Ich habe einfach die Tür aufgemacht …
Ein bunter Abschied von
Wolfgang Werner
„Das Glück über eine vom Publikum für gelungen empfundene Veranstaltung, ob groß oder klein, ist durch kein anderes Glück wirklich zu ersetzen. Dieses Glück durfte ich tausendfach erfahren, also halte ich mich für einen glücklichen, dankbaren Menschen.“ Wolfgang Werner in seinem Buch „Ich habe einfach die Tür aufgemacht!“
Wolfgang Werner ist am 1. Mai im Alter von 80 Jahren gestorben. Die Nachricht hat mich unerwartet getroffen, seine Partnerin Uschi Hedwig hat mich angerufen. Ich hatte vorher lange nichts mehr von Wolfgang gehört. Er hatte sich aus der Kulturarbeit in Hannover verabschiedet vor ein paar Jahren, hatte seine Werkstatt-Galerie Calenberg (WGC) in der berühmt-berüchtigten Kommandanturstraße 7 in jüngere Hände übergeben (heute ist dort das Leibniz Theater), war mit Uschi nach Aschaffenburg gezogen. Ein paar Mal haben wir nach seinem Rückzug aus der WGC telefoniert – Wolfgang hatte noch Ideen und Pläne. Natürlich! Wolfgang hatte Zeit seines Lebens Ideen und Pläne, auf seinem Herd köchelte es immer in mehreren Töpfen gleichzeitig. Ich war traurig. Kurz. Aber dann habe ich mich erinnert. Weitermachen, nach vorne schauen, nicht zurück, im Fluss bleiben, zuversichtlich neu anpacken – das war Wolfgang Werner. Für glückliche Momente sorgen, für andere, das war Wolfgangs Leben, über nichts hat er sich mehr gefreut als über glückliche Gesichter. Keine Zeit für Traurigkeit! „Ich organisiere eine kleine, bunte Feier für Wolfgang“, erzählte mir Uschi am Telefon. „Nichts Trauriges, was Schönes und Lebendiges …“
Ich habe mir Wolfgang vorgestellt auf dieser Feier. Irgendwo am Rand hätte er gestanden und zugesehen, mit diesem verschmitzten, zufriedenen Lächeln im Gesicht – lauter glückliche Gesichter. „Hat funktioniert“, das hätte groß auf seiner Stirn gestanden. Vielleicht hat er zugesehen … Matthias Brodowy hat durch die Feier geleitet, er hat an diesem Tag sozusagen stellvertretend für Wolfgang noch einmal die Tür aufgemacht, über hundert Gesichter aus Kunst und Kultur waren dabei, viele traurige, aber dann auch wieder lächelnde Augen. Musik, Gesang, Tanz, Gedichte, Grußworte, Briefe … Eine wunderschöne Erinnerungsfeier, und ich glaube, ganz in Wolfgangs Sinne.
Ein paar Tage zuvor habe ich mich mit Matthias Brodowy verabredet. Ich wollte hören, was er mir über Wolfgang erzählen kann, für diesen Abschied hier im Stadtkind. Natürlich haben wir uns völlig verplaudert. Das passiert, wenn viele tausend Worte nicht reichen, um ein Leben zu erzählen. Wolfgang hat das nach 35 Jahren WGC selbst versucht, mit seinem Buch „Ich habe einfach die Tür aufgemacht!“, das ab Juli 2022 im Deutschen Kabarettarchiv in Mainz gelistet ist. Rund 180 Seiten hat er zusammengetragen, überwiegend im Telegramm-Stil, ein atemloser Sprint durch all die Jahre, so viele Veranstaltungen, so viele Auftritte, das alles ergänzt durch zahlreiche Grußworte zum 35. Geburtstag der WGC, Volker Pispers, Alix Dudel, Andreas Rebers, Rüdiger Hoffmann, Renate Rochell von der „Tribüne“ … viele Namen. Und natürlich ist auch Matthias Brodowy dabei.
Der erzählt mir in unserem Gespräch viele Anekdoten. Aber vor allem erzählt er davon, dass Wolfgang jemand war, der etwas in Bewegung gesetzt hat, der unterstützt und bestärkt hat. „Ohne Wolfgang wäre ich heute vielleicht Lehrer“, sagt er. Er war damals, 1990, beim La Strada Schülertheater Festival im Zirkuszelt vor der WGC mit seinen „Profilachtickern“ aufgetreten. „Das war unser erster großer Auftritt außerhalb von Schule und Kulturtreffs. Damals habe ich Wolfgang kennengelernt und wir sind dann mit den Profilachtickern regelmäßig in der WGC aufgetreten. Er war immer voller Wertschätzung, von Beginn an. Wir waren damals Schüler, das darf man nicht vergessen. 18 Jahre alt. Und er hat eine so hohe Wertschätzung für unsere Kunst gehabt. Ich glaube, das kann man gar nicht genug herausstellen. Da kommt jemand mit ganz viel Erfahrung, und der nimmt sich Zeit, der guckt hin und hört zu. Und dann sagt der einer Schülergruppe: Ihr seid gut! Ihr müsst weitermachen!“
Matthias beschreibt Wolfgang als Künstler unter Künstler*innen. Er sei eben nicht nur Veranstalter gewesen, sondern im Herzen ganz und gar Künstler, mit einem entsprechend tiefen Verständnis für die Menschen aus dieser Szene, die ihm im Laufe der Jahre begegnet sind. Er war ein Unterstützer, ein Förderer, er hat viel Künstler*innen in den ersten Jahren begleitet, ihr Talent gesehen, er hatte dafür ein Auge und dann hat er Mut gemacht. Matthias hat 1997 sein erstes Solo in der WGC gespielt.
