Es gibt Erfolgsgeschichten, die beginnen nicht mit klugen Businessplänen und Marktanalysen, die sind nicht von langer Hand geplant, die haben ihren Ursprung einfach in einer eher spontanen Entscheidung aus dem Bauch heraus. Dann begegnen sich zwei und schmieden Pläne, man verliebt sich in eine Idee, erkennt eine Gelegenheit, greift zu – und legt den Grundstein für Hannovers ältestes Privattheater, das sich bis heute über insgesamt annähernd zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer freuen durfte. Allein in den vergangenen zehn Jahren waren es rund 370.000 …
Im Oktober 1961 traf James von Berlepsch in einer Kneipe den Betreiber des „Ateliertheaters“ in der Bahnhofstraße, Heinz Könnecke, der im November in der Mehlstraße das „Kleine Theater“ eröffnen wollte. James von Berlepsch war damals 26 und (ein sehr guter) Schauspieler, aber ohne Engagement. Ihm fehlte in Hannover einfach die passende Bühne, die seinen Vorstellungen von Theater entsprach. Und da hatten sich zwei gefunden. Nach durchzechter Nacht hatte von Berlepsch die männliche Hauptrolle im Stück „Die respektvolle Dirne“. Leider machte das Bauamt den beiden einen Strich durch die Rechnung. Im neuen „Kleinen Theater“ fehlte eine Feuerleiter als Notausgang und die Premiere fiel aus. Nicht aber die Premierenfeier im Treppenhaus mit den geladenen Gästen und kalten Platten …
In der Folge kam es dann jedoch zum Streit zwischen Heinz Könnecke und dem Vermieter Warneke. Könnecke stieg aus – und James von Berlepsch hatte seine Hauptrolle, aber kein Theater mehr. Zumindest für eine kurze Weile. Denn der Vermieter hatte reichlich in die Räume investiert und wollte das Projekt nicht einfach sterben lassen und James von Berlepsch war natürlich weiter Feuer und Flamme. Also machte Warneke ihn kurzerhand zum neuen Theaterleiter, gegen 25 Prozent Umsatzmiete. Und so gab es sie dann doch noch, die Premiere im „Kleinen Theater“, ein paar Monate später, am 16. Mai 1962, mit James von Berlepsch auf der Bühne, einem ausverkauften Haus und guten Kritiken. Dieser 16. Mai war die Geburtsstunde eines neuen Boulevardtheaters in Hannover und auch für das Team des Neuen Theaters ist dieser Tag in der Mehlstraße bis heute der eigentliche Startpunkt. James von Berlepsch hatte hier „seine“ Bühne, hier konnte er seine Ideen von Unterhaltung und Humor umsetzen – er hatte sich sozusagen seine eigenen Bretter erschaffen. Und das lief gut. So gut, dass Begehrlichkeiten geweckt wurden …
„Da hat damals nach einer Weile jemand gedacht, dass man mit so einem Theater Geld verdienen könnte“, sagt Christopher von Berlepsch, ältester Sohn von James von Berlepsch und bis heute Geschäftsführer, und schmunzelt, denn er weiß nur zu gut aus eigener Erfahrung, dass dem ganz und gar nicht so ist, dass ganz viel Herzblut dazugehört und immer auch ein gute Portion Selbstausbeutung. Damals hatte Warneke die Idee, das Theater zu vergrößern – und sich für die Räume in der Georgstraße 54 interessiert, die ehemals das Bankhaus Basse beherbergten. Doch es krachte in der Folge gewaltig zwischen ihm und James von Berlepsch. Warneke wollte im neuen Haus einen neuen Theaterleiter einsetzen, was James von Berlepsch natürlich gar nicht gefiel. Er trickste Warneke aus und unterschrieb selbst den Mietvertrag – was selbstverständlich Rechtsstreitigkeiten nach sich zog. Das „Kleine Theater“ sollte nicht weiter „Kleines Theater“ heißen. Von Berlepsch verlor diesen Rechtsstreit und musste sein Theater umbenennen. Kein Beinbruch. Ein Neustart in größeren, neuen Räumen, der Name lag auf der Hand, das „Neue Theater“ war geboren. Am 1. Mai 1964 eröffnete es mit „Arsen und Spitzenhäubchen“.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten war James von Berlepsch ganz in seinem Element, er stand selbst auf der Bühne, führte Regie und leitete das Theater, er brannte für sein Haus. Und es lief ganz gut, aber eben auch mit schwächeren Phasen, wenn Stücke nicht wie gedacht funktionierten. Große Sprünge hat das Theater nie machen können. Berlepsch agierte immer ein bisschen Spitz auf Knopf. Und machte das Neue Theater über die Jahre und letztlich über vier Jahrzehnte dennoch zu einer echten Institution in Hannover, mit einem treuen Stammpublikum. Nur zu gerne hätte er seine Leidenschaft an seine beiden Söhne weitergegeben, doch wie es manchmal so ist, seine Söhne hatten eigene Pläne, Christopher von Berlepsch fühlte sich wohl in der Immobilienbranche und Roderick hatte in der Gastronomie seine Passion gefunden – sein „Zauberlehrling“ in der Südstadt wird vielen in Hannover noch in bester Erinnerung sein. Gesucht wurde also ein Kandidat für ziemlich große künstlerische Fußspuren: Zeit für den Auftritt Florian Battermanns.
