Ein letztes Wort im Januar

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil

Mal wieder in nächtlichen Sitzungen, die es eigentlich nicht mehr geben sollte, hat sich die Ampel in Berlin nun über den Haushalt 2024 geeinigt. Sollte man für gute Entscheidungen und Kompromisse nicht eigentlich ausgeschlafen sein?
Ja, nach meinen Erfahrungen ist das besser. Ich persönlich habe Nachtsitzungen in schlechter Erinnerung. Sie sind wahnsinnig anstrengend und natürlich leidet am Ende oft die Qualität. Aber diese Nachtsitzungen sind durchaus Teil der politischen Kultur in Berlin, nach dem Motto: Alles, was vor Mitternacht fertig ist, ist keine echte Arbeit. Das ist sicherlich ein bisschen überspitzt formuliert, aber einer der Unterschiede zwischen Bundes- und Landespolitik.

Und darum hat es Sie nie in die Bundespolitik gezogen …
(Lacht) Da gab es noch ein paar mehr Gründe.

Können Sie mir erläutern, was diese Einigung nun im Einzelnen bedeutet? Wo genau wird gestrichen und gekürzt?
Wir sitzen ja hier Mitte Dezember, das heißt, die Einigung ist erst einen Tag alt. Und entsprechend ist noch vieles unklar. Es gibt unterschiedliche Meldungen aus den verschiedenen Bereichen und aus diversen Quellen. Ein Wert an sich ist tatsächlich zunächst mal diese Einigung. Denn diesen Monat zwischen dem Karlsruher Urteil und der Einigung habe ich als quälend empfunden. Und das zum Ende eines Jahres, in dem ohnehin die demokratische Ordnung unter Druck geraten ist. Das war nicht gut. Bei der Einigung ist nun vieles dabei, was ich richtig finde. Aber auch manches, was ich falsch finde. Ich bin mir sicher, wir werden nach unserem Gespräch und in den nächsten Tagen und Wochen noch zahlreiche Diskussionen über viele einzelne Aspekte erleben. Manches scheint mir da nicht recht zusammenzupassen. Wenn zum Beispiel gesagt wird, man wolle den Weg zur Klimaneutralität fortsetzen, dann passt dazu nicht die kurzfristige Streichung der Förderung für Elektroautos, während gleichzeitig der Strom teurer gemacht wird. Beides zusammen macht die Elektromobilität nicht attraktiver. Wir haben momentan bereits eine Nachfrage-Delle, es werden nicht so viele E-Autos gekauft, wie man sich das eigentlich gewünscht hätte. Oder ein zweites Beispiel: Wenn man von jetzt auf gleich bestimmte Förderungen komplett einstellt, dann haben die Betroffenen natürlich ebenfalls von jetzt auf gleich Probleme – die man vermeiden könnte. Stichwort Agrar-Diesel. Das Mindeste wäre aus meiner Sicht, dass man einen vernünftigen Übergangszeitraum anbietet, in dem nach Alternativen gesucht werden kann. Elektro-Trecker gibt es ja noch kaum und auch Wasserstoffantriebe stecken noch in den Kinderschuhen. Jedenfalls führt ein kurzfristiger Förderungsstopp immer zu Problemen.

Das sorgt dann wieder für die üblichen Erregungswellen.
Die man vermeiden könnte. Also, es gibt bei dieser Einigung noch so einiges, was mich nicht überzeugt. Und ich hoffe, dass sich einmal mehr das Strucksche Gesetz bewahrheitet, nämlich dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt.

Wie ist es mit den Kürzungen im Sozialbereich. Ist das jetzt abgewendet. Oder droht da noch was? Die Opposition zeigt mit dem Finger drauf. Die FDP wäre sofort dabei.
Ich glaube nicht, dass an der Stelle noch etwas droht. Die drei Partner haben ja wechselseitig bestimmte rote Linien markiert, und man sollte versuchen, die zu respektieren. Die SPD hat gesagt, dass wir keinen Sozialabbau zulassen werden.

Mir kommt es ein bisschen so vor, als würde die FDP viel mehr rote Linien ziehen als die anderen beiden Partner.
Kann ich verstehen, dass Sie diesen Eindruck haben.

Wie ist das mit den klimaschädlichen Subventionen – drei Milliarden sollen gestrichen werden – manche Recherchen sagen es könnten auch bis zu 65 Milliarden sein. Warum geht da nicht mehr?
Das mag grundsätzlich so sein, dass da noch Luft nach oben ist. Aber man muss im Einzelfall auch immer sehr genau hinsehen. Über den Agrar-Diesel haben wir ja eben gesprochen. Es ist sinnvoll, Übergangszeiträume zu schaffen. Es ist ein bewährter Weg, in mehreren Stufen vorzugehen. Wenn man einfach sagt, das war’s, wird das in vielen Fällen dazu führen, dass sich die Leute vor den Kopf gestoßen fühlen. Ich habe nichts gegen die Streichung klimaschädlicher Subventionen, aber man muss das einbetten in eine in sich schlüssige Konzeption. Und nach dem, was wir bisher so gehört haben, habe ich da meine Zweifel.

