Hendrik von Drachenfels: Irgendwas in mir

Erwachsenwerden ist nie leicht. Die Pubertät ist eine schwierige Zeit, in der man seine Identität erst noch finden muss. Trotzdem wird man mit Dingen konfrontiert, die man nicht mehr anderen überlassen kann. Die Schule ist ein Ort, an dem die meisten Herausforderungen zusammentreffen: die Erwartungen der Eltern, der Druck durch ständige Bewertung und das Chaos an Gefühlen durch Freundschaften, Selbstzweifel und Hormone. Sich in diesem Durcheinander zurechtzufinden, kann ganz schön schwer sein. Manche Jugendliche entwickeln deswegen eine Schulangst, die sich häufig auch in psychosomatischen Symptomen äußert und deshalb erst spät erkannt wird. Hendrik von Drachenfels ist Grundschullehrer in Hannover und hat sich mit diesem Thema eingehend beschäftigt. Im Oktober 2021 veröffentlichte er seinen Debütroman „Irgendwas in mir“. Darin wird die Geschichte eines Jugendlichen erzählt, der plötzlich nicht mehr zur Schule geht.

Hugos Kindheit scheint perfekt. Er lebt mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem kleinen Dorf am Rande der Stadt, ist beliebt in der Grundschule. Doch schon bald wird er konfrontiert mit den ersten Problemen, die ihn aus seiner kindlichen Geborgenheit reißen: Seine Mutter erkrankt an Krebs und die Ehe der Eltern beginnt zu bröckeln. Zwar übersteht sie die Krankheit, aber seine Eltern lassen sich scheiden und so steht Hugo die erste von einigen Veränderungen bevor. Dann ist die Grundschule vorbei und er wechselt ohne seine Schulfreunde in die Orientierungsstufe. Schon bald beschließt seine Mutter, in die Stadt zu ziehen – eine weitere große Veränderung für Hugo, an die er sich nur schwer gewöhnt. Durch den Ortswechsel wird das eh schon angespannte Verhältnis zu seinem Vater noch distanzierter. Er fühlt sich von ihm ungeliebt und übersehen. Gerade, als er sich endlich an die neue Situation gewöhnt hat, steht schon der nächste Wechsel bevor: Hugo kommt ans Gymnasium, und wieder muss er seine Schulfreunde hinter sich lassen. Wieder fällt es ihm schwer, sich einzugewöhnen, außerdem leidet er zunehmend unter dem Leistungsdruck, den seine Lehrer und Eltern auf ihn ausüben.
Irgendwann macht sich das auch körperlich bemerkbar. Im Englischunterricht wird ihm plötzlich übel – er bekommt das Gefühl, in einem rasenden Zug zu sitzen, über den er keine Kontrolle hat. Der Unterricht zieht an ihm vorbei, ohne dass er davon etwas wahrnehmen kann. An diesem Tag verlässt er die Schule früher – und geht für mehre Monate nicht wieder hin. Die ersten Wochen, in denen er fehlt, glaubt seine Mutter noch, dass er einfach nur krank ist. Doch nachdem er sogar im Krankenhaus ergebnislos untersucht wird, weiß sie nicht mehr weiter. Auch Hugo versteht nicht, warum er sich so fühlt und wieso es ihm so unmöglich erscheint, zur Schule zu gehen. Er weiß nur, dass er sich zu Hause bei seiner Mutter sicher fühlt und bei dem Gedanken an die Schule das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Er zieht sich immer weiter zurück, hat keine sozialen Kontakte mehr und fühlt sich nicht mehr als Teil der Gesellschaft. Nach drei Monaten, in denen Hugo nicht in der Schule war, schickt ihn seine Mutter zu einer Psychiaterin. Mit ihr arbeitet Hugo seine Kindheit, die Trennung seiner Eltern und das Verhältnis zu seinem Vater auf. Zwar versteht er jetzt besser, worin sich seine Schulangst begründet; trotzdem schafft er es nicht, zur Normalität zurückzukehren. Die Therapie scheint Hugo nicht wirklich weiterzubringen und so droht ihm als nächster Schritt ein Psychiatrie-Aufenthalt. Doch bevor es so weit kommt, hat Frau Vergille, Hugos Psychiaterin, eine andere Idee: Sie schlägt vor, dass er einen Schulbegleiter bekommt. Zuerst ist Hugo skeptisch, aber er merkt schnell, dass er Herrn Lichte vertrauen kann. Zusammen gehen sie jeden Tag erst mal nur bis vor die Schule. Doch Hugo weiß, ewig kann es so nicht weitergehen, irgendwann muss er seine Ängste konfrontieren und wieder zurück in den Unterricht …
Spannend und emotional erzählt Hendrik von Drachenfels in seinem Roman Hugos Geschichte und lässt dabei tief in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Jugendlichen blicken, der Probleme damit hat, sich den Schwierigkeiten des Alltags zu stellen. Dabei wird immer wieder deutlich, wie prägend für das weitere Leben die Kindheit und auch die Beziehung zu den eigenen Eltern ist.
Hendrik von Drachenfels, geboren 1992 in Hannover, studierte nach seinem Abitur an der Universität Hildesheim Grundschullehramt. Heute arbeitet er als Grundschullehrer in Hannover. Eigene Erfahrungen mit Schulangst in seiner Jugend haben ihn dazu motiviert, seinen Roman zu schreiben. Auch beruflich kommt er  mit dieser Thematik häufig in Berührung und stellt fest, dass das Problem gerade durch Corona noch einmal verstärkt wird. Mit seinem Roman beleuchtet er also ein sehr aktuelles und leider noch viel zu wenig beachtetes Thema.

      ● Jona Daum

 

 

Irgendwas in mir
von Hendrik von Drachenfels
Books on Demand
268 Seiten
9,99 Euro


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