… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, wie war der Urlaub? Batterien wieder voll?
Mein Urlaub war rundum schön. Ich teile meinen Sommerurlaub ja immer ein bisschen auf. Zuerst war ich wandern im Riesengebirge, das hatte ich bisher noch nicht so auf dem Zettel, ist aber ein wirklich wunderschönes Wanderrevier mit großartigen Wäldern und beeindruckenden Felslandschaften. Wirklich sehr zu empfehlen für alle Tippelbrüder und Tippelschwestern. Und dann war ich mit meiner Frau in den Alpen im nördlichsten Italien, kurz vor der Grenze zur Schweiz. Da hatten wir ebenfalls eine richtig gute Zeit und auch nicht so viele Wetterkapriolen. Ich bin also mit aufgeladenen Akkus zurück am Schreibtisch und voller Tatendrang.
Hatten Sie Zeit für das Nebelmeer. Mal ein bisschen in die Landschaft gucken und den Kopf freikriegen? Neue Horizonte entdecken?
(Lacht) Ich hatte Zeit, mal die verschiedenen Horizonte zu sortieren. Es ist ja im Moment vieles in Bewegung – von der Energiewende über die Wirtschaftstransformation bis zur Künstlichen Intelligenz. Aber ja, das geht mir beim Laufen so und das geht mir beim Wandern so, da bekomme ich die besten Gedanken und kann eine Menge sortieren. Und gleichzeitig ist das für mich auch eine Form von aktiver Erholung. Es gibt wirklich nichts, bei dem ich mich so gut erholen kann wie beim Wandern.
Dann kehren wir mal gut erholt zurück in die Niederungen des bundesdeutschen Alltags. Und da haben wir nach wie vor ein Thema, das gibt immer mehr Anlass zur Sorge. Die AfD hat in Umfragen inzwischen die SPD überflügelt. Das scheint nicht nur ein kurzes Zwischenhoch zu sein. Verfestigt sich da ein Trend?
Nicht zwangsläufig. Wir haben an dieser Stelle ja schon häufiger darüber gesprochen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass ein großer Teil der momentanen Zustimmung für die AfD eine Reaktion darauf ist, dass auf die Menschen von allen Seiten massive Veränderungen einprasseln, und sie gleichzeitig den Eindruck haben, dass sie sich auf den Staat nicht verlassen können. Das heißt für mich ganz klar, wenn die AfD schwächer werden soll, dann müssen die anderen Parteien wieder besser werden. Diejenigen, die in der Regierung sind, müssen Verlässlichkeit und Orientierung vermitteln, Vertrauen schaffen, und diejenigen, die in der Opposition sind, müssen erfolgversprechende Gegenvorschläge zur Regierung bieten. Beides gelingt im Augenblick nicht ausreichend, das gilt für die Ampel und das gilt in Berlin auch für die CDU/CSU. Die Union müsste ja unter normalen Bedingungen eigentlich in den Umfragen von der Schwäche der Regierungsparteien profitieren, tut sie aber nicht. Auch in Niedersachsen sind die AfD-Werte zwar deutlich zu hoch, aber auch noch deutlich unter den Bundeswerten. Das mag daran liegen, dass wir es in Niedersachsen einigermaßen hinbekommen, mit unserer Landespolitik Vertrauen zu schaffen.
Was ich für absolut elementar halte in diesen Zeiten, das ist, dass die Mitte sich mehr zu Wort meldet. Seit Harald Welzer mit Richard David Precht die Köpfe zusammensteckt, bin ich ja öfter eher skeptisch, aber die These Welzers, dass Demokratien nicht wegen zu starker Ränder kippen, sondern wegen einer zu trägen Mitte, die zu spät reagiert, das halte ich für sehr stichhaltig und einleuchtend. Die Mitte in Deutschland scheint mir aber momentan im Dornröschenschlaf. Und noch schlimmer, ich erlebe bei bestimmten Themen auch zunehmend ein eher gleichgültiges, müdes Schulterzucken. Da läuft schon eine Weile so eine schleichende Verschiebung des Diskurses nach rechts. Sehen Sie das ähnlich?
Ich sehe diese Tendenzen mit großer Sorge. Ich habe Verständnis für Menschen, die momentan an vielen Stellen ratlos oder verunsichert sind und teilweise auch sauer auf die Politik. Mal ein kleiner Einschub: Um als Ministerpräsident nicht Ärger wegen mangelnder Neutralität zu bekommen, äußere ich mich mal kurz als SPD-Landesvorsitzender und sage klipp und klar: Die AfD löst keine Probleme, sie ist ein Problem. Es handelt sich um eine Partei, die in hohem Maße rechtsextrem beeinflusst ist. Der Verfassungsschutz hat genug Gründe, um die AfD zu beobachten. Wir müssen unsere Demokratie schützen vor diesen Leuten. Am Ende gilt immer noch das alte Wort von Winston Churchill: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ Und gerade in Deutschland müssten alle wissen, dass unsere Demokratie uns über Jahrzehnte Frieden, Freiheit und Wohlstand gebracht hat. Das gilt insbesondere für die von Ihnen eben genannte Mitte. Das ist etwas völlig anderes als das nationalistisch- autoritäre Denken, das die AfD kennzeichnet. Nicht alle Wählerinnen und Wähler der AfD sind rechtsradikal oder rechtsextrem, aber sie wählen rechtsextrem – das muss jeder und jedem bewusst sein.
