Ein letztes Wort im April

Ein letztes Wort

mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil


Vorab noch nachträglich Glückwunsch zum Zehnjährigen in der Staatskanzlei. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Bilanz?
Das ist ja fast schon wieder verjährt. Es kommt mir nicht so lange vor, was daran liegen mag, dass es ein Jahrzehnt der Krisen war. Aber ja, ich bin ganz zufrieden. Und vor allem macht mir meine Arbeit immer noch genauso viel Freude wie am ersten Tag.

Für den Blick zurück bleibt auch momentan kaum Zeit, weil einfach zu viele Themen parallel heiß diskutiert werden, aktuell zum Beispiel das Aus für das Verbrenner-Aus – die FDP hat sich in Brüssel quergelegt. Und dann auch noch das angedachte Verbot von Öl- und Gasheizungen ab 2024 aus dem Hause Habeck. Was ist Ihr Standpunkt zu diesen Themen?
Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, dass ich das Veto zum Verbrenner-Aus nicht verstanden habe. Dieses Thema hat eine lange Vorgeschichte mit vielen Diskussionen, die gesamte Automobilindustrie hat sich darauf eingestellt und längst einen Haken dran gemacht. Es gibt kein nennenswertes Automobilunternehmen mehr, das nicht massiv in Elektromobilität investiert. Die E-Fuels sind für PKW wirklich ein Randthema. Für mich ist das gar keine Ideologie-Frage. E-fuels sind unter dem Strich CO2-neutral, das ist gut. Aber sie haben einen großen Nachteil: Sie sind teuer, weil sie sehr viel Energie benötigen und die Produktion aufwendig ist. Da reden wir über einen großen Preisunterschied zum Elektro-PKW.

Was sagen Sie zu Habecks Heizungsplänen?
Das Thema ist absolut wichtig. Wenn wir in Zukunft klimaneutral werden wollen, kommen wir um Gebäudedämmungen und neue Heizungssysteme nicht herum. In diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert ist, Peter Altmaier hat sich an diese schwierige Thema nicht herangetraut. Insofern ist es gut, dass jetzt die Öl- und auch Gasheizungen auf die Agenda kommen. Aber man sollte nicht versuchen, das im Hauruck-Verfahren durchzuziehen. Es ist wichtig, dass alle mitgehen können, dass es ausgewogen bleibt und dass die Leute nicht überfordert sind.

Kann man das Ende der Diskussionen vielleicht so vorwegnehmen: Das Aus für die Verbrenner kommt so oder so, das Aus für Habecks Vorschlag in der Form kommt ebenfalls so der so?
Nein, wir müssen ran an die Wärmewende. Es ist Robert Habeck wirklich hoch anzurechnen, dass er sich die Gebäudewirtschaft vornimmt. Aber es muss eben auch realistisch sein, damit der Start gelingt. Man wird da jetzt alle an einen Tisch holen müssen, die Bauwirtschaft, die Gebäudewirtschaft, die Energiewirtschaft, die Wohnungswirtschaft. Dafür braucht es einen gut durchdachten Prozess, einen realistischen Weg. Wie schnell geht das, was kostet das alles und wer zahlt das? Wir haben in Niedersachsen zum Beispiel gerade im eher ländlichen Raum viele ältere Menschen, die in Häusern mit Ölheizungen wohnen. Sie bedauern oftmals ihren hohen CO₂-Ausstoß, sehen aber von jetzt auf gleich keine Alternative, die sie sich leisten können. Für solche Probleme muss man die richtigen Antworten finden. Ich würde mir bei diesem Thema sehr viel differenziertere Diskussionen wünschen.

Sie werden aber in den einschlägigen Talkshows alles andere als differenziert geführt. Wenn Sie diese Diskussionen verfolgen und teilweise ja auch selbst in den Runden sitzen, so wie neulich bei Anne Will, wie genervt oder auch gelangweilt sind Sie eigentlich davon? Der FDP geht es offensichtlich nur noch darum, das eigene Profil zu schärfen. Die CDU kritisiert, dass die Ampel jetzt nicht schnell genug alle Versäumnisse nachholt, die uns die Regierungszeit der CDU eingebrockt hat. Es wird viel geredet, teilweise auch völliger Unsinn, und die Zuschauer dürfen dann in diesem Nebel herumstochern, das ist ganz oft mein Eindruck …
Ich hatte bei Anne Will den Eindruck, dass es durchaus auch Diskussionsteilnehmer gab, die sich sehr bemüht haben, vernünftig zu argumentieren (lacht). Aber im Ernst, mich machen solche Diskussionen auch nicht glücklich. Ich befasse mich nun schon sehr lange mit Energiepolitik und bin überzeugt, dass wir für den Klimaschutz längst weitaus mehr hätten tun können und müssen. Klimaschutz ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Und gerade darum brauchen wir durchdachte Pläne, die überzeugen, keinen platten Populismus, keine Scheindiskussionen. Nur so bekommen wir für den Klimaschutz die gesellschaftliche Zustimmung, die es braucht. Ich setze mich in diese Diskussionsrunden, weil ich für dieses Thema werben und es gerade nicht den Bremsern überlassen möchte. Und ja, manchmal nerven mich manche Diskussionsbeiträge dann auch. Die Themen sind zu wichtig, als dass man leichtfertig damit umgehen dürfte.