„Wolfgang hat gesagt, klar, mach das, trau dich. Du bist gut, probiere das mit deinen eigenen Texten. Natürlich hat er auch mal kritisiert. Da müsstest du mal dran, das könntest du ändern, es gab von ihm diese ganz ehrlichen Einschätzungen, aber eben auf der Basis einer wirklich großen und grundsätzlichen Wertschätzung. Ich verdanke Wolfgang gleichrangig neben Hanns Dieter Hüsch im Grunde alles. Wolfgang war so eine von diesen Stellschrauben, die man im Leben trifft. Ich bin ihm wirklich sehr dankbar. Der hat einfach nicht negativ, sondern immer nach vorne gedacht. Erstmal machen, hinterher gucken. Was war gut, was war schlecht?“
In der Werkstatt-Galerie Calenberg hat Matthias dann regelmäßig gespielt in den 35 Jahren, fast ein Wohnzimmer. Oder vielleicht auch eine WG, die er mit vielen anderen teilte. Der Ort hatte von Beginn an den Charakter einer Wohngemeinschaft. Ein offener Treffpunkt für alle Kreativen.
Wolfgang ist in Karlsruhe geboren und in Holtensen bei Hannover aufgewachsen, er hat dann später in einem ganz anderen Leben rund zwei Jahrzehnte als Handelsvertreter für Pharmazie- und Drogerieprodukte gearbeitet, ein Beruf, von dem seine Mutter einmal sagte: „Wo war ich bloß, als es um Deine Ausbildung als Drogist ging.“ Eine Beruf, den er zunehmend mit Skepsis ausübte. Abends unternahm er bereits seine „Fluchten“ in die Kultur. Kunst, Musik, Theater, das war viel mehr seine Welt. Und dann war dieses erste Leben vorbei. Er arbeitete Ende der 1970-er Jahre als Skilehrer, segelte und handelte mit Bildern. 1981 verschlug es ihn zurück nach Hannover, wo er kurz darauf die Werkstatt-Galerie Calenberg eröffnete und lernte, mit ganz wenig Geld auszukommen. Vielleicht ein Zufall, Schicksal, Fügung … Zunächst beherbergten die Räume eine Werkstatt für Töpferei, Lithografie und andere kunsthandwerkliche Arbeiten, Kurse wurden angeboten, Theaterworkshops, Ausstellungen fanden statt, erste Bühnenveranstaltungen – Wolfgang hatte den Kreativen der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes eine Tür aufgemacht. Und über die Kursgebühren gelang auch die Finanzierung. Doch die Werkstatt bekam Mitbewerber, verschiedene Freizeitheime boten zunehmend ähnliche Kurse teilweise preiswerter an. 1983 erfolgte darum die Umstellung auf einen reinen Theaterbetrieb. Ein wichtiger Impuls für die gesamte Kulturszene in Hannover. Die WGC wurde zu einem Hotspot der Kultur. Kabarett, Musik, Theater, Krimis, Lesungen, Tanz und auch experimentelle Kunst, und mittendrin in dieser multikulturellen Welt Wolfgang, zufrieden lächelnd, wenn es funktionierte, zufrieden lächelnd, auch wenn etwas nicht funktionierte, mit der Gewissheit, dass dann eben demnächst wieder etwas funktionieren würde.
Bis 2017 war Wolfgang die Werkstatt-Galerie Calenberg, er war der Zirkusdirektor, der Impresario, der gute Geist, die Seele – und Koch, Klempner, Maler, Buchhalter, Hausmeister. Er hat im Laufe der Jahre immer wieder wie ein Löwe gekämpft für seine WGC, mit Liebe und Leidenschaft, er hat sich nie beirren lassen, er hat sich nie entmutigen lassen und er hat so nicht nur über Jahrzehnte die Kulturszene Hannovers geprägt und einer Subkultur Chancen eröffnet, er hat auch viele inspiriert und Vieles initiiert. Wolfgang war ein Macher, ein Anpacker. Und wenn es nicht gereicht hat, wurde einfach irgendwie und irgendwo noch ein Fisch an Land gezogen. Wolfgang war ein echter Kulturdickschädel, er hat nie aufgegeben.
