Um schöne Blumen geht es den Mitgliedern des kleinen, feinen Ahlemer Vereins „Menschen lieben die Natur e.V.“ nicht. Ihr Fokus ist auf essbare Pflanzen gerichtet. Wie kann man sich in der Stadt autark mit frischem Gemüse versorgen? Einen Teil der Antwort liefert der Verein mit seiner mobilen Salatwand „Verticalix“. Etwas Bleibendes haben sie nun erstmals in Ahlem geschaffen: eine 55 Meter lange, zwei Meter hohe Erdwand, bepflanzt mit (demnächst) duftenden Kräutern.
Noch sind die Pflanzen klein, aber die Wand ist schon ein echter Hingucker. Leicht gewellt säumt sie über 55 Meter der Wunstorfer Landstraße Richtung Seelze.
Den Verein „Menschen lieben die Natur e. V.“ betreiben die Gemüse-Aktivisten erst seit etwa einem halben Jahr. Der Verein ist viel älter, saß früher in Frankfurt und wurde von den engagierten Ahlemern übernommen. So erklärt sich auch der etwas sperrige Name. „Wir brauchten für unsere Ideen zur Landwirtschaft im urbanen Raum ein solches Konstrukt“, erklärt der erste Vorsitzende Raimund Sichma. „Einige von uns kommen aus der Landwirtschaft, auch ich habe Landwirtschaft gelernt und einen Bioland-Betrieb aufgebaut. Dieser Betrieb gehört zu einem Wohnheim-Projekt für psychisch kranke Menschen, dessen Geschäftsführung ich dann später übernommen habe.“
Aus diesem landwirtschaftlichen Hintergrund heraus entstand die Frage, wie man in der Stadt Landwirtschaft oder Gartenbau betreiben könnte. Wo die Böden entweder verseucht oder versiegelt sind, muss man in die Vertikale gehen. Wie stark muss ein solcher Anbau gefördert werden, damit wirtschaftlich angebaut werden kann? Teurer als auf horizontalen Feldern ist vertikaler Anbau immer. Daher müssen Zusatzeffekte wie Kühlung, Bindung von CO2 und Staub und Erhöhung der Biodiversität beim Urban Farming mitgedacht werden.
Zusammen mit Transition Town Hannover wurde vor etwa drei Jahren eine mobile Pflanzwand entwickelt: „Verticalix“. Etwa 4,5 Meter breit und 2 Meter hoch, in Einzelteilen transportierbar, mit einem Wassertank, einer Fotovoltaikanlage und Steuerungstechnik zur Bewässerung ausgestattet, kann diese theoretisch überall aufgestellt werden, wo es Licht für die Pflanzen gibt. Die Wand ist seither „auf Tour“ und wird mit verschiedenen Partnern an den unterschiedlichsten Orten präsentiert. Zuletzt hatte „Verticalix“ im Hafven in der Nordstadt als Salatwand einen Auftritt und konnte ihrer Aufgabe, zu Urban Farming anzuregen, perfekt nachkommen. Denn natürlich erfüllt eine solche Wand eher pädagogische Zwecke als ökologische. „Einen Einsatz in KiTas, Schulen oder Behinderteneinrichtungen könnten wir uns sehr gut vorstellen“, erklärt Sichma.
„In diesem Jahr haben wir uns aber erst einmal auf diese Wand konzentriert“, lacht er und zeigt auf das jüngste Werk des Vereins. „Wir freuen uns, endlich mal etwas in Ahlem realisieren zu können. Natürlich arbeiten wir auch gern in Linden, aber da rennen wir im Grunde offene Türen ein. Hier ist die Bevölkerungsstruktur aber so, dass nicht jeder, der vorbeispaziert, sich schon mit vertikaler Stadtbegrünung auseinandergesetzt hat. Die Nachbarschaft hat bei der Pflanzaktion regen Anteil genommen. Und der Kontrast zur stark befahrenen Bundesstraße ist natürlich enorm. Das schafft eine große Aufmerksamkeit und ist einfach sehr charmant. Die Erdwand ist mit Lavendel-, Thymian-, Rosmarin und Salbei bepflanzt, es sind insgesamt 2000 Pflanzen. Wenn hier erst mal alles blüht in ein paar Wochen, haben wir eine Petite Provence neben der Wunstorfer Landstraße.“
Gerade dieser Kontrast ist den Vereinsmitgliedern sehr wichtig. Begrünte Flächen im ländlichen Raum mögen hübsch sein, im Stadtgebiet könnten sie dem im Zuge des Klimawandels größer werdenden Problem der Aufheizung größerer Betonflächen etwas entgegensetzen und so eine wichtige Funktion erfüllen.
260 ehrenamtliche Arbeitsstunden sind zusammengekommen bei der Konstruktion und Bepflanzung der Wand, die durch die Spende der Petra Hautau-Stiftung aus Schaumburg und Fördermittel der Stadt unterstützt wurde. „Wir sind nur ein kleiner Verein, aber wir haben viele Freunde“, sagt Raimund Sichma und freut sich über deren praktische Unterstützung bei diesem Kraftakt. Äußerlich ähnelt die Kräuterwand einer Gabionenwand – mit dem großen Unterschied, dass die Metallelemente nicht mit Schotter, sondern mit Erde gefüllt sind. Durch eine Folie und eine Kokosmatte vor dem Ausschwemmen geschützt, werden die Pflanzen bald das Metallgitter verdecken, duften und Bienen und andere Bestäuber anlocken. Die Rückseite wird mit Klematis und Kletterhortensien berankt.
In der Erde befinden sich Bewässerungsschläuche, die eine genau definierte Wassermenge abgeben, gespeist von einem Brunnen. „Wie stark die Wand bewässert werden muss, müssen wir erst einmal ausprobieren, das hängt ja auch vom Wetter ab und von der Größe der Pflanzen. Wir haben absichtlich mediterrane Pflanzen ausgewählt, weil die so anspruchslos sind. Natürlich ist das auch ein Experiment.“ Raimund Sichma ist gespannt auf die weitere Entwicklung des Projekts. Jetzt ist erst einmal die Natur dran
● Annika Bachem
Foto: Sofie Puttfarken