Ich verfluche hin und wieder den Tag, an dem die Talkshow erfunden wurde. Sie auch?
Nein, ich würde Talkshows nicht pauschal verteufeln. Ich kann mich durchaus an Sendungen erinnern, die bei mir zu Erkenntnisgewinnen geführt haben.

Finden Sie eigentlich, dass wir gesellschaftlich gerade wirklich über die richtigen Fragen diskutieren? Unterm Strich geht es für mich um zwei ganz wesentliche, übergeordnete Punkte: Schafft es die Welt, eine Klimakatastrophe noch abzuwenden? Und schaffen es die Demokratien durch die kommenden Jahre? Wenn ich mir hier in Deutschland den politischen Betrieb so ansehe, sehe ich da ehrlich gesagt ein bisschen schwarz.
Über den Klimaschutz ist tatsächlich lange genug geredet worden. Das Thema gehört jetzt auf die operative Ebene. Wie genau schaffen wir das? Was können und müssen wir wie bis wann umsetzen? Bei der Demokratie gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wir werden aber unsere Demokratie ganz sicher nicht durch abstrakte Diskussionen schützen und festigen. Ich denke, der beste Schutz vor antidemokratischen Kräften ist eine überzeugende, glaubwürdige Politik. Ich brauche nicht die fünfundneunzigste Sonntagsrede über Demokratie. Wir brauchen klare und schnelle politische Entscheidungen. Mir fehlt bei einigen Themen die Stringenz in der Umsetzung.

Wenn ich mir diese beiden Fragen vorlege, führt mich das zu einer weiteren, sehr großen Frage: Schafft es die Welt, den Kapitalismus einzufangen und einzuhegen? Würde das gelingen, würde ich auch bei den zwei anderen Fragen nicht ganz so schwarzsehen.
Ich sehe als Grundmodel eigentlich keine Alternative zu unserem System, aber wir müssen es schaffen, den Kapitalismus zu bändigen, ihn sozialer und nachhaltiger auszugestalten. Wir brauchen einen gesellschaftlich kontrollierten Kapitalismus.

Wir sehen ja weltweit ganz offensichtliche Fehlentwicklungen im Kapitalismus, einzelne Menschen werden unfassbar reich, während viele andere hungern. Bei uns steht der Konsum im Vordergrund, Wachstum ich das höchste Gebot und in anderen Teilen der Welt zerstört der Klimawandel die Lebensgrundlagen. Und dann bekommt Olaf Scholz zwischendurch Besuch aus Bhutan und freut sich über das Bruttonationalglück – aber dann geht es weiter um den deutschen Wohlstand, der in Euro und Cent gemessen wird …
Das sind jetzt echte Grundsatzfragen: Wie definiere ich mein persönliches Glück? Was ist mir und was ist uns als Gesellschaft wichtig? Die Menschen treffen ihre ganz eigenen, privaten Entscheidungen. Aufgabe der Politik, aber auch gesellschaftlicher Institutionen ist es, dafür zu sorgen, dass es einigermaßen gerecht zugeht und dass wir Klima- und Umweltschutz einen größeren Raum geben. Für Teile der jüngeren Generation hat Nachhaltigkeit heute eine sehr viel größere Bedeutung als für frühere Generationen. Das ist auch dringend notwendig. Wir beobachten aber auch die Tendenz, die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zu hinterfragen und mehr Wert auf Zeit und weniger auf Geld zu legen. Das passiert allerdings bei nicht wenigen auf einem recht hohen, als selbstverständlich wahrgenommenen materiellen Niveau. Das durchschnittliche Nettoeinkommen in Deutschland gibt das kaum her. Meine Sorge gilt eher der alleinerziehenden Mutter oder dem Arbeiter, der knapp oberhalb des Mindestlohnes irgendwie eine Familie durchbringen muss. Da misst sich ein bisschen mehr Glück dann sehr wohl auch in Cent und Euro. Mich treibt eher um, dass sich einige Menschen angesichts des alltäglichen Drucks mehr und mehr ins Private zurückziehen. Ich möchte, dass sie sich stattdessen als Teil einer solidarischen Gemeinschaft fühlen können, in der sich jede und jeder nach Kräften engagiert.

 

Interview: Lars Kompa


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