Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Ausgabe gibt es ausnahmsweise kein Titelgespräch, sondern ein paar recht persönliche Gedanken zum Jahresende.
Ich habe in den vergangenen Monaten für meine Interviews einige wirklich spannende Menschen getroffen, mit teils sehr unterschiedlichen Hintergründen und Professionen, und ich habe nach meinen Gesprächen mit jeder neuen Ausgabe viele Reaktionen bekommen – Meinungen, Eindrücke, Stimmungen, sehr viel Feedback.
Oft positive, konstruktive Reaktionen, aber natürlich auch negative.
Und dann gibt es zwischendurch natürlich auch jene, die einfach mal zum Hörer greifen, um mir zu sagen, was sie mit mir anstellen würden, wenn wir mal eine Minute allein wären, wobei diese Anrufer allerdings immer davon sprechen, dass sie gar nicht allein vorbeikommen würden. „Wir kriegen dich!“, so oder so ähnlich die übliche Drohung, begleitet von diversen Nettigkeiten.
Ich finde erstens, dass man meine Mutter da rauslassen sollte, und ich bin mir zweitens gar nicht sicher, ob ich mittlerweile verstanden habe, was „links-grün-versifft“ eigentlich bedeutet. Wenn ich höre, wie Linke über Grüne reden, und umgekehrt, passt das zumindest im Moment nicht so wirklich zueinander.
Versifft meint wahrscheinlich, dass Gedanken und Ideen aus diesem politischen Spektrum eher nichts wert sind, sozusagen gedanklicher Müll. Ich bin da stellenweise ganz anderer Meinung. Ja, ich bin sogar ziemlich überzeugt davon, dass diese grundsätzliche und vehemente Ablehnung „linker“ Ideen sehr oft mit der Totalverweigerung zu tun hat, weiter über eine Sache nachzudenken als die eigene Nase lang ist. Denn das würde ja bedeuten, sich mal aus der Komfortzone der eigenen Gewissheiten hinausbewegen zu müssen. Für manche Menschen anscheinend eine unlösbare Aufgabe.
Wie auch immer, ich diskutiere sowieso viel lieber mit Menschen, die sich keinen Stacheldraht ums eigene Hirn gewickelt haben, die noch bereit sind, dazuzulernen, zu hinterfragen, zu grübeln und zu zweifeln – auch an sich selbst.
Ich zweifle momentan ziemlich umfassend. Und ich gelange immer wieder zu einer ganz zentralen Frage: Habe ich eigentlich genug getan? Und daran schließt sich für mich gleich eine zweite, ebenfalls sehr zentrale Frage an: Was kann ich jetzt noch tun?
Ich weiß, dass ich mit meiner Hilflosigkeit und Ratlosigkeit alles andere als allein bin. Unsere Welt brennt lichterloh an so vielen Stellen.
Und es geschieht so wenig, die zahlreichen Brände zu löschen oder wenigstens einzudämmen.
Wenn man nicht völlig durchdrehen möchte, muss man sich zwischenzeitlich ganz bewusst ausklinken aus den täglichen Nachrichten. Man kann sich nicht jeden Tag das ganze Elend dieser Welt geben.
Was allerdings ganz und gar nicht heißt, dass man einfach generell die Augen verschließen sollte, nach dem Motto: Was gehen mich die Probleme der anderen an? Wenn es eine Erkenntnis gibt aus den Entwicklungen der vergangenen Monate, dann, dass wirklich alles mit allem zusammenhängt und dass nichts für immer eine Selbstverständlichkeit bleibt. Frieden, Wohlstand und Demokratie sind offensichtlich keine Geschenke, wir werden dafür künftig hart arbeiten müssen.
„Die große Verunsicherung“, so habe ich meine kleine Gedankensammlung überschrieben. Ich möchte nachdenken über Angst, Wut und Egoismus, bei mir selbst und in unserer Gesellschaft. Ich habe insgesamt einen sehr klaren Standpunkt. Und ich glaube, es ist in diesen Zeiten essenziell, den eigenen Standpunkt klarzumachen, sich eindeutig zu positionieren. Und Kritik auszuhalten, den Rücken durchzudrücken. Mehr dazu in dieser Ausgabe auf Seite 54.
Noch etwas liegt mir am Herzen: Fast zeitgleich mit dem Stadtkind erscheint Ende November auch wieder unser Einkaufsführer KaufLust. Und wir werden das in diesem Jahr mit einer recht großen Kampagne „Einkaufen nebenan!“ begleiten, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung Hannover und darüber hinaus unterstützt von der Hannoverschen Volksbank, meravis und der VGH. Ein ganz großes Dankeschön an dieser Stelle! Mehr zur Kampagne auf Seite 43.
Und nicht zuletzt: Lieber Martin, herzlichen Glückwunsch zu deiner Kolumne Nr. 100 in dieser Ausgabe. Dein Elterntagebuch möchte ich nicht missen im Stadtkind, gerade weil ich nicht immer deiner Meinung war und wahrscheinlich auch künftig nicht immer sein werde. Alles andere wäre ja langweilig. Ich freue mich auf die nächsten 100.
So, geschafft! Ich wünsche uns allen friedliche Weihnachten!
Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind