Immer noch hält sich hartnäckig das Gerücht von Hannovers Farblosigkeit. Als „Stadt ohne Eigenschaften“ verschrien gehört es zum Repertoire einfallsloser Komiker*innen, sich immer wieder in solchen Klischees über die niedersächsische Landeshauptstadt zu ergehen – und dabei vielleicht noch die eine oder andere Berühmtheit zu streifen, die zwar aus Hannover stammt, aber doch nichts an seinem blassen, langweiligen Image ändern könne. Solchen halbinformierten Vorverurteilungen hat Gerhard Weber den Kampf angesagt. In seinem launigen Stadtführer „Hunde bitte an die Leine zu führen“ lädt er seine Leser*innen zu interessanten Spaziergängen ein, auf denen wichtige Persönlichkeiten, literarische und architektonische Perlen sowie Hannovers wechselhafte Geschichte quasi im Vorbeigehen beleuchtet werden. Humorvoll, informativ und voller überraschender Details ist der schmale Band der perfekte Begleiter auf Streifzügen durch die Landeshauptstadt. Nun liegt er bereits in zweiter Auflage vor.
„Gutes Hochdeutsch, schlechtes Wetter“ – so lautete die Kurzanalyse eines Bekannten, als Gerhard Weber ihn fragte, wie er Hannover beschreiben würde. Andere verbanden mit der Stadt den Maschsee, Hannover 96 und die Scorpions, vielleicht noch Leibniz, Lessing und Lena, aber damit hatte es sich dann auch. Entsprechend stieß Webers Ankündigung, ein Buch über die Kultur und Geschichte dieser Stadt schreiben zu wollen, auf Verwunderung, doch damit hatte der gebürtige Hannoveraner bereits gerechnet. Umso genussvoller widerlegt er nun alle Skeptiker*innen mit seinem Stadtführer, der Spaziergänge entlang von bekannten und weniger bekannten Sehenswürdigkeiten in verschiedenen Stadtteilen vorschlägt.
Insgesamt sieben Routen schildert Weber, beginnend im Maschsee-Viertel und endend in Linden, die alle leicht zu Fuß abgelaufen werden können – wobei immer wieder auf Sitzgelegenheiten und empfehlenswerte Gastronomien hingewiesen wird, wenn längere Leseabschnitte bevorstehen. In diesen werden zum Beispiel wichtige Ereignisse aus Hannovers Geschichte zusammengefasst oder Biografien berühmter Persönlichkeiten angerissen, und das in einem lockeren, ansprechenden Erzählton, den man während seiner Tour immer im Ohr behält. Aber auch andere Stadtkinder kommen zu Wort, wenn etwa aus berühmten Texten von Kurt Schwitters, Karl Krolow, Frank Wedekind oder August Wilhelm Iffland zitiert wird. Daneben finden immer wieder auch weniger bekannte Personen mit dem Geburts- bzw. Wirkungsort Hannover wie etwa die Flugpionierin Elly Beinhart, der Königliche Hofkapellmeister Heinrich Marschner oder auch Rudolf Erich Raspe, Ur-Autor der „Wundersamen Abenteuer des Barons von Münchhausen“, ausführliche Erwähnung. Angereichert wird diese Wundertüte an lesenswerten Fakten durch die eine oder andere persönliche Anekdote Webers, der mit Hannover beruflich und privat viele prägende Erlebnisse verbindet.
Diese Wertschätzung entstand aber erst im Laufe der Jahre. 1950 eben hier geboren, ergriff Weber frisch nach dem Abitur erst einmal die Flucht und ging 1970 nach Wien, um dort das Studium der Regie am Max-Reinhardt-Seminar aufzunehmen. 1974 folgte er dem Ruf des Schauspieldirektors Claus Peymann an das Staatstheater Stuttgart. Danach arbeitete er als Gastregisseur an einer Vielzahl von Staats- und Stadttheatern in Österreich und Deutschland. Von 1991 bis 1998 war er als Oberspielleiter am Staatstheater Saarbrücken. Doch schließlich führte es ihn zurück in seine Heimatstadt, da er 1998 an der Landesbühne Hannover seine erste Intendanz antrat. Anschließend leitete er das Stadttheater Trier, bevor er 2015 endgültig nach Hannover zurückkehrte, wo er heute gemeinsam mit der Schauspielerin Julia Goehrmann die Musical-Factory leitet. Wieder vor Ort fand er die Muße, aber auch den Drang, das Hannover-Bild seiner Mitmenschen geradezurücken und schrieb deshalb „Hunde bitte an die Leine zu führen“. Ein Stadtführer, der viele überraschende Erkenntnisse bereithält – selbst für eingefleischte Hannoveraner*innen!● Anja Dolatta
„Hunde bitte an die Leine zu führen“
Unterhaltsame Spaziergänge durch Hannovers Kultur und Geschichte
von Gerhard Weber
J. G. Seume Verlag
ISBN 13-978-3-9814045-9-3
200 Seiten
16,90 Euro