Ein letztes Wort
… mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil
Herr Weil, noch knapp zwei Monate bis zur Landtagswahl – gucken Sie momentan immer schon mit einem Auge auf die Umfragen?
Klar, die haben wir natürlich im Blick, und im Wahljahr besonders. Aber man soll Umfragen auch nicht überschätzen. Immer mehr Wählerinnen und Wähler entscheiden sich erst ganz kurz vor den Wahlen.
Und, steigt die Nervosität? Die CDU holt kontinuierlich auf …
Ich bin unverändert guter Dinge. Der Wahlkampf beginnt ja erst. Das Wort besteht im Übrigen aus zwei Silben, und die zweite Silbe ist für mich ganz entscheidend – man muss eben kämpfen. Außerdem haben viele Menschen einige Wochen vor einer Wahl bei Umfragen immer eher die Politik auf Bundesebene im Blick. Die Themen im Land werden meist erst kurz vor der Wahl so richtig relevant. Momentan sind viele Bürgerinnen und Bürger vor allem wegen der Energiepreise beunruhigt und das prägt natürlich auch die Stimmung.
Ich habe so ein paar Statements von Ihnen gelesen zur Unterstützung jener, die kaum Reserven haben. Und ich fand das ganz schön links, was Sie da so gesagt haben.
Höre ich da einen Unterton der Überraschung?
Nur einen ganz leisen Unterton. Aber im Ernst, die Worte höre ich wohl, nur fehlt mir so ein bisschen der Glaube, mit einem Koalitionspartner im Bund, der FDP heißt. Zuletzt hat Christian Lindner zum Beispiel bei der Debatte um das 9-Euro-Ticket von „Gratismentalstät“ gesprochen.
Ich hoffe, dass die FDP sich noch eines Besseren besinnt. Was momentan passiert, ist doch offensichtlich. Wir sind in einer ansteigenden Preiswelle, die gerade Menschen mit einem kleinen Einkommen in echte Schwierigkeiten bringt. Schon jetzt sind Nahrungsmittel und Verbrauchsgüter teurer geworden. Und wir müssen davon ausgehen, dass sich die Energiepreise verdoppeln, vielleicht sogar stärker vervielfachen werden. Für Menschen mit einem Nettoeinkommen von 1.000 oder 1.500 Euro stellt sich die Frage, wie sie das bewältigen sollen. In unserer Gesellschaft sind sehr viele Bürgerinnen und Bürger betroffen. Wir können jedes Jahr wieder im Armutsbericht lesen, wie groß der Kreis derer ist, die mit einem Armutsrisiko leben. Und um genau die muss es jetzt gehen. Bei der Bankenkrise wurden die Banken gerettet, während der Pandemie wurde die Wirtschaft massiv unterstützt, jetzt müssen die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ganz direkt entlastet werden. Alles andere würde zu Recht für Empörung sorgen. Die Politik würde sehr viel Vertrauen verspielen, wenn sie nicht sehr rasch echte und spürbare Entlastungen auf den Weg bringt. Alle Parteien müssen jetzt realisieren, dass wir uns in einer wirklichen Krise befinden. Sehr viele Niedersächsinnen und Niedersachsen kommen mit ihrem Einkommen normalerweise ganz gut durchs Leben, haben aber keine oder kaum Reserven. Aber wenn diese Menschen jetzt mit deutlich erhöhten Vorauszahlungen konfrontiert sind und später möglicherweise mit heftigen Nachforderungen, dann können sie das schlicht nicht leisten. Innenpolitisch gibt es aus meiner Sicht derzeit kaum ein wichtigeres Thema.
Trotzdem stellt sich im Bund die FDP quer.
Ich glaube, dass am Ende der Druck zu stark sein wird. Und ich kann nur sehr eindringlich dazu raten, möglichst schon jetzt zu handeln, bevor sich noch mehr Unmut aufstaut. In Berlin müssen schnell die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Das gilt übrigens nicht allein für die Unterstützung der Privathaushalte. Auch viele Unternehmen brauchen Unterstützung. Dabei habe ich vor allem die vielen kleineren Unternehmen im Blick, für die nicht allein die Energiekosten allmählich bedrohlich werden, sondern die auch noch unter Lieferengpässen und Umsatzrückgängen leiden. Wir müssen aus meiner Sicht hier ähnlich Unterstützung leisten wie zuletzt während der Pandemie, denn das ist ja kein normaler konjunktureller Zyklus.