Wenn Florian Battermann von seinem Einstieg beim Neuen Theater erzählt, kann man sich die Szenarien ganz wunderbar ausmalen. Fast eine Komödie … Die erste Verbindung gab es bereits 1990, Battermann war damals in der elften Klasse eines Gymnasiums. Und bekam mit, dass dem Neuen Theater die Subventionen gestrichen wurden. Er hatte zu jenem Zeitpunkt noch nie ein Stück im „Neuen Theater“ besucht (nach Ansicht seiner Eltern waren die Vorstellungen um 20.30 Uhr zu spät), aber dass man ausgerechnet dem kleinsten Privattheater in Hannover mit rund 150 Plätzen die Subventionen strich, erschien im trotzdem als große Ungerechtigkeit. Und so sammelte er an seiner Schule in Letter fleißig Unterschriften gegen die Streichung, über 700, denn sie mussten natürlich alle unterschreiben. Und diese Unterschriften schickte er dem Oberbürgermeister und dem Kulturdezernenten. Das war der erste Berührungspunkt.
Und ein paar Jahre später nahm Battermann den Faden wieder auf. Er begann zu studieren, Germanistik und Geschichte, lernte eine Schauspielerin kennen und die sagte, wenn er Unterhaltungstheater machen wolle, solle er doch mal eine Regieassistenz bei „dem Berlepsch“ machen. Das klang für Battermann spannend und er erkundigte sich bei der Schauspielerin nach den Voraussetzungen. Der fielen keine ein, was Florian Battermann perfekt fand – und so erkundigte er sich mit einem ersten Anruf nach einer möglichen Assistenz. Und stieß auf Granit, die Prokuristin am Telefon hatte keine Zeit. Er solle später wieder anrufen, sagte sie – was Battermann eifrig erledigte, jeden Monat aufs Neue. Bis es nach fünf Monaten dann passte: „Ja, jetzt suchen wir jemanden, dann kommen Sie halt, in Gottes Namen …“
So kam Florian Battermann zum Vorstellungsgespräch mit James von Berlepsch, der ihn nach seiner Zeit fragte, die Battermann nicht an diesem Tag und auch an keinem anderen hatte, weil er ja eigentlich studierte, war er natürlich nicht sagte. Klar, er hatte Zeit. Und so verfrachtete ihn von Berlepsch gleich mal auf seinen Schreibtischstuhl und sagte: „Schreiben Sie einen Text zum neuen Stück!“ Weg war James von Berlepsch. Während Florian Battermann am Chefschreibtisch saß und schrieb und jene Dame, mit der er zuvor monatelang hartnäckig telefoniert hatte, ihm seinen Tee brachte. Florian Battermann fühlte sich wohl – und blieb, mit kurzen Unterbrechungen bis heute.
Am 13. August 2008 ist James von Berlepsch gestorben. Bereits 2007 hatte Christopher von Berlepsch die Geschäftsführung übernommen und Florian Battermann hatte 2008 weitgehend die künstlerische Leitung inne. 2008 hat auch Mirja Schröder im Bereich Marketing angefangen, seit 2014 leitet sie nun den Betrieb in der Georgstraße. 2008 war also ein ganz zentrales, entscheidendes Jahr für das Neue Theater. Entscheidend auch, weil das Theater zu jenem Zeitpunkt in einer tiefen Krise steckte. Die Stücke fanden nicht mehr ausreichend Publikum, die Auslastung lag um 30 Prozent, der gesamte Betrieb stand auf der Kippe. Veränderungen waren dringend notwendig, allen war klar, dass es frischere Stücke brauchte für ein Publikum Richtung Ü-40 und nicht mehr so sehr Richtung Ü-60. Zudem hatte es nie ein richtiges Marketing gegeben.
