Stadtkinder bewältigen den Alltag im April

Tatoo Tataa

„Living on the edge“

oder: How to nearly die in Ricklingen

Für die kommende Geschichte muss ich ein bisschen ausholen – sagen wir mal, acht Jahre.
Vor acht Jahren waren meine Freundin und ich beide frisch getrennt und fanden, wir müssten uns mal einen Wikinger aufreißen. So einen großen, blonden Schönen mit langen Haaren und Bart, der allein mit seinem Blick Birken entwurzeln kann. Uns wurde klar, dass wir den wohl am ehesten in Schweden finden würden und fuhren deshalb hin.

Tatsächlich fand ich genau ein solches Exemplar. Und zwar in einer Unisextoilette auf einer Party, zu der ich nicht eingeladen war. Es mag an der Lokalität gelegen haben, aber irgendwie wollte keine romantische Stimmung aufkommen. Das einzig Amouröse, das meine Freundin und ich in diesem Urlaub erlebten, waren der Verzehr von Schokoküssen und die Tatsache, dass uns zwei glubschäugige Engländer hinterherliefen, die nun wirklich so gar nichts Wikingerhaftes an sich hatten.
Dafür wären wir mehrere Male fast gestorben (erfroren, weil verlaufen, überfahren, von Joggern übergemangelt und in einen illegalen Hundekampf verwickelt). Living on the edge!

Es wurde unser Motto für die kommenden Tage.

Das, dachten wir, würde ein Urlaub sein, von dem wir noch lange erzählen würden – was stimmte. Wir fanden, wir hätten uns eine Medaille verdient; ähnlich, wie man Veteranen das Purple Heart oder so verleiht, allein dafür, dass wir diese Reise überlebt hatten.
Und wenn schon keine Medaille, dann zumindest ein Tattoo. Da wir mit den Wikingern wohl fertig waren, musste etwas anderes Liebenswürdiges aus Schweden herhalten: Ein Mumin!
Und nun, sage und schreibe acht Jahre nach unserem Urlaub, haben wir es gemacht. Jede von uns trägt nun einen hüpfenden Mumin auf dem Schienbein spazieren.
Und weil wir gerade, wie meine Freundin sagte, die „Memory Lane“ hinabspazierten, fanden wir, wir müssten dieses Erlebnis mit einem Wodka besiegeln (in Schweden hatte nämlicher nicht unerheblich zu unserer Lebensgefährdung beigetragen). So stürmten wir in die nächste Pinte und bestellten jeder ein Bier und einen Schnaps. Dumme Idee.

Erinnert sich noch jemand daran, wie im dritten Teil von Harry Potter Harry und Ron in die Spinnensenke kommen und von allen Seiten widerliche Viecher auf sie zu kriechen? Jep, so war’s bei uns auch. Ein besonders anhängliches Exemplar nannte sich Susie („mit e!“), befingerte unsere Haare, Rücken, Hände und redete dabei unablässig. „Oh, ihr seid aber eine Erscheinung! Das passiert hier nicht so oft, könnt ihr morgen wieder kommen?“ Weitere geifernde Gestalten, deren gelbe Augen bedauerliche Rückschlüsse auf den Zustand ihrer Lebern zuließen, näherten sich uns, man lockte uns mit weiteren Kaltgetränken und lud uns auf ein „Kultgetränk“ ein, das je zur Hälfte aus Pfefferminz- und Anisschnaps bestand.
Es zwar Zeit, Reißaus zu nehmen und dieses Lokal zu verlassen, bevor gleich noch ein zweiter Fritz Honka um die Ecke schleicht und uns abmurkst, denn eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dieser Kneipe hier und dem Goldenen Handschuh bestand durchaus.

Wieder in der Sicherheit der Öffentlichkeit:

„Knapp entkommen – alles deine Schuld!“

„Mag ja sein, aber du kannst nicht sagen, dass du mit mir nichts erlebst.“

„Nee!“

„Nee.“

„Living on the edge, so ist das nämlich.“

„Ja, so ist das. Auf die nächsten acht Jahre!“

IH

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