Manche sagen ja, dass die Ukraine Russland nachgeben sollte, damit der Spuk demnächst vorbei ist und wieder ausreichend Gas durch die Pipelines strömt. Beziehungsweise wird gefordert, dass der Westen sich bei der Unterstützung der Ukraine entsprechend zurückhalten sollte. So jedenfalls habe ich diese offenen Briefe verstanden.
Ich habe dazu eine komplett andere Position. Vielleicht hätten wir Energie in Hülle und Fülle, wenn wir die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen würden oder North Stream 2 öffnen würden. Vielleicht aber auch nicht, denn Russland ist nun einmal kein zuverlässiger Partner mehr. Und wer von uns könnte dann noch in den Spiegel sehen? Wir können doch nicht einfach zulassen, dass ein solcher Angriffskrieg ohne Reaktion bleibt. Aus moralischen Gründen, aber auch, um zu zeigen, dass eben nicht das Recht des Stärkeren gilt und dass Abmachungen eingehalten werden müssen. Ansonsten ist irgendwann auch die Sicherheit und Freiheit Deutschlands nicht mehr gewährleistet. Nein, wir müssen sehr konsequent an der Seite der Ukraine bleiben, auch in den kommenden Wochen. Dazu wird aber immer wieder aufs Neue Überzeugungsarbeit zu leisten sein. Wir werden kontinuierlich über unsere Unterstützung für die Ukraine sprechen und auch kontrovers diskutieren müssen. Es geht darum, dass wir in der Völkergemeinschaft zusammenhalten und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen.
Es gibt aber auch die anderen Stimmen, die ausschließlich das eigene Wohl im Blick haben. Da herrscht mehr so eine Ellenbogen-Mentalität, mehr Egoismus. Der Teil unserer Gesellschaft ist nicht unbedingt klein …
Aber es gibt auch die anderen, die Mitfühlenden, und die sind mit Abstand in der Mehrheit. Es geht auch um Werte und darüber können wir gerne diskutieren, bei uns im Land und in der Völkergemeinschaft. Wobei ich sehr positiv überrascht war und bin, wie einig die Demokratien der Welt gehandelt haben. Zu Beginn des Konflikts hatte ich diesbezüglich so meine Befürchtungen.
Sie würden den Egoismus also nicht verurteilen, sondern versuchen, ins Gespräch zu kommen?
Ja, denn der moralische Zeigefinger allein bringt ja nichts. Ich muss versuchen, zu erklären, dass wir bei einem solchen Unrecht nicht einfach wegschauen dürfen und dass die Verhältnisse anderswo immer auch Auswirkungen auf die Verhältnisse hierzulande haben.
Was allerdings schwierig zu sein scheint. Ich habe den Eindruck, dass die Diskussionen über die akuten Probleme nicht hinausgehen, dass wenig bis zu Ende durchdacht wird. Wenn es beispielweise um unsere Konsumgesellschaft geht …
Käme jetzt die generelle Forderung, weniger zu konsumieren, fände ich das fragwürdig. Denn betroffen sind ja vor allem diejenigen Teile der Gesellschaft, die auch bislang schon nur sehr begrenzt konsumieren konnten. Wir können und dürfen denen nicht sagen, sie sollen noch stärker Verzicht üben und den Gürtel enger schnallen.
Kommen wir zum Schluss noch einmal zurück auf die aktuelle Großwetterlage. Wohin wir auch blicken, ich denke an China, an die Türkei, es scheint momentan überall eher zu eskalieren. Können Sie noch ruhig schlafen?
Es gibt da gar nichts zu beschönigen, wir leben in schwierigen Zeiten. Und ich finde es darum umso wichtiger, dass Europa klar und geschlossen auf den russischen Angriffskrieg reagiert. Damit wird allen bewusst, welche Konsequenzen drohen, wenn man sich nicht an Absprachen und Verträge hält, wenn die Grundregeln nicht mehr eingehalten werden. Wir brauchen jetzt einen aktiven, unterstützenden Staat, Menschen, die Verantwortung übernehmen für ihre Mitmenschen und einen guten gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Macht Ihnen die Politik noch Spaß?
Aber ja doch! Sonst würde ich nicht wieder kandidieren.
Interview: Lars Kompa