El Kurdis Kolumne im Februar

Der surrende Satan auf Rädern

Ich habe keinen Führerschein. Und das aus guten, nicht etwa aus Alkohol-assoziierten Gründen.
Das muss ich stets dazu sagen. Ich bekomme sonst augenblicklich diese verständnisvollen, solidarischen Blicke aus der Trinker-Community zugeworfen.
Nein, man hat mir die Fahrerlaubnis – um mal die alte DDR-Terminologie zu benutzen – nicht weggenommen:
Ich habe den Führerschein einfach nie gemacht.
Ich hielt tägliches Auto fahren und vor allem das Besitzen eines eigenen Autos schon vor 40 Jahren für ökologisch nicht sinnvoll. Ich gehe zu Fuß, ich benutze Busse und Bahnen, wenn es nicht anders geht steige ich auch mal in ein Taxi – meistens aber fahre ich Fahrrad.

Das Fahrrad ist unzweifelhaft die größte Erfindung seit dem Regenschirm! Es mag unspektakulär klingen, aber mal ehrlich: Es schüttet wie aus Eimern und man kann, ohne sich die Frisur zu ruinieren, von A nach B gehen? Hammer! Das ist kurz vor Zauberei! Ähnlich para-metaphysisch wie Regenschirme sind Geschirrspülmaschinen: Sie eröffnen dem Menschen die Möglichkeit mit anderen Menschen zusammenzuleben, ohne sich nicht mit ihnen wegen vertrockneter Milchreiskrusten oder Schimmelplantagen auf dem Porzellan schlagen zu müssen. Oder gar die Notwendigkeit zu sehen, jemanden zu töten. Was für ein Zivilisationssprung!

Und ebenso magisch und gleichzeitig auch noch gesellschaftlich progressiv ist das Rad. Man braucht kein Benzin, kein Gas, keinen Dampf, keine Sklaven, die es ziehen oder schieben – man kann sich nur mit der eigenen Muskelkraft drei, vier, fünf Mal schneller bewegen als man gehen kann. Ist man erschöpft, steckt man sich ein Stück Schokolade in den Mund und trinkt eine Irgendwasschorle – und weiter geht’s.
Und man belastet mit dem Rad – außer bei der Herstellung – die Umwelt nicht. Führen alle Rad, müssten sich junge Menschen nicht auf Straßen festkleben. Und die „Welt“ hätte nichts zum hämisch kommentieren und Markus Lanz nichts zum talken.
Zudem kann man sich mit dem Fahrrad fit halten, das Herz-Kreislaufsystem in Schuss bringen und, sofern man das möchte, sogar abspecken – ohne Zeit mit Sport zu vertrödeln und sich dabei zu Tode langweilen zu müssen. Man sportelt – wie man in Österreich sagt – nebenbei, en passant, während man sich beeilt, um einen privaten oder geschäftlichen Termin einzuhalten.
Also: Alles gut!
Wenn da nicht diese Weiterentwicklung wäre …
Ich möchte auf keinen Fall missverstanden werden. Selbstverständlich gibt es Menschen mit körperlichen Einschränkungen – sei es aufgrund des Alters, einer Krankheit oder einer Behinderung – für die ein E-Bike oder Pedelec ein Segen ist.
Auch für Pendler, die, statt sich feist und faul ins Auto zu setzen, tapfer jeden Tag 45 oder 60 Minuten radeln, um zur Arbeit zu kommen. All diesen Menschen gönne ich das Akkurad von Herzen. Aber der Rest der E-Biker hat nicht mehr alle Latten am Zaun. Viele von ihnen benehmen sich wie lichthupende, drängelnde, auf-die-Stoßstange-auffahrende, FDP-wählende BMW-Fahrer auf der Autobahn.
Man rollt vielleicht grade mit einer gewissen somnambulen Verträumtheit leicht mittig und über philosophische Fragestellungen sinnierend auf dem Radweg daher, da hört man eine aggressive Klingel. Man dreht sich kurz um, sieht in einiger Entfernung einen normalen, nicht schwitzenden, sich nicht anstrengenden Menschen um die vierzig oder fünfzig, vielleicht dezent übergewichtig wie man selbst, auf einem völlig unauffällig aussehenden Fahrrad und denkt: Okay, der fährt jetzt so ungefähr 15 Stundenkilometer. Maximal. Keine Ahnung, warum der klingelt. Aber wenn er ein bisschen in die Pedale tritt und sich Mühe gibt, kann er vermutlich doch demnächst zur Überholung ansetzen. Man ist natürlich bereit, ihn passieren zu lassen. Warum auch nicht. Wenn er es denn eilig hat.
Aber da wird man auch schon – mitten im Gedanken – leise surrend, aber um so brutaler gebodycheckt, weil der Raser beim Überholvorgang nur geringfügig bis gar nicht von seiner graden Linie abweicht, schließlich hat er ja geklingelt. Man ist also selbst schuld…. Man spürt dabei den Fahrtwind des vorbeizischenden E-Bikers auf der Wange, das eigene Rad taumelt wie ein angeschossenes Reh, und man kippt im besten Fall seitlich auf den Gehweg und schubbert noch einige Meter mit dem Gesicht auf dem Asphalt entlang.
Irgendwann rappelt man sich wieder auf, sortiert die Knochen, leckt sich die Wunden und denkt: Ja, auch das E-Bike ist Magie. Aber keine weiße.
Es ist klassischer Schadenszauber. Maleficum.
Das E-Bike ist der Teufel.

● Hartmut El Kurdi


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