Was sagen Sie zum Dienstwagenprivileg?
Für die Autoindustrie wäre die Streichung sicher ein herber Einschlag. Aber man könnte ja mal darüber reden, welche Dienstwagen nicht mehr privilegiert werden sollten. Wenn wir die Umstellung voranbringen wollen, wäre es dann nicht ein Weg, dass man es bei der Förderung für E-Autos belässt und bei den Verbrennern schleichen wir uns langsam raus? Das scheint mir wesentlich schlauer, als an das Dienstwagenprivileg einfach einen Haken dranzumachen.

Machen wir mal einen Strich unter die Einigung. Zufrieden sind Sie nicht.
Ich bin mit Details nicht zufrieden. Vieles ist auch gut. Zum Beispiel, dass es beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft gerade im Nordwesten Niedersachsens keine Streichungen geben wird. Und auch die befürchteten Härten, die man beim Stichwort Sozialabbau haben musste, sind weitgehend ausgeblieben. Aber man muss trotzdem über die wunden Punkte reden.

So ein wunder Punkt ist die Schuldenbremse. Können Sie die in einem Satz erklären?
Der Staat soll in einem Jahr nicht mehr Schulden aufnehmen als er gleichzeitig tilgt. Und eine Ausnahme gibt es nur bei einer Notlage. Ganz kurz zusammengefasst. Der Abschnitt im Grundgesetz ist unendlich lang – was schon dagegenspricht, dass das eine besonders geglückte Regel ist.

Würden Sie die Schuldenbremse abschaffen?
Ich würde sie nicht abschaffen, aber verändern. Richtig ist, dass laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen gedeckt sein sollten, sonst rutscht man in den Dispo und dann wird es teuer. Aber es ist umgekehrt häufig sehr sinnvoll, für Investitionen Kredite aufzunehmen, insbesondere wenn ich von diesen Investitionen länger profitiere. Ein Beispiel ist der Hauskauf. Beim Staat ist das nicht zulässig und das ist meines Erachtens ein Fehler. Außerdem hat Bundesverfassungsgericht auf die Jährlichkeit hingewiesen. Sprich: Eine Notlage für Ausnahmen von der Schuldenbremse muss jährlich neu erklärt werden, obwohl es vieles gibt, was wir über einen längeren Zeitraum angehen müssen. Ein Beispiel ist die Hilfe nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dafür braucht es jetzt extra wieder ein neues Sondervermögen. Das zeigt, dass die aktuelle Regelung nicht praxisgerecht ist. Und da gibt es auch einen ganz grundsätzlichen Punkt. Wir werden auch in den kommenden Jahren immer wieder Notlagen haben, aber auch deswegen, weil wir jetzt die Weichen nicht richtig stellen. Es wäre viel klüger, diesen Notlagen vorzubeugen, also präventiv zu agieren. Also Deiche zu bauen, statt Flutschäden zu beheben. Dieser Gedanke passt bislang nicht zur Schuldenbremse.

Kann es sein, dass wir uns in Deutschland mit dieser Schuldenbremse gerade die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Zukunft verbauen?
Es gibt weltweit zahlreiche Ökonomen, die genau das sagen. Und ich teile diese Befürchtung.

Blicken wir zum Schluss noch einmal kurz zurück auf 2023 – wie würden Sie das Jahr mit drei Adjektiven beschreiben?
Da brauche ich nur ein Adjektiv: Anstrengend.

Und blicken Sie zuversichtlich auf das nächste Jahr oder eher mit einem flauen Gefühl im Magen?
Zuversichtlich bin ich eigentlich immer, aber gleichzeitig weiß ich, dass die Phase vieler einschneidender Veränderungen weitergehen wird. Und trotzdem müssen wir uns auch klarmachen, dass Deutschland viel stärker ist, als das momentan oft den Anschein hat. Wir suchen gerade immer das Haar in der Suppe, anstatt uns die Frage zu stellen, wie eigentlich die Suppe schmeckt. Wie haben viele, auch hausgemachte Baustellen, aber wir können überall mit unserer nach wie vor starken Gesellschaft auch zu guten Lösungen kommen. Wir sollten wieder selbstbewusster werden, finde ich.

Interview: Lars Kompa


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