Ein letztes Wort im März

Lassen Sie uns heute mal über Populismus reden. Oder eher über guten Stil in der Politik, angesichts von recht flachen Diskussionen und einer CDU/CSU, die sich noch ein bisschen in der Opposition finden muss – so jedenfalls mein Eindruck. Wenn ich beispielsweise Sie mit Markus Söder vergleiche …
… fallen Ihnen hoffentlich ein paar Unterschiede auf.

Markus Söder taucht zum Beispiel viel öfter in den einschlägigen Talkshows auf. Den muss man festbinden, wenn eine Fernsehkamera in der Nähe ist, oder?
Der Kollege Söder macht sicherlich eine sehr ausgeprägte Medienarbeit. Hinzu kommt, dass die bayerischen Ministerpräsidenten gleichzeitig immer Vorsitzende der CSU sind und damit traditionell auf der Bundesebene gewissermaßen als Teil der Bundesregierung über viele Jahre hinweg eine größere Rolle gespielt haben. Das ist nach dem Regierungswechsel allerdings anders, daran muss man sich in der CSU offensichtlich noch ein bisschen gewöhnen.

Der bayrische Ministerpräsident ist ja gerade mal wieder vorgeprescht mit der Ablehnung der Impfflicht für Pflegekräfte. Der er zuvor zugestimmt hat. Steigen Sie da noch durch?
Das war aus meiner Sicht ein Unding und völlig inakzeptabel. Es kann doch nicht sein, dass die Anwendung von geltendem Recht von einem Ministerpräsidenten infrage gestellt wird. Wenn Ministerpräsidenten anfangen, die eigenen Gesetze infrage zu stellen, wer soll sie dann überhaupt noch befolgen? Und das auch noch bei einem Thema, das höchst einvernehmlich in der Politik besprochen und im Bundestag und auch mit den Stimmen Bayerns im Bundesrat beschlossen worden ist, über alle Parteien hinweg – mit Ausnahme der AfD. Da können sich die Querdenker aller Art nur die Hände reiben. Inzwischen ist der Kollege ja nun glücklicherweise wieder zurückgerudert. Das war dennoch ein ziemlicher Aussetzer, in einer Zeit, in der sich so viele Menschen klare Orientierung durch die Politik wünschen.

Ich staune momentan insgesamt ganz regelmäßig über die CDU/CSU, da wird plötzlich mit aller Seelenruhe kritisiert, was man in all den Regierungsjahren selbst nicht hinbekommen hat. Für neue Regierungen, beziehungsweise Politiker*innen in neuen Ämtern galt früher mal die 100-Tage-Regel, bevor kritisiert wurde. Bei der CDU/CSU habe ich mir in den vergangenen Wochen gewünscht, dass sie sich auf der Oppositionsbank ebenfalls diese 100 Tage gönnen.
Sie meinen, 100 Tage Schonzeit für die Opposition? (Lacht) Im Ernst, von dieser Hundert-Tage-Regel ist leider nicht mehr viel übriggeblieben. Heute geht es mit der Bewertung sogar schon vor dem Amtsantritt los. Das ist mir jedenfalls bei der Bildung der neuen Bundesregierung aufgefallen, der Bundeskanzler und die Kabinettsmitglieder waren noch nicht einmal vereidigt und sind schon kritisiert worden. Aber darauf muss man sich wohl einstellen mittlerweile.

Das ist doch schlicht nicht redlich, etwas zu kritisieren, was ich selbst verbockt habe.
Ich habe auch den Eindruck, dass sich die Union in der Opposition nicht mehr so gut an das erinnert, was sie selbst noch vor ein paar Monaten gesagt und auch beschlossen hat. Da ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht nur ein Beispiel von vielen. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: In Schlüsselfragen ist es wichtig, dass die Politik Gemeinsamkeiten zeigt, und dazu gehört derzeit vor allem auch die Pandemiepolitik. Das hat in der Vergangenheit alles in allem und trotz vieler Einzeldiskussionen ganz gut geklappt, aber droht im Moment ins Rutschen zu geraten. Der Kurs von Angela Merkel hat derzeit in der Union nicht mehr viele Freunde, scheint mir.

