Staatsoper Hannover: Am Küchentisch mit Martin G. Berger

Für die Uraufführung des Musicals „Kasimir und Karoline“ holt sich die Staatsoper den freischaffenden Übersetzer, Regisseur und Autor Martin G. Berger ins Haus. Der gebürtige Berliner ist allerdings alles andere als ein Neuzugang, denn seine vielseitige Karriere begann er als mehrjähriger Assistent im Festengagement an der Staatsoper Hannover und der Oper Dortmund. Mittlerweile ist er in seinen vielen Tätigkeiten im ganzen deutschsprachigen Raum unterwegs und war in der Spielzeit 2021/22 Operndirektor am Mecklenburgischen Staatstheater. Zusätzlich wurde er mit zahlreichen Preisen, wie dem deutschen Theaterpreis FAUST in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ (2020) und dem „Orpheus für besondere Verdienste um die Operette“ (2018), ausgezeichnet.

Du bist in deinem Leben schon ziemlich herumgekommen und arbeitest mittlerweile als erfolgreicher Freischaffender für zahlreiche Opernhäuser. Meinst du, du könntest mir eine kurze Tour durch deinen Lebenslauf geben?
(Lacht) Das ist natürlich mal eine Aufgabe. Also nach dem Abitur wollte ich unbedingt Theater machen. Die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin war Kostümbildnerin und über sie habe ich dann eine Hospitanz bekommen. Das ist so eine Art Praktikum im Theater, wo man im Prinzip vieles machen kann und bei vielem dabei sein kann. Ich hatte vorher natürlich schon Theater in der Theater-AG gemacht, aber das war der Moment, in dem es bei mir klick gemacht hat und ich wusste, ich will unbedingt Regie machen. Und dann hab ich eigentlich einen relativ altmodischen Lebenslauf gemacht. Ich hab so ein bisschen vor mich hin studiert und war dann aber ziemlich schnell nach dem Abi mit 21 fester Regieassistent in Dortmund. Und dann bin ich tatsächlich lustigerweise zwei Jahre später hierher nach Hannover gekommen, war hier auch nochmal Assistent und hab dann unter Michael Klügl die Chance gehabt, „Die Fledermaus“ auf der großen Bühne zu machen. Das war ziemlich erfolgreich und seitdem inszeniere ich eigentlich überall so vor mich hin und arbeite durchgängig als Regisseur. Ich war jetzt zwei Jahre auch mal Operndirektor in Schwerin. Das war auch mal ein spannender Einblick, aber ich bin gerade ganz froh, dass ich wieder freischaffend bin und mich ganz auf die Kunst konzentrieren kann.

Du bist Autor, Regisseur und Übersetzer. Was macht dir davon am meisten Spaß?
(Lacht) Ganz schwer zu sagen, ich finde alle drei Sachen machen unglaublichen Spaß, je nachdem auch, mit welchem Stück man sich beschäftigt. Regie ist schon mein Hauptjob, aber ich darf in letzter Zeit auch ziemlich viel schreiben. Das ist total schön! Ich übersetze auch wahnsinnig gerne, insbesondere, wenn es um wirklich tolle Musicals geht, wie die von Stephen Sondheim, dann ist Übersetzen eigentlich fast das, was am glücklichsten macht, weil man sich ganz ganz intensiv mit einem großartigen Stoff auseinandersetzt. Aber das Gute ist, dass sich Übersetzen und Schreiben natürlich sehr ähnlich in der Arbeitsweise sind, aber Regie noch mal was ganz anderes ist. Da geht es um viel pragmatischere Sachen, das ist ganz viel Arbeit mit Menschen und Kommunikation. Und als Autor und Übersetzer sitzt man natürlich alleine am Tisch. Das ist einerseits irgendwie auch schön, weil keiner einem auf den Senkel geht (lacht), aber auf der anderen Seite ist es natürlich eine viel unkommunikativere Arbeit. Und deswegen liebe ich es, alle drei Aspekte ausleben zu dürfen.