Neben der WGC hat Wolfgang all die Jahre auch als Veranstalter in Hannover Feste und Shows organisiert. Ein naher und wichtiger Wegbegleiter war Mike Gehrke, Wolfgang war involviert bei den Altstadtfesten, beim Mittelalterspektakel, beim Tiergartenfest, er hat auch immer wieder für bunte, große und außergewöhnliche Firmenfeiern gesorgt, er hat kaum eine Gelegenheit ausgelassen, ein bisschen Geld nebenbei zu verdienen – um jeden Cent in die WGC zu stecken. 3200 Aufführungen haben die Bretter dort nach 35 Jahren gesehen, „Sinn, Freude, Bildung“, das war der Ansatz, der sich in allen Veranstaltungen spiegelte. Mit vielen Künstler*innen hat er diverse Formate entwickelt, es gab eine die Erzählbühne, es gab das Calenberger Literaturfrühstück, es gab Live-Hörspiele und ein Dauerbrenner waren natürlich die Calenberger Kabarettwochen und die vielen Jahre mit der „Tribüne“. Selbst nach Südafrika hat ihn sein Engagement getragen, wo er noch zu Zeiten der Apartheit mit zwei Clowns, Mark Hinds und Marc Colli, in Kapstadt einen Kinderzirkus für die Kleinen aller Hautfarben geründet hat.
Wenn man sich mit Wolfgang getroffen hat, kam er immer ins Schwärmen, über all die schönen Erlebnisse, über diese erfüllten, teilweise überfüllten Jahre. Selten gab es mal einen Urlaub, selten Phasen ohne unfassbar viel Arbeit, selten Phasen der Entspannung. Wolfgang hat nie gejammert, aber man darf sich sicher sein, er hat in mancher Nacht wach gelegen und Zahlen im Kopf hin und her geschoben. Wie kann das alles weiter funktionieren? Es hat funktioniert.
Es hat wohl auch funktioniert, weil Wolfgang immer wieder Wegbegleiter*innen hatte, die unterstützt und geholfen haben. Und eine Wegbegleiterin war ihm das Wichtigste. Über die Kunst und Kultur konnte Wolfgang lange und ausgelassen schwärmen, für einen Menschen schwärmte er endlos. Seine ganz große Liebe, Uschi Hedwig, war für Wolfgang ein Grundpfeiler seines Lebens. Kam die Sprache auf Uschi, leuchteten immer seine Augen. Die Erinnerungsfeier war Uschis liebevoller Abschiedsgruß. Sie hat nur für ihn und das 25-jährige Jubiläum ihrer Beziehung getanzt. Und wir haben geweint. Aber nur ein bisschen.
Man kann so einen Text über Wolfgang nicht beenden, ohne zuletzt eine große Idee zu erwähnen, für die er seit Jahren unglaublich brannte: das bedingungslose Grundeinkommen. Es wäre bestimmt ganz in Wolfgangs Sinne, hier einen Text zu zitieren, der auch in seinem Buch steht, der Klappentext von „Einkommen für alle“, dem Buch seines Cousins Prof. Götz W. Werner, Gründers der dm-drogerie-Märkte. Die Idee wird sehr einleuchtend erklärt: „Die Würde und die Freiheit des Menschen beinhaltet das Recht, nein sagen zu können. Diese Freiheit hat nur der, dessen Existenzminimum gesichert ist. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ruht damit auf der zentralen Grundlage unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Einkommen ist ein Bürgerrecht.“ Wolfang war kein besonders politischer Mensch, er war ein spiritueller Humanist, ein Menschenfreund durch und durch, er war für ein Gleichgewicht in der Gesellschaft. Oft hat er sich ausgemalt, wie es wäre, wenn all die Kreativen sich ganz ohne finanziellen Druck entfalten könnten, und in diese Idee hatte er sich verliebt. Das bedingungslose Grundeinkommen war aus seiner Sicht ein sehr schöner Traum. Er hat Zeit seines Lebens nicht aufgehört, ihn zu träumen. Viele träumen ihn nun für Wolfgang weiter.
Was bleibt noch zu sagen? Danke, Wolfgang!
● Lars Kompa
Wer mag, kann als letzten Gruß für den Verein la festa musicale zur künstlerischen Förderung von Jugendlichen spenden. Das Projekt läuft bereits; es wird von KünstlerInnen durchgeführt, die als Weggefährten eng mit Wolfgang verbunden sind.
Betreff:
Wolfgang Werner, Musik/Schauspiel&Tanz-
Projekt mit SchülerInnen aus Hannover
Kontoverbindung:
la festa musicale
DE 80 2519 0001 0709 1184 00