Die AfD ist ja sehr strategisch unterwegs, vor allem im Osten Deutschlands trifft man sie in Vereinen, in der Feuerwehr, sie sind nah dran und engagiert. Während beispielsweise SPD oder CDU vor Ort eher nicht so aktiv und sichtbar sind.
Mit solchen Aussagen wäre ich sehr vorsichtig. Die AfD versucht dieses Bild zu vermitteln, ob dieses den Tatsachen entspricht, würde ich doch sehr bezweifeln. Jedenfalls im Westen stimmt es definitiv nicht. Die anderen Parteien haben deutlich mehr Mitglieder und viele sehr engagierte Menschen in ihren Reihen. Man muss aufpassen, dass man den Erzählungen der AfD als „Partei des kleinen Mannes“ nicht auf dem Leim geht – zahlreiche Führungsköpfe der AfD gehören der vermeintlichen Elite an, die die Partei so gerne kritisiert.
Muss man es nicht trotzdem versuchen, die Basisarbeit wieder zu verstärken?
Natürlich! Ich kann nur alle aufrufen, sich vor Ort zu engagieren – davon lebt die Demokratie. Und man muss eben gleichzeitig auch von Seiten der Regierungen für Vertrauen sorgen. Und da ist leider manches in letzter Zeit schiefgelaufen, Stichwort Heizungsgesetz. Es gab sehr viel Konfusion und öffentlichen Streit und darüber ist dann letztlich auch der richtige und wichtige eigentliche Ansatz des Gesetzes völlig in den Hintergrund getreten. Also, die Regierungen müssen gut sein, die Opposition muss gut sein. Und gleichzeitig müssen wir tatsächlich auch versuchen, überall als Demokratinnen und Demokraten präsent zu sein, aktiv zu sein und nicht passiv. Und das ist nicht nur eine Sache der Parteien. Die Demokratie geht uns alle an. Es ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, unsere Demokratie so zu festigen, dass sie eben auch in unruhigen Zeiten stabil bleibt. Demokratien scheitern meistens nicht daran, dass sie zu viele Feinde haben, sondern dass sie zu wenig Freunde haben. Wir sind in Deutschland zum Glück nicht so weit, dass unsere Demokratie akut in Gefahr ist, aber wir erleben Verschiebungen und Tabubrüche.
Was halten Sie denn von den sogenannten Bürgerräten zur Stärkung der Demokratie? Der erste zum Thema „Ernährung im Wandel“ ist ja jetzt gerade an den Start gegangen.
Alles in allem können Bürgerräte durchaus eine sinnvolle Ergänzung sein. Im Prinzip aber sind wir mit unserer starken parlamentarischen Demokratie und einer starken Zivilgesellschaft bisher in Deutschland ganz gut gefahren. Ich finde es dennoch absolut in Ordnung, dass man das jetzt ausprobiert, erwarte allerdings auch keine bahnbrechenden Ergebnisse. Es gab ja auch bei den Grünen mal den Gedanken, je mehr Partizipation stattfindet, desto schneller kommen wir voran – das kann sein, muss aber nicht sein.
Ich sehe gar nicht so sehr die Gefahr, dass die Vorschläge nicht fortschrittlich genug sind, ich sehe eher die Gefahr, dass so ein Bürgerrat beispielsweise zur Verkehrswende ganz klar feststellt, dass wir sofort ein Tempolimit brauchen, die FDP dann aber trotzdem ablehnt, weil sie ihrer Klientel das nicht zumuten möchte. Da ist also ein Bürgerrat mit nachvollziehbaren und klugen Vorschlägen und die Ergebnisse werden nicht gehört …
Das ist auch ein wichtiger Punkt. Wenn ich diese Form der Partizipation zulasse, dann darf ich die Ergebnisse im Nachgang natürlich nicht einfach wegwischen, aber auch die Entscheidungen gewählter Repräsentanten nicht einfach übergehen. Gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig, dass Bürgerräte die Machbarkeit ihrer Vorschläge mitbedenken. Sie müssen sich fragen, wie die Vorschläge umgesetzt und finanziert werden könnten. Nehmen wir das Thema Ernährung: bei Umfragen gibt es sehr hohe Zustimmungswerte für mehr Tierwohl, aber an der Supermarkttheke wird dann doch eher zum billigsten Angebot gegriffen.
Interview: Lars Kompa
(das Gespräch wurde Ende August geführt)