El Kurdis Kolumne im Juni: Die christliche Fett-weg-Spritze

In den USA wurde schon so manche fundamentalistisch-evangelikale Kirche nur gegründet, um deren Gottesdienste landesweit im Fernsehen übertragen zu können. Nur so hat man die Möglichkeit, Schwule und Lesben mit möglichst großer Reichweite zu hassen und gleichzeitig über regelmäßige Spendenaufrufe die Luxuswagen-Flotte des jeweiligen Kirchenbosses zu finanzieren. Oder seine 35-Zimmer-Villa. Ich wünschte übrigens, das wäre eine polemische Übertreibung. Nur ein Beispiel: Der Chef der Lakewood-Mega-Church Joel Osteen lebt in einem 1.600 Quadratmeter großen Anwesen, das zwölf Millionen Dollar wert ist. Osteens Vermögen wird auf mindestens 100 Millionen Dollar geschätzt, sein Einkommen beträgt über 70 Millionen Dollar pro Jahr. Soviel zum Erfolg der vermeintlich christlichen Botschaft mit Hilfe der traditionellen Medien.

Inzwischen werden im Christenmilieu aber auch modernere Kanäle genutzt, vor allem von einzelnen missionarisch beseelten jungen Menschen, den sogenannten „Christfluencern“. Auf YouTube, Instagram und TikTok bringen es die amerikanische Internetstars auf Millionen Followerzahlen. Aber auch deutsche Teens und Twens, die digital auf den Spuren des Nazareners wandeln, schaffen es, zehn- bis hunderttausende Anhänger auf ihren Profilen zu versammeln.

Dort erzählen sie ihren jungen Jüngern, was reaktionäre Christen labilen Menschen heutzutage eben so erzählen: Warum Abtreibung und Homosexualität Sünden sind, dass Männer Männer und Frauen gefälligst Frauen bleiben sollen, und sie loben die Freuden der vorehelichen Keuschheit, die „Purity Culture“. Der einzige Unterschied zu den Old-School-Predigern ist, dass die jungen Menschen sich äußerlich und oberflächlich irgendwie „hip“ geben. Und „authentisch“ – oder was sie dafür halten: Sie wuscheln sich zwischendurch cute durchs Haar, ordnen nachdenklich ihren Dutt oder tanzen auch mal unmotiviert zu Popmusik. Und hier und da streuen sie ein „nice“ oder „instantly“ in ihre Predigt-Reels.

Einer der Stars der deutschen Jesus-Szene ist Jana Hochhalter, die sich als Christfluencerin „Jana Highholder“ nennt. Die 26 Jahre alte Koblenzerin ist ein hyperaktiver Tausendsassa: Autorin von sieben Bücher, Podcasterin, Poetry Slammerin, „Speakerin“. Und sie sieht zudem nach den üblichen Internetmaßstäben gut aus. Wie überraschenderweise die meisten Christfluencer, ob Mann oder Frau: Alles tippitoppi gestylte „Germany‘s next Top-Christen“.

Interessant ist, dass die gerade fertig studiert habende Medizinerin Jana Hochhalter neben ihrer Christfluencerei auch noch als Ärztin praktiziert. Auch das ist für sie ein Gottesdienst. Auf Instagram zeigt sie ein Video, auf dem sie vor Arbeitsbeginn betet: Nicht kniend, mit gefalteten Händen, sondern stehend: Die Augen geschlossen, die Arme ausgebreitet und gen Himmel gerichtet, so als wäre sie eine menschliche Antenne und als wollte sie den Heiligen Geist auf Langwelle empfangen. Dazu schreibt sie: „Jeden Morgen vor der Arbeit bete ich für den Tag; für die Patienten, denen ich begegnen werde, für die Gespräche, die ich führen werde und für die Entscheidungen, die ich treffen werde. Ich lege all mein Wissen und meine Fähigkeiten in die Hände Gottes und bitte ihn, durch mich zu wirken.“

Nun hat sich Jana von allen Medizinbereichen, in denen man als frommer Mensch christliche Nächstenliebe praktizieren könnte, einen ganz besonderen ausgesucht: Sie bietet in einer Privatpraxis in einem Wellnesshotel „ästhetische Medizin“ an. Dort kann man sich so allerhand injizieren lassen: „Botox (ab 250 Euro)“, „Skinbooster (ab 290 Euro)“, „Hyaloron (ab 300 Euro)“ oder die „Fett-weg-Spritze (ab 350 Euro)“. Ein Spötter würde jetzt vielleicht fragen: Pfuscht Jana damit nicht dem Herrgott ins Handwerk? Unterstützt sie so nicht den Äußerlichkeitswahn einer egozentrischen, sexbesessenen Gesellschaft? Verrichtet sie damit nicht das Werk Satans?

Das Gegenteil ist richtig. Denn Jana ist eine dialektisch denkende Fundamentalistin. Sie weiß, dass sie selbst gesegnet und auserwählt ist, dass aber nicht alle Gläubigen so gut aussehen können wie sie. Vor allem aber weiß sie, dass der Fanatismus die Gesichter der meisten Frömmler langfristig brutal zeichnet. Und deswegen spritzt sie ihren Glaubensbrüdern und – schwestern die Enthaltsamkeits-Falte zwischen den Augenbrauen glatt, pufft ihre verkniffen-schmalen Bigotterie-Lippen auf und lässt per Lypolyse den Glaubenskummerspeck um die Hüften verschwinden. Eine schönere Definition von „Caritas“ kann es gar nicht geben.

● Hartmut El Kurdi


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