Ein letztes Wort im Oktober

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, Deutschland ist zu kompliziert, zu langsam, zu teuer. Das wird momentan gerade wieder diskutiert. Die Erkenntnis ist aber nicht unbedingt neu, die Probleme sind seit Jahren bekannt. Durch die Krisen fällt uns das jetzt aber akut auf die Füße. Deutschland hat verschlafen, oder?

Sagen wir mal so, einige andere Länder sind momentan zumindest deutlich dynamischer unterwegs zu sein als wir. Und das hängt unter anderem damit zusammen, dass wir in der Tat leider viel Geld, Zeit, Kraft und Energie auf zu komplizierte Verfahren und Herangehensweisen verschwenden. Ein leider besonders bitteres Beispiel ist die Friesenbrücke in Weener bei Ostfriesland. Eines nebligen Novembermorgens im Jahre des Herrn 2015 näherte sich ein russischer Frachter der Friesenbrücke, das ist eine Eisenbahnbrücke, die dort seit 100 Jahren steht, und rammt einen Pfeiler. Glücklicherweise wird kein Mensch verletzt, der Frachter wird geborgen, aber die Brücke hat Totalschaden und muss ersetzt werden. Nach etwa sechs Wochen haben dann unsere niederländischen Nachbarn bei uns angerufen und gefragt, wann die Strecke denn wohl wieder offen sein werde. Und die zuständigen Stellen in Deutschland haben geantwortet: 2023, wenn es gut läuft. Die Niederländer dachten zuerst, das wäre ein Scherz. War aber keiner. Ich hoffe aber sehr, dass wir im nächsten Jahr nun die Wiedereröffnung feiern dürfen.

Fast zehn Jahre …
Die Konsequenz war aber tätige Reue. Wir haben ein paar Leute in die Niederlande geschickt, um denen dort mal über die Schulter zu gucken. Und das war wohl sehr spannend. Wie gehen die niederländischen Kolleginnen und Kollegen eine solche Aufgabe an? Als erstes plaudern sie miteinander mit unterschiedlichen Stakeholdern. Wir wollen diese Brücke neu machen, was fällt euch dazu ein, was müssen wir bedenken und so weiter. Das koste Zeit, die bekomme man aber hinterher, so sagen sie, drei- bis vierfach zurück. Dann gibt es auch in den Niederlanden vier Planungsabschnitte. Die Deutschen aber führen strikt und penibel einen Abschnitt nach dem anderen aus, jeweils mit einer eigenen Planung. Die Niederländer machen das parallel. Das spart natürlich viel Zeit. Und drittens sind die Niederlande zwar auch ein Rechtsstaat, aber wenn man dort in einem Gerichtsverfahren ein Argument gegen eine Maßnahme vorgetragen hat und damit nicht überzeugen konnte, dann war es das. Das ist die sogenannte Präklusion. Man kann in den Niederlanden nicht in mehreren Instanzen hintereinander dieselben Argumente vortragen wie in Deutschland. Darum hätte ein Ersatzbau wie die Friesenbrücke in den Niederlanden wahrscheinlich zwei oder drei Jahre gedauert, aber nicht neun, wie bei uns. Wir stehen uns also leider oft selbst im Weg.

Olaf Scholz möchte jetzt einen Deutschland-Pakt schmieden. Klingt erstmal gut. Aber bei der Bürokratie bin ich skeptisch. Sie zu entflechten, dazu bräuchte es ja Einigkeit in der Ampel und eine gemeinsame Richtung. Ich höre die Worte, aber ich glaube nicht dran.
Das ist auch eine Herkulesaufgabe, oder anders gesagt ein richtig hartes Stück Staatsreform. Wir haben aber punktuell auch schon gesehen, dass es klappen kann. Ein Beispiel ist der LNG-Terminal in Wilhelmshaven, der kurz vor Weihnachten eröffnet wurde. Ein echtes Leuchtturmprojekt. Wir können also auch in Deutschland ein Infrastrukturvorhaben in nur acht Monaten realisieren. Wenn wir es denn wollen. Damals war der Druck natürlich groß, die Energieversorgung musste sichergestellt werden, das musste funktionieren. Und es hat funktioniert. Robert Habeck hat im letzten Jahr auch im Bereich der erneuerbaren Energien viel Gutes auf den Weg gebracht. Da geht jetzt vieles schneller, Stichwort vorzeitiger Maßnahmenbeginn. Man wartet nicht bis zum letzten Gerichtsurteil, bis man zum ersten Mal eine Schaufel in die Hand nimmt. Das ist natürlich mit einem gewissen Risiko verbunden. Und jetzt besteht die Kunst darin, diese Erfahrungen zunächst im Bereich des Ausbaus unserer Infrastruktur zu verallgemeinern. Die Länder haben dem Bund bereits im letzten Jahr Vorschläge gemacht, der Bund hat geantwortet, jetzt haben die Länder die nächste Konkretisierungsstufe vorgenommen. Ich hoffe, dass wir namhafte Entbürokratisierungsschritte noch in diesem Jahr unter Dach und Fach kriegen.