Kurz vor dem Tod von James von Berlepsch hatte dann „Ladies Night“ im Neuen Theater Premiere, ein Stück, dass James von Berlepsch in früheren Zeiten wohl niemals zugelassen hätte, dem er nun aber sehr einsichtig und ganz ausdrücklich seinen Segen gab, angesichts der prekären Lage. Und mit dem Erfolg dieses Stücks schlug das Pendel in Richtung „weitermachen“. „Es ist manchmal gar nicht so schlecht, sich ein bisschen wohlwollend zu verrechnen“, sagt Christopher von Berlepsch heute zu dieser Entscheidung.
Über die Jahre schaffte man es dann mit vereinten Kräften, die Finanzen als nicht subventioniertes Theater zu konsolidieren, bis heute finanziert sich das Theater zu 90 Prozent aus den Einnahmen an der Kasse. Sehr wichtig ist dazu die Unterstützung durch den 1974 gegründeten Verein der Förderer des Neuen Theaters.
Ein echter Schlag ins Kontor war dann natürlich die Pandemie. Kurz zuvor, 2020, hatte das Team das große Ziel erreicht, der letzte Kredit war abgetragen, das dicke Minus aus dem Jahr 2008 erledigt. Das Theater hatte sich seit 2008 kontinuierlich mit einem guten Mix aus neuen Stücken und bewährten Evergreens weiterentwickelt, es ist vom Boulevardtheater zu einem Unterhaltungstheater im besten Sinne geworden. Immer wieder hat man auch mit dem Engagement bekannter Namen überrascht, so standen bereits Stefan Bockelmann, Manon Straché, Andreas Elsholz, Michaela Schaffrath, Tanja Schumann oder Gisa Zach auf der Bühne. Und zwischendurch gab es echte Publikumsmagneten. „Landeier oder Bauern suchen Frauen“ sowie „Der Mustergatte“ sind mit über 90 Prozent Auslastung gelaufen. Und dann plötzlich Corona und verschlossene Türen. Ein Schock. 16 Monate Schließzeit, 500 ausgefallene Vorstellungen.
Zum Glück gab es ein paar Rücklagen und die Corona-Hilfen, sonst hätte Hannovers ältestes Privattheater die Pandemie wohl nicht überlegt. Auch die Flucht nach vorn, beziehungsweise in diesem Fall nach draußen, hat ihren Teil zur Rettung beigetragen. 2021 spielte das Neue Theater auf einem ehemaligen Tennisplatz beim VFL Eintracht Hannover. Sehr viel Herzblut, sehr viel Energie war nötig, denn die bürokratischen Hürden waren immens. In diesem Jahr wird es das Sommer-Theater leider nicht geben, die Kosten sind – auch eine Folge des Krieges in der Ukraine – insgesamt um ein Vielfaches gestiegen, der Spielbetrieb würde sich bei den aktuellen Voraussetzungen schlicht nicht rechnen.
So konzentriert sich das Team um Christopher von Berlepsch, Mirja Schröder und Florian Battermann nun ganz auf die kommende Spielzeit. Aktuell und bis zum 28. August läuft nach zehn Jahren noch einmal das Erfolgsstück „Landeier oder Bauern suchen Frauen“, fast in Originalbesetzung. Bis zur eigentlichen Spielzeiteröffnung am 22. September ist dann „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ zu sehen. Und im Anschluss startet das Neue Theater in die nächste Saison mit „Camping forever“, eine Komödie von Frederik Holtkamp mit Tanja Schumann in der Hauptrolle. Ab dem 24. November geht es weiter mit „Oma wird verkauft“ von Anton Hamik, ein Spin-off der Erfolgskomödie „Opa wird verkauft“. Und ab dem 9. Februar sorgt mal wieder Manon Straché in „Ich hasse dich, heirate mich“ für Lachtränen. Die Komödie von Florian Battermann ist bereits sehr erfolgreich in seiner „Komödie am Altstadtmarkt“ gelaufen. Das letzte Stück der Spielzeit ist dann schließlich „Auf Herz und Niere“ von Stefan Vögel. Dazu ergänzen natürlich zwischendurch immer wieder die etablierten Gastspiele das Programm, unter anderem die Spezial-Abende zu Heinz Erhardt mit Jörn Brede und „Die Frank Sinatra-Story“ mit Christoph Schobesberger. Auch Jan Matheis wird wieder als Bauchredner auf der Bühne stehen. Ganz viel gute Unterhaltung in Zeiten, in denen alle gemeinsam ein paar positive Erlebnisse zwischendurch gut gebrauchen können.
Wir drücken beide Daumen für die nächsten 60 Jahre!
● Lars Kompa
Fotos: O. Vosshage
www.neuestheater-hannover.de