Mussolinis neue Flamme
Unter den Rechtsradikalen und Rechtsextremen gibt es zwei Phänotypen:
Zunächst ist da die kleinere Gruppe, deren Mitglieder es sexy finden, sich offen zu ihrer Haltung zu bekennen, und die darauf bauen, dass es ihrer Anhängerschaft ebenso geht. Hierzulande lässt sich diese Klientel gerne mal „Hergestellt in Deutschland“ oder „88“ in den Nacken tätowieren, trägt T-Shirts mit dem ans Hakenkreuz erinnernde „Sonnenrad“ oder mit der Konsonantenansammlung „HTLR“ und skandiert bei Demos „Frei, sozial und national“.
Klassische Nazis eben.
Und dann gibt es die Anderen, die Erfolgreichen: Bei uns heißen sie AfD, in anderen Ländern Sverigedemokraterna, FPÖ, Fratelli d’Italia, Partij voor de Vrijheid oder Rassemblement National.
Diese Parteien behaupten, sie wären demokratisch und „bürgerlich“. Nur eben sehr patriotisch und konservativ. Manche geben auch vor, „liberal“ zu sein. Und sie propagieren „die Familie“ und anständigen, heterosexuellen ungegenderten Penis-Vagina Sex am Sonntagmorgen.
Sie fressen Kreide, weil sie wissen, dass sich das Wähler*innen-Potenzial für ausformulierten Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus – zumindest im Moment noch – in Grenzen hält.
Also faseln sie stattdessen von „traditionellen Werten“, vom „Christentum“, von „Freiheit“ – und lassen ihren inneren Gauleiter nur ab zu aus sich herauskrakeelen.
Aus Sicht der Rechtsradikalen eine schlüssige Taktik.
Warum aber viele Medien darauf hereinfallen, bleibt ein Rätsel.
Wenn zum Beispiel – aus aktuellem Anlass – immer wieder von den „rechtspopulistischen“ Schwedendemokraten, oder den „postfaschistischen“ Fratelli d’Italia,
den „Brüdern Italiens“, die Rede ist, denkt man sich: Ah, das ist also dieses berühmte „Framing“. In diesem Fall ein zwar paradoxes, aber in der Konsequenz positives – im Sinne der Rechten: Die Journalist*innen denken, diese Begriffe wären kritisch, die Nazis wissen, dass sie das nur sehr bedingt sind und klatschen vor Freude in die Hände: „Populistisch“ heißt eben nicht „radikal“ oder „extrem“, und „post“ ist irgendwas mit „nach“ oder „später“ und hat mit dem Eigentlichen nicht mehr viel zu tun.
Da können in Deutschland investigative Redaktionen und die Antifa – mitunter sogar der Verfassungsschutz – noch so oft die Verbindungen der AfD zu aktiven Nazis aufdecken – in den meisten journalistischen Beiträgen bleibt das Standardadjektiv: „rechtspopulistisch“.
In Bezug auf das rechtsradikale Drei-Parteien-Bündnis, das im September die italienischen Parlamentswahlen gewonnen hat, wird zwar gerne erwähnt, dass eine der Parteien die symbolische ewige Flamme von Mussolinis Grab in ihrem Logo trägt, aber im nächsten Augenblick ignoriert man diesen Umstand wieder und titelt: „Rechtspopulisten
triumphieren“.
Erst später kommt der irgendwie modisch nach „Postmoderne“ und „Poststrukturalismus“ klingende Begriff „Postfaschisten“.
An dieser Partei ist aber nichts „post-“, sie ist originär faschistisch. Sie hat lediglich eine moderne Public-Relations-Abteilung.
Nur diese Modernität unterscheidet die neuen von den alten Faschos, egal welchen Landes. Sie passen sich perfekt an die heutigen Verhältnisse und die Gesetzeslage an: Sie sprechen selten klar aus, was sie wirklich vorhaben, sondern raunen, machen vage Andeutungen, die aber von ihrer Anhängerschaft durchaus verstanden werden, sie provozieren, sticheln, ziehen wieder zurück, fühlen sich vermeintlich missinterpretiert, und preschen dann erneut nach vorne.
Typisch für diese Strategie sind zum Beispiel die Aussagen des neuen italienischen Senatspräsidenten Ignazio La Russa. La Russa – der schon Mitglied der faschistischen Partei MSI war und nun zu Melonis „Fratelli d’Italia“ gehört – hatte im Wahlkampf geäußert, alle Italiener seien „Erben des Duce“ – also des „Führers“ Mussolini. Rein technisch gesehen hat er damit zwar irgendwie Recht – nur, dass eben nicht alle so glücklich darüber sind wie La Russa selbst.
Letzteres bewies er vor vier Jahren, als er während eines Interviews stolz sein Wohnzimmer präsentierte, in dem tatsächlich eine Statue Mussolinis stand. Und während der Corona-Pandemie hatte er getwittert, dass die Italiener sich nicht mehr die Hand geben, sondern den „Römischen Gruß“ der Faschisten – analog zum Hitlergruß – zeigen sollten.
Natürlich empörte sich ein Teil der Öffentlichkeit darüber. Und natürlich fühlte sich La Russa falsch verstanden und löschte den Tweet. Um dann die nächste Provokation vorzubereiten.
Goebbels als PR-Profi hätte an dieser Taktik seine Freude gehabt.
● Hartmut El Kurdi