Ein offener Brief an Recep Tayyip Erdoğan

Lieber Recep Tayyip Erdoğan,

was ist da bloß schiefgelaufen? Wer hat dich denn beraten, verdammt noch mal? Die müssen alle durch die Bank umgehend gefeuert und verhaftet und gefoltert und lebenslang eingesperrt werden. Oder Schlimmeres!
Sie hätten dich doch warnen müssen. Hätten dir sagen müssen, dass man es nicht einfach so laufen lassen darf. Weil sie dann am Ende alle wählen, was sie wollen. Was ist da passiert? Bei allen Wahlen davor ist doch alles glattgegangen. Wie geschmiert. Bis auf den Ausrutscher 2019, als die sich in Istanbul diesen hergelaufenen Ekrem İmamoğlu gewählt haben. Schon damals hast du nicht aufgepasst, hast die Zügel ein bisschen zu sehr schleifen lassen. Umso mehr hättest du aber doch jetzt auf der Hut sein müssen. Und überhaupt, warum ist der İmamoğlu nicht seit Jahren verhaftet? Ist doch kein Hexenwerk. Schiebt man ihm halt was unter. Eine Brieffreundschaft mit Fethullah Gülen oder ein paar Kinderpornos auf dem privaten Laptop. Das ist doch schnell gemacht. Wer hat da geschlafen?
Da müssen jetzt aber wirklich mal ein paar Köpfe rollen in deinem Beraterstab. Wir haben gehört, sie versuchen, sich herauszureden. Du seist beratungsresistent. Und aufbrausend. Cholerisch. Unbelehrbar. Niemand in deinem Umfeld hat sich anscheinend getraut, dir die Wahrheit zu sagen. Dass es vielleicht möglicherweise eventuell sein könnte, dass es ein paar vereinzelte wenige verstreute Unzufriedene in der Türkei gibt. Dass dich nicht alle lieben. Dass manche sogar ziemlich skeptisch sind. Sie hätten dir das doch irgendwie vermitteln müssen, trotz der Gefahr eines tobenden Chefs. Der gute, alte Brief, der unter der Tür durchgeschoben wird, ein Bildschirm, auf dem zufällig ein paar echte Prognosen zu sehen sind. Aber nein, sie haben dich einfach ins offene Messer laufen lassen. Und jetzt?

Jetzt sind all die Jahre Arbeit vielleicht umsonst. Jahrelang hast du aus der Türkei deine kleine, private Monarchie gemacht, hast dir einen wunderschönen Palast gebaut, hast die Pressefreiheit bekämpft, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, hast die Opposition verfolgt, sogar im Ausland, hast diverse Verschwörungen bedient, hast in deinen Gefängnissen in Sachen Menschenrechte beide Augen zugedrückt, hast deiner lieben Verwandtschaft ein bisschen was gegönnt, kurz: du warst auf einem richtig guten Weg. Die Türkei war schon fast eine Diktatur. Kein Wunder, dass du einen guten Draht zu Wladimir Putin hattest. Wohlgemerkt „hattest“. Jetzt wird der dich natürlich nicht mehr für voll nehmen. Er wird dich einen gescheiterten Versuchsdiktator nennen, einen Hosentaschendespoten, und er wird hämisch lachen.
Und hat er dazu nicht auch allen Grund? So eine Wahl zu manipulieren, das ist doch nun wirklich das ganz kleine Einmaleins. Zumal, wenn man eigentlich alle im Sack hat, die Polizei, die Gerichte, die Presse. Und was den İmamoğlu angeht, da hätte dir der liebe Wladimir unter Freunden ganz sicher beizeiten ein bisschen Nowitschok geliehen. Noch einmal: Wie konnte das passieren?

Die haben ja nicht nur in Istanbul gewonnen, die CHP hat auch in Ankara, in Izmir, in Antalya abgeräumt, sie haben im ganzen Land gepunktet. Aber okay, wir wollen hier nicht weiter in der Wunde bohren. Haken dran, passiert ist passiert. Tränen abwischen, tief durchatmen und weiter geht’s. Bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen 2028 ist ja noch viel Zeit. Du kannst das noch einmal schaffen. Du hast noch immer alle Fäden in der Hand. Und wenn du selbst keine Lust mehr hast, vielleicht kannst du dann wenigstens deine Söhne Ahmet oder Bilal als Nachfolger installieren, oder deinen Schwiegersohn, Selçuk Bayraktar. Damit es weiter so schön lohnend korrupt zugeht wie bisher. Wobei, wir wollen hier nichts unterstellen, immerhin ist dein Schwiegersohn der größte Steuerzahler in der Türkei. Erfolgreicher Typ. Vielleicht hat der auch ein paar neue, bessere Berater für dich. Und falls nicht, ruf einfach mal bei uns an. Wir sagen dir ganz schonungslos die Wahrheit. Versprochen!

● GAH
Foto: Gerd Altmann / Pixabay.com


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