Inzwischen scheint auch wieder fast egal, was die Wissenschaft sagt und wozu sie rät.
Ja, teilweise ist das so und auch das gefällt mir nicht. Man kann die Wissenschaft nicht in Zweifel ziehen, nur weil einem die Ergebnisse nicht passen. Wobei ich überhaupt nichts dagegen habe, dass auch die Wissenschaft kritisch hinterfragt wird. Aber grundsätzlich sollten wir uns doch einig sein, dass sich da typischerweise Leute äußern, die von der Sache sehr viel mehr Ahnung haben, als Leute wie Sie und ich. Man kann darüber diskutieren, welche politischen Entscheidungen aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen abzuleiten sind, aber deshalb darf man nicht einfach die Erkenntnisse und Empfehlungen ignorieren.

Momentan wird beispielsweise gerne gesagt, dass die Impfplicht nicht kommen darf, weil sie gegen Omikron gar nichts mehr ausrichten könne.
Das ist natürlich Unfug, weil von Anfang an klar war, dass die Impfpflicht gegen die Omikron-Welle nichts helfen kann. Es ging immer darum, dass wir uns mit der Impfpflicht für eine erneute Infektionswelle im kommenden Herbst rüsten. Und da sind wir wieder bei der Wissenschaft: Die Expertinnen und Experten sagen sehr übereinstimmend, dass mit hoher Wahrscheinlich im Herbst ein neuer Gegner auf dem Feld stehen wird. Es ist noch nicht absehbar, mit welcher Variante wir es dann zu tun haben werden – wir müssen aber davon ausgehen, dass uns das Virus erneut herausfordern wird. Und nach zwei Jahren zermürbendem Kreislauf zwischen Infektionswellen und Entspannungsphasen ist es an der Zeit, jetzt den Ausgang zu nehmen. Dieser Ausgang, davon bin ich überzeugt, ist ein sehr hoher Impfschutz in der gesamten Bevölkerung. Das ist der Grund, weshalb ich für die Impfpflicht bin. Im Moment wird leider sehr viel über jene gesprochen, die sich nicht impfen lassen wollen und die Impfpflicht ablehnen. Über alle anderen, die sich haben impfen lassen und die sich rücksichtsvoll, korrekt und vorbildlich verhalten haben, deren Grundrechte aber trotzdem stark eingeschränkt wurden, wird kaum gesprochen. Das sind aber mehr als zwei Drittel der Gesellschaft.

Dieses Verhältnis ist ja in den Medien teilweise recht verzerrt dargestellt, wenn ich beispielsweise an die BILD denke. Ich habe insgesamt den Eindruck, dass es immer schwerer wird, wirklich durchzusteigen und die vielen Informationen richtig einzuordnen. Mir scheint, dass es höchste Zeit für ein Fach „Medienkompetenz“ an den Schulen wird.
In der Tat muss das ein Schlüsselthema in der künftigen Pädagogik werden. Vor allem Kinder und Jugendliche müssen frühzeitig lernen, Informationen kritisch bewerten und einordnen zu können. Dass man beispielsweise erkennt, ob man sich in einer Blase bewegt – dazu gehört auch ein pluralistischer Ansatz bei der Informationsbeschaffung, dazu gehört die Kenntnis der Manipulationsmöglichkeiten und der Umgang mit gezielten Informationsbombardements.

Dazu gehört dann aber auch, im Journalismus hohe Maßstäbe anzusetzen, also absolut seriös zu arbeiten. Der Trend ist eher ein anderer.
Womit wir wieder am Anfang unseres Gesprächs sind. Denn wenn es um Seriosität geht, muss zuallererst auch die Politik mit gutem Beispiel vorangehen. Und dazu würde gehören, bei so einem Thema wie der Pandemie die Parteipolitik weitgehend auszuklammern. Geschieht das Gegenteil, sorgt das überall für Unsicherheit, die dann auf diesen riesigen Resonanzboden im Internet trifft. Die Politik hat hier eine große Verantwortung, das gilt auch für die Opposition.

Apropos seriös, ich kann Ihnen den Altkanzler Gerhard Schröder am Ende nicht ersparen. Was sagen Sie zu seinen Äußerungen bezüglich der Krise in der Ukraine?
Sie meinen das „Säbelrasseln“, dass von der Ukraine ausgehen würde? Nein, das sehe ich anders. Unbestreitbar hat nun einmal Russland an der Grenze über einhunderttausend Soldaten zusammengezogen und nicht die Ukraine. Leider geht die Kriegsgefahr derzeit von Russland aus und ich hoffe sehr, dass es damit schnell ein Ende hat.

● Interview: Lars Kompa


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