Welche Sprachen übersetzt du alle?
Ich hab aus verschiedenen Sprachen übersetzt. Der Witz beim literarischen Übersetzen, also beim singbar machenden Übersetzen, ist, dass du vor allen Dingen deine eigene Sprache richtig gut können musst, damit alles auf die Melodie passt und sich reimt und singbar ist. 99 Prozent all dessen, was ich mache, sind englische Musicals. Ich hab „La Cage aux Folles“ zuletzt für die Komische Oper übersetzt. Ich hab mehrere Sondheim-Sachen, wie „Follies“ und „Candide“, übersetzt. Ich hab tatsächlich aber auch schon mal eine dänische Oper übersetzt. Und das war auch spannend, weil ich zwar in dem Sinne kein Dänisch kann, aber es eine ganz ganz intensive wörtliche Übersetzung gab und ich so über Umwege verstanden habe, wie so die Sprache und ihr Sound sind.

Du hattest ja schon erwähnt, du hast in der Vergangenheit fest für die Staatsoper Hannover gearbeitet. Wie ist es, wieder hier zu arbeiten? Hat sich viel verändert?
Ach ja, das ist schon ein steter Wandel. Also ich hab jetzt ja das Glück gehabt, dass ich unter zwei Intendanzen arbeiten durfte und damit bin ich seit 2011 eigentlich immer wieder im Haus gewesen. Ich merke schon, dass ich, wenn ich hier auf die Bühne gehe, einfach die Kollegen kenne. Natürlich versuche ich, andere Häuser auch möglichst kennenzulernen und zu wissen, wer wer ist, aber das ist dann oft unmöglich in der kurzen Zeit, die man da ist. Und das ist schon familiär und schön, dass man immer wieder hierher kommt und irgendwie auch weiß, wo es vielleicht ein bisschen hakt, und weiß, was besonders gut geht, und weiß, wie so die einzelnen Leute ticken. Das ist schon schön und deswegen bin ich immer wieder gerne hier.

Du bist nicht nur der Regisseur, sondern auch der Mitautor von „Kasimir und Karoline“. Wie kann ich mir die Arbeit eines Mitautors vorstellen?
(Lacht) Also wir haben einfach gemeinsam geschrieben. Schon vor über zwei Jahren war klar, wir wollen eine Uraufführung machen, das hat Laura Berman in Auftrag gegeben. Und sie wollte gerne, dass ich die mit Martin Mutschler und Jherek Bischoff, dem Komponisten, zusammen schreibe. Und in dem Fall war es so, dass wir erst einmal das Originalstück bearbeitet haben. Wir haben zum Beispiel relativ behutsam die Sprache aktualisiert aber dabei versucht, viel Horváth übrig zu lassen. Das Besondere war, dass Komponisten meist Texte vertonen und es hier oft umgekehrt war, weil Jherek Bischoff kein deutscher Muttersprachler ist. Jherek hat zu den Szenen Musikstücke geschrieben, die ihm atmosphärisch richtig vorkamen. Und auf seine erfundenen Melodien haben Martin und ich dann die Liedtexte geschrieben. Und so langsam setzt sich das dann mehr und mehr zusammen. Außerdem hatten wir einen Workshop, wo wir die meisten Sängerinnen und Sänger aus der Besetzung getroffen haben und schon mal herausgefunden haben, was können die gut singen, was für Tonarten sind gut für sie. Gerade in einem Genre, das manchen fremd ist. Und das haben wir auch mit in unsere Betrachtung genommen und so entsteht dann so ein Stück (lacht).

Das klingt nach sehr enger Zusammenarbeit. Gab es, während des Schreibprozesses, Momente, in denen du deine Kollegen gerne in guter, alter „Kasimir und Karoline“-Manier verprügelt hättest?
(Lacht) Verprügelt nicht, aber so ein Prozess ist natürlich intensiv und jeder hat sein eigenes Tempo. Gerade mit der Sprachbarriere haben wir oft miteinander gerungen, aber gar nicht gegeneinander, sondern wirklich miteinander und um die Sache eher. „Wie sind wir da am effizientesten, wo kommen wir da hin, wo wollen wir mit dem Stück hin?“ Wir waren eigentlich inhaltlich immer total d’accord alle und es gab eigentlich, muss man wirklich sagen, keine größeren Konflikte innerhalb des Teams. Wir hatten einfache eine sehr gute gemeinsame Idee davon, wo wir hin wollen.

