Fünfzig Jahre lang stand der Kabarettist Dietrich Kittner (1935 – 2013) auf der Bühne, um Politikern und Wirtschaftsvertretern die Leviten zu lesen. Das handelte ihm den Ausschluss aus der SPD ein und führte dazu, dass er im Fernsehen nicht mehr auftreten