Aber beschleunigen müssen wir nicht nur Infrastrukturprojekte …
Man muss das anschließend auf etliche andere Bereiche ausweiten. Wenn ich mir beispielsweise den Bereich Wohnungsbau ansehe, dann haben wir natürlich eine Vielzahl von unterschiedlichsten Auflagen und Verfahren, bis am Ende irgendwann einmal ein Haus errichtet ist. Sind alle diese Vorgaben und Standards wirklich notwendig? Wie machen es andere europäische Länder? Warum geht es da schneller? Unsere Prozesse zu verschlanken und zu beschleunigen, ist eine Herkulesaufgabe.

Als ein Heilmittel wird ja immer die Digitalisierung genannt. Aber dann sitzen die Leute in den Verwaltungen und drucken aus, was online eingepflegt wurde.
Ich denke schon, dass man mit der Digitalisierung schneller werden kann, aber eher nicht, wenn die Verfahren kompliziert bleiben. Wenn die Herangehensweise vereinfacht wird, dann kann man mit mehr Digitalisierung wirklich eine Menge rausholen. Ansonsten würde das viel weniger bringen.

Es gibt unfassbar viele Verordnungen, Gesetze, Gerichtsurteile, kaum jemand steigt noch durch. Wir ersticken in den Details. Wie legt man denn da die Axt an?
Man müsste mutig ein paar neue Maßgaben an den Anfang stellen. Wenn zum Beispiel nicht innerhalb einer bestimmten Frist entschieden wird, dann gilt ein Antrag als genehmigt. Das dürfte vieles schon wesentlich beschleunigen. Welche Erfahrungen macht man mit niedrigeren Standards im europäischen Ausland? Letztlich ist eine deutliche Vereinfachung unserer Regelwerke eine Aufgabe nicht nur für den Bundeskanzler und die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. Da müssen am Ende ganz viele sich mitverantwortlich fühlen und mitmachen. Das wird ein anstrengender Prozess, dessen Komplexität man nicht unterschätzen darf, der aber trotzdem notwendig ist.

Verwaltungsbeamte werden bei uns vor allem juristisch geschult, wir haben eine legalistische Verwaltungskultur. Muss man bei der Ausbildung ansetzen? Weniger Jura, mehr Management?
Naja, wir haben eine an Recht und Gesetz gebundene Verwaltung und das ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt.

Das stimmt einerseits. Andererseits haben wir so auch eine Kultur des sich Absicherns. Es geht oft um Selbstabsicherung, um nicht in die Haftung zu geraten. Und dann wird lieber ein Schritt zu wenig als einer zu viel gemacht.
Auch da ist sicher etwas dran. Leitungskräfte müssen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermitteln: Ich stehe hinter Dir, wenn etwas schief geht, musst nicht du das Risiko tragen, ich trage das Risiko. Das erfordert Mut auf allen Ebenen.

Und dann wägt jemand ab, hat auf der einen Seite ein immenses Risiko und auf der anderen Seite persönlich vielleicht gar keinen großen Nutzen, sondern im Zweifel nur mehr Arbeit. Ist es nicht das, was sich in Deutschland ziemlich lähmend auswirkt?
Es ist immer leichter, politische Forderungen aufzustellen, als dann die Folgen praktisch durchzuhalten. Politik muss dann auch in der Umsetzung den Rücken breit machen. Nehmen Sie wieder das Beispiel des LNG-Terminals in Wilhelmshaven: Da hat sich Olaf Lies nicht nur massiv mit reingehängt, sondern auch die politische Verantwortung getragen.

Braucht es nicht insgesamt einen Wandel in den Köpfen, dass man wirklich auch von oben vermittelt: ihr könnt, ihr dürft, ihr sollt?
Genau darum geht es. Politik muss selbst mutig sein, neue Herangehensweisen vorleben und dafür werben. Wir sind bislang noch zu wenig ergebnisorientiert in Deutschland. Und das müssen wir jetzt zügig ändern.

Interview: Lars Kompa
(das Gespräch wurde Ende September geführt)

 


Schlagwörter: , ,

Diesen Beitrag kommentieren

Stadtkind twittert