Kommen wir zu dem Stück, worum geht es bei „Kasimir und Karoline“ überhaupt? Hier an der Staatsoper wird es als Musical aufgeführt, aber war es nicht ursprünglich ein Theaterstück?
Die Vorlage ist ein Theaterstück, genau, von Ödön von Horváth. Eigentlich ein Klassiker, bei dem es um Kasimir und Karoline geht, wie der Titel schon sagt. Die beiden sind ein Paar, aber es ist keine klassische Geschichte, wo ein Paar sich findet, sondern es ist eine Geschichte, wo ein Paar über die Zeit, in der das Stück spielt, auseinanderdriftet. Und das ist, finde ich, ein ziemlich aufregender Vorgang. Es ist ein Sozialdrama. Es geht um zwei Menschen, die nicht in der obersten Schicht Zuhause sind. Kasimir hat an dem Abend davor seine Arbeit verloren, möchte eigentlich nicht feiern gehen. Karoline hat sich schon ewig darauf gefreut, an dem Abend wegzugehen. Und es ist einfach schwierig, weil die beiden ganz unterschiedliche Wünsche haben in diesem Moment. Und nach und nach driften sie auseinander. Der Kern von „Kasimir und Karoline“ ist, wie der Kapitalismus und die Frage danach, welchen Wert wir haben für die Gesellschaft und welchen Wert wir mitbringen, sich auf unsere persönlichen Beziehungen und schlussendlich auch auf unsere gesamte Gesellschaft auswirken.

Also ist es eine Kapitalismuskritik. Gibt es einen Grund, weshalb gerade jetzt dieses Musical ins Programm genommen wird?
Leider ja. Wir erleben im Prinzip momentan, dass der Kapitalismus noch viel schlimmer geworden ist in den letzten hundert Jahren, weil er durch die Globalisierung noch mal ganz andere schreckliche Züge angenommen hat. Und wir merken, dass der Grund für den Aufschwung von rechter Politik ist, dass die Menschen Angst haben, dass der Lebensstandard, den sie haben, ihnen durch Migration abhanden kommt. Diese Migration kommt ja aber daher, dass der Kapitalismus nicht dafür gesorgt hat, dass es allen gleich gut geht, sondern, dass wir hier auf Kosten von anderen Ländern leben. Zum Beispiel kann man Schokolade eigentlich nicht essen, weil 80 Prozent davon einfach überhaupt nur möglich sind, durch Kindersklaverei in super armen, afrikanischen Ländern. Aber natürlich ist auch die Klimaerwärmung ein weiterer absoluter Grund für Migration. Aber jedenfalls finde ich das Stück deswegen total aktuell. Und wie jedes gute Stück, und da rede ich jetzt erst einmal über Horváth und seine Vorlage, schafft es, das in Figuren zu erzählen und nicht mit dem Zeigefinger und mit der Vorlesung.

Gibt es Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse in der Welt?
In unserer Fassung spielen wir ganz eindeutig im Jetzt, also das ist ganz klar. Und es gibt nicht die eine aktuelle Anspielung, aber Kasimir hat bei uns einen Migrationshintergrund und hat Angst um seinen Aufenthaltsstatus, weil er seine Arbeit verloren hat. Wir haben die Figuren einfach relativ behutsam ins Jetzt geholt und damit glaube ich sind wir an vielen aktuellen Debatten durch die Figurenzeichnung auch mit dran.

Es klang gerade schon ein bisschen an. Was denkst du ist die Verantwortung von modernen Stücken? Müssen sie gesellschaftskritisch sein?
Das ist leider genau so eine Diskussion, weil wir natürlich auch im Theater den Kapitalismus spüren. Das Theater als gesellschaftliche Institution, in der die Leute sind, um das, was auf der Bühne ist, zu diskutieren und Anregungen mitzunehmen ist leider seit Corona endgültig relativ stark eingeschränkt. Auch da gibt es eine Amazonisierung. Man möchte wissen, was man für sein Geld bekommt und deswegen zahlt man lieber dafür, dass man weiß „heute wird es lustig.“ Ich glaube, dass der Anspruch von Theater immer sein muss, unterhaltsam zu sein und dabei gleichzeitig Fragen zu stellen. Kunst stellt Fragen, Mario Barth reproduziert nur Klischees. Finden alle lustig, aber es ist keine Kunst. Und ich finde Kunst hat die Verpflichtung, nicht immer hochintellektuell zu sein. Das ist dieses Stück auch gar nicht. Es zeigt sehr fleischige Figuren, sehr reale Figuren und es spielt in einem Klubabend und hat eine unglaublich süffige Musik, eine auch moderne, poppige Musik mit eingängigen Melodien. Und es hat überhaupt keine Scheu für Emotionen. Das ist kein trockener Precht-Abend, wo über Politik gequatscht wird. Aber das Süffige ist der Eingang und ich finde Theater und Kunst sollten immer Menschen auch mit Fragen nachhause schicken. Nicht unbedingt mit Antworten, nicht mit Belehrungen, nicht mit „so ist die Welt unbedingt“, sondern einfach mit Gedankenanstößen fürs eigene Leben.

