ist eine Mischung aus all dem, was Sie und ich aufgezählt haben.

Deutlich sichtbar ist, dass junge Menschen zunehmend ihre Zuversicht und ihr Vertrauen in die Politik verlieren …

und in die eigene Zukunft, das ist auch ein wichtiger Punkt. Deswegen kann man auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das betrifft den Inhalt von Politik und auch ihre Präsentation. In den Vordergrund gehören Themen, die den Alltag von Leuten betreffen, anstelle kaum vermittelbarer Insider-Debatten. Und die Kommunikation muss den richtigen Ton treffen, dazu gehört dann heute bezogen auf junge Leute auch die Präsenz auf TikTok. Die Parteien jenseits der AfD tun sich damit noch schwer. Wir sind darauf trainiert, im Zweifel differenziert aufzutreten. In der Politik gibt es nicht nur schwarz oder weiß, sondern meistens viele unterschiedliche Grautöne. Im Bereich von Social Media geht es aber meistens ziemlich hart um schwarz oder weiß. Auf den Wahrheitsgehalt kommt es dabei weniger an. Bei solchen Rahmenbedingungen ist eine Partei wie die AfD naturgemäß im Vorteil. Wir anderen dürfen deswegen nicht mit dem Lügen anfangen, sondern müssen einen eigenen, seriösen und für junge Leute interessanten Weg finden.

Ein Mittel gegen rechts ist Bildung, in den Schulen, in den Kindergärten. Passiert da schon genug?

Da ist ganz sicher noch Luft nach oben. Gute politische Bildung für Kinder und Jugendliche ist von enormer Bedeutung. Gerade in der Verbindung mit digitaler Bildung geht da an den Schulen sicher einiges. Unser Lehrerinnen und Lehrer geben sich wirklich größte Mühe. Aber wir können noch nicht wirklich beurteilen, wie es um den Output bestellt ist. Verlassen wirklich alle jungen Leute unsere Schulen als mündige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger? Wissen sie, was eine Demokratie ausmacht, können sie sich ihr eigenes Urteil bilden und werden sie motiviert für Engagement? Ich bin mit Kultusministerin Julia Willie Hamburg im engen Austausch darüber, wie wir bei der politischen Bildung noch besser werden können. Für mich ist Politik im Unterricht genauso wichtig wie die klassischen Hauptfächer.

Kommen wir noch einmal auf die Zuversicht. Wenn ich mit jungen Leuten spreche, dann begegnet mir momentan ganz viel Pessimismus. So eine fast destruktive Grundhaltung. „Bringt eh alles nichts, die Politik löst die Probleme nicht, ich denke jetzt zuerst an mich und versuche, einfach noch Spaß zu haben und mein Ding zu machen. Der Rest ist mir egal.“ Von Gemeinschaft und Zusammenhalt höre ich kaum noch etwas. Und ich finde, das ist ziemlich besorgniserregend.

Wenn wir beide an unsere eigene Jugend denken, gab es auch genug Probleme, zum Beispiel eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Aber für uns war immer ganz klar: Die Zukunft wird gut. Dieses Lebensgefühl hat sich erkennbar verändert, diese Gewissheit ist abhandengekommen. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille. Wir sind nach wie vor eine der reichsten Gesellschaften der Welt und die drittgrößte Volkswirtschaft. Wir leben auf einem Niveau, um das uns weltweit viele beneiden. Und bei uns engagieren sich immer noch ungeheuer viele Leute für die Gemeinschaft. Bei aller notwendigen Selbstkritik und Respekt vor anstehenden Herausforderungen – wir haben auch gute Gründe, selbstbewusst zu sein. Ich habe im Moment ein bisschen Sorge, dass wir uns und unser Land in ein zu schlechtes Licht stellen. Man soll die Probleme nicht klein reden, aber sich selbst und die eigenen Erfolge und Perspektiven eben auch nicht. Selbstbewusstsein und Problembewusstsein, beides könnte die ältere Generation der jüngeren übrigens gut vorleben!

Interview: Lars Kompa


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