Alle paar Jahre beschreibe ich in einer Kolumne den aktuellen Zustand meines Tee-Bechers mit dem Bild der englischen Königin darauf. Diesen „Mug“ – hergestellt zum 40-jährigen Thronjubiläum der Queen – benutze ich seit 1992 täglich, um meine durchschnittlich zwölf Tassen Schwarztee daraus zu trinken. Neuerdings im Wechsel mit einem „A Hard Day’s Night“-Mug, den ich vor einigen Jahren bei meiner Beatles-Hadsch nach Liverpool erstanden habe.
Inzwischen ist Elisabeth II. auf dem Becher kaum noch zu erkennen. Durch die tägliche Spülmaschinenreinigung ist er quasi weißgewaschen. Im Laufe des Verblassungsprozesses verstand ich irgendwann, dass ich es hier mit einem Orakel zu tun hatte: Wenn Elisabeths Gesicht endgültig verschwunden wäre – ja dann bestiege Charles endlich Englands Thron …
Wenn ich den Becher jedoch am offenen Fenster leicht gekippt ins Sonnenlicht halte und meinen Blick von schräg unten mit einer Rossmann-Dreikommanull-Dioptrien-Lesebrille über die Porzellan-Oberfläche tänzeln lassen – ohne ihn zu heftig zu fixieren –, dann kann ich immer noch Reste der elisabethanischen Miss-Marple-Frisur erkennen. Vermutlich konnte die Queen nur deswegen vor kurzem noch ihr 70-jähriges Thronjubiläum begehen.
Die Feierlichkeiten zum „Platinum Jubilee“, habe ich entgegen meinen bisherigen Gewohnheiten nur am Rande verfolgt. Seit ich „The Crown“ gesehen habe, hat mein popkultureller Monarchismus stark nachgelassen. Menschen, die ihre behinderten Verwandten für tot erklären und in einer psychiatrischen Anstalt verstecken, kann ich noch nicht mal ironisch verehren.
Politisch war ich selbstverständlich schon immer der Meinung, dass es nichts Alberneres als ein Königshaus gibt. Oder den Adel überhaupt. Egal in welchem Land. Selbstverständlich gehören diese Clan-Kriminellen endgültig enteignet und wie alle anderen Bürger*innen einfach nur mit ihren Nachnamen angeredet. Wenn Menschen unbedingt mehr sein wollen, als ein Herr oder Frau Soundso, dann sollen sie gefälligst promovieren. Wobei es schon albern genug ist, sich außerhalb des Wissenschaftszusammenhangs mit „Doktor“ anreden zu lassen. Aber immerhin haben die Promovierten dafür wenigstens etwas geleistet. Insofern: Es sei ihnen gegönnt. Die absurden Tricks aber, die die Vonundzus anwenden, um ihre Titel doch noch zu führen, gehören verboten. Wie dieser Quatsch in Deutschland, wo der Adelskäse zum Namensbestandteil wurde. Ich sag nur Alexander „Graf“ Lambsdorff.
Da lobe ich mir doch ausnahmsweise die Österreicher. Als dort im letzten Jahr „unser“ Hannoverscher Prügel-„Prinz“ mal wieder wegen eines gewalttätigen Ausrasters vor Gerichts stand, verweigerte die Richterin ihm die Ansprache mit seinen diversen Titeln. In Ernst Augusts deutschem Ausweis steht ja laut Wikipedia: „Ernst August Albert Paul Otto Rupprecht Oskar Berthold Friedrich-Ferdinand Christian-Ludwig Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland“- und in seinem britischen Pass immerhin noch: “His Royal Highness, Ernest Augustus Guelph.“ Nun ist E.A. aber auch noch österreichischer Staatsbürger. Deswegen lief es – laut „dpa“ – vor Gericht folgendermaßen ab: „Ich spreche sie als «Herr Hannover» an, machte die Richterin gleich zu Beginn klar. In Österreich sind Adelstitel seit 1919 verboten.“
Ich frage mich im Übrigen auch, was diese Leute meinen, wenn sie vom Stolz auf ihre Familienhistorie sprechen. Worauf um Himmelswillen sind die stolz? Auf den seit anno dunnemals praktizierten Inzest? Die jahrhundertelange Ausbeutung ihrer Untertanen? Oder die peinlichen Biographien ihrer Vorfahren? Zum Beispiel die von Heinrich VIII., dessen Maßlosigkeit in allen Dingen ihn nicht nur mit der Syphilis beschenkte, sondern ihn auch so übergewichtig werden ließ, dass er sich schließlich nicht mehr bewegen konnte und buchstäblich bei lebendigem Leib im Bett verfaulte? Oder die Eitelkeit des Sonnenkönigs Louis XIV., der sich, um seinen Haarausfall zu kaschieren, Fake-Haartürme anfertigen ließ, die wirkten, als balancierte er sedierte Königspudel auf der Glatze?
Neben meiner Queen-Orakel-Tasse besitze ich übrigens auch noch eine Sammlung von speziellen Tee-Dosen, die ich auf einem Regal aufbewahre, das ich „Trouble auf Windsor Castle“ nenne. Darunter Hochzeitsdosen mit Charles und Diana und Harry und Megan. Die mit Andrew und Sarah habe ich allerdings umgedreht. Andrew schaut jetzt gegen Wand. Das ist ja auch ungefähr das, womit er auch im echten Leben bestraft wurde.
● Hartmut El Kurdi