Früher wurde das Theater als Medium benutzt, um das Publikum zu erziehen. Denkst du, das funktioniert?
Nein! Erziehung ist immer falsch, Gespräch ist richtig. Das Theater darf keine Erziehungsanstalt sein. Ich finde, wenn junge Menschen und auch erwachsene Menschen ins Theater gehen, können sie dort eine Sache lernen: Interpretation und Fantasie. Im Theater, kann ein Stuhl auch die Titanic sein oder man ruft „sieh nur dort, ein Elefant!“ und man glaubt das. Und man hat denselben Text und sieht ihn in verschiedenen Produktionen und Interpretationen und sieht dadurch, dass es verschiedene Meinungen und Auffassungen gibt. Und das ist das, was wir im gesellschaftlichen Diskurs brauchen, wir brauchen Menschen, die Fantasie haben und die in der Lage sind, sich in andere Meinungen hineinzuversetzen. Das ist genau das Problem unserer Gesellschaft, dass man immer nur noch sagt „was ich für richtig halte, das muss auch stimmen.“ Wir leben in einer Zeit, in der offensichtlich zu wenige Menschen ins Theater gehen. Diese wunderbare Grundeigenschaft von Theater ist ja auch: kein Sitz ist derselbe und jeder sieht einen anderen Abend. Deswegen finde ich es auch gut, wenn Leute eine Interpretation von mir doof finden, denn das ist doch der Beginn eines Gesprächs. Und das ist eigentlich für mich die Aufgabe von Theater, immer Fragen zu stellen und nie nur einfach zu sagen „wir sind lustig“. Es sollte aber immer auch lustig und schön anzugucken sein. Es ist kein Ort, in dem man trocken die Sachen verhandelt, sondern es ist ein Ort, in dem man spielerisch all unsere gesellschaftlichen Fragen verhandelt und das ist eigentlich die große Chance.

Hast du ein Thema, das deiner Meinung nach zu selten momentan in Musicals, Theaterstücken und Opern Platz findet?
Also ich hab demnächst seit etwa vier Jahren ein Kind und ich muss sagen, dass ich wirklich viel darüber nachdenke, dass die Realität und Perspektive, was ein Kind für Menschen bedeutet, was es für Einschränkungen bedeutet und was das mit der Frage der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in unserer Gesellschaft macht, wirklich erstaunlich wenig stattfindet. Und auch ein Thema, das bei „Kasimir und Karoline“ vorkommt: ich finde, dass zu wenig mit einer Liebe, und nicht als Parodie, Menschen aus nicht komplett gebildeten Schichten dargestellt werden. Und das ist etwas, was wir hier wirklich mit einer großen Ernsthaftigkeit versuchen. Solche Sachen müssen mehr dargestellt werden und wir müssen versuchen, da ein Abbild zu schaffen.

Eine weniger politische Frage zum Abschluss: Worauf können sich Operngänger*innen am meisten bei „Kasimir und Karoline“ freuen?
Man kann sich freuen auf ein wirklich tolles Stück, das, finde ich, sowohl lustig ist, als auch harte gesellschaftliche Fragen verhandelt. Was mit einer ganz tollen Besetzung ist, wir haben wirklich ganz tolle Leute, die das singen und spielen. Man kann sich da sowohl auf eine hohe schauspielerische als auch eine sehr hohe sängerische Qualität freuen. Man kann sich auf total neue Musik freuen, die ganz anders klingt, als alles, was hier in diesem Opernhaus war und trotzdem genau auch die Stärken mitnimmt, die so ein Orchester und ein Chor und alle weiteren Kräfte hier auch haben. Und ja, da kann man sich wirklich auch auf eine fette Show freuen, die einen total unterhält und mitnimmt und bei der man einen schönen, leichten Abend haben kann und genauso aber auch einen Abend zum Nachdenken.

Filine Hunger

 


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