„NS-Zeit in Hannover. Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen“ heißt eine Website, die jungen Menschen Wissen über die Verbrechen der Nazizeit vermitteln soll. Fakten werden hier übersichtlich gebündelt und gut verständlich zugänglich gemacht. Das Besondere daran: Es geht ganz konkret um Geschehnisse in Hannover, was die Informationen für SchülerInnen begreifbarer und natürlich auch interessanter macht. Was geschah in meinem Stadtteil? Wo gab es in Hannover Zwangsarbeiterlager? Welche Spuren der NS-Zeit kann ich an Hannoverschen Gebäuden noch heute erkennen? Der Kopf hinter der Seite ist der ehemalige Marketingleiter und Sachbuchautor Dietmar Geyer.
Bei einem Ausflug mit seinen Enkeln an den Maschsee kam er eher zufällig dazu, sich den sogenannten Fackelträger genauer anzusehen. Neben dem Schmuck aus Reichsadler und Lorbeerkranz entdeckte er die Inschrift „Gestiftet von Senator Fritz Beindorff“. Als ehemaliger Marketingleiter Schreibgeräte von Pelikan wurde Geyer hellhörig: Warum stiftete der damalige Inhaber der Firma Pelikan der Stadt ein solches Denkmal? Geyer erfuhr, dass der 1944 verstorbene Fritz Beindorff ein glühender Verehrer von Adolf Hitler gewesen war. Und er erinnert sich sogar selbst an Baracken, die er zu Anfang seiner 40-jährigen Tätigkeit für den Konzern auf dem Werksgelände gesehen hatte. Wieder suchte er nach Antworten und stellte fest, dass es damals sogenannte „Arbeitserziehungslager“ gegeben hatte. „Das ist die Vorstufe zu einem Konzentrationslager“, so Geyer. „Zwangsarbeiter, die sich irgendetwas zuschulden kommen lassen hatten, wurden hier interniert.“
Dietmar Geyer war überrascht, wie wenig er selbst über die Nazivergangenheit in Hannover wusste. Angesichts des wachsenden Rechtsextremismus und Antisemitismus wurde ihm der Gedanke, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, immer wichtiger. Und wer verhindern will, dass sich die Verbrechen der Nazis wiederholen, muss sich an Kinder und Jugendliche wenden.
„Für Jugendliche ist der Zweite Weltkrieg heute wie der Dreißigjährige Krieg – ganz weit weg. Dass es in Hannover sieben Konzentrationslager gab, weiß kaum jemand. Nur wie erreicht man junge Menschen? In der Schule ist die NS-Zeit ein Thema und ich dachte, es könnte eine Chance sein, mit einer Website hier Unterstützung zu geben. Der zweite Gedanke war, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich allgemein etwas über den Nationalsozialismus lerne, oder ob ich die Spuren der Nazizeit vor meiner eigenen Haustür finde.“
Erst einmal musste die Seite mit Inhalten gefüllt werden, wofür intensive Recherchearbeit aus öffentlich zugänglichen Quellen nötig war. „Etwas Neues herauszufinden, macht Spaß, mein Ehrgeiz war geweckt. So war zum Beispiel in der Geschichtsforschung über die Hitler-Jugend in Hannover sehr wenig bekannt. Wer weiß schon, dass das Spittahaus als Heim für den Bund Deutscher Mädel diente und das angrenzende Gebäude des Ballhofs ein Heim der Hitlerjugend war – genauso wie die Räume des heutigen Jazz-Club auf dem Lindener Berg? Oder dass sich in der Zepplinstraße 6 die Obergauführerinnenschule in einem Haus befand, das vorher dem jüdischen Kommerzienrat Julius Gumpel gehörte, der 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde?“
Mehrere Filme hat Geyer schon erstellt, musikalisch unterstützt von der Tonhalle und einer Studentin, die als Sprecherin fungierte. Weitere sollen folgen, wofür Geyer noch auf der Suche nach einem männlichen jungen Sprecher ist. Geplant sind Beiträge über die Entstehung des Maschsees und über das sogenannte „Gauforum“, bombastische Gebäude, die Hitler rund um den Maschsee errichten wollte. Ein weiterer Film soll das Leben und Sterben hannoverscher Gymnasiasten zeigen, die 16-jährig als Luftwaffenhelfer zwangseingezogen wurden.
Nach dem Aufbau der Seite schrieb Geyer Schulen an und wird seitdem immer wieder eingeladen, im Unterricht über seine Arbeit zu berichten. Die LehrerInnen nutzen diese Stunde als Einstieg für ihre Unterrichtseinheit über das Dritte Reich. SchülerInnen können später für Referate oder Facharbeiten auf die Website zugreifen.
Geyer sucht weiter, auch wenn er kein Profi ist. Er besucht Museen und Archive, befragt Zeitzeugen und lässt sich nicht entmutigen, auch wenn er auf bürokratische Widerstände oder sogar Desinteresse stößt. Momentan arbeitet er an der Idee einer Wanderausstellung über die Hitlerjugend für Schulen, für die er noch Kooperationspartner sucht. „Meine Erfahrung ist, wenn man etwas will, muss man es selbst machen. Aber für eine solche Ausstellung, die toll wäre, um SchülerInnen zu erreichen, brauche ich Unterstützung.“
● Annika Bachem
www.NS-Zeit-Hannover.de
YouTube NS-zeit-hannover.de
Das ist richtig gute Jugendarbeit. Gerade den Heranwachsenden zu vermitteln, wie man die Sinne schärft und aufmerksam durch die Welt geht. Respekt vor dieser Aufgabe und Leistung!
G.Thiele
Ich bin älter als Sie und „Hannoveraner“. In ihrem Artikel stellen Sie Hannover als eine Hochburg des Nationalismus dar. Sicher waren es schlimme Zeiten aber nicht nur in Hannover. Sie sollten auch etwas gutes an Hannover lassen. Beim publizieren ihres Artikels hatten Sie nicht zufällig den Verlauf der heutigen Politik Deutschlands im Blick? Mir gefällt ihr einseitiger Blick auf Hannovers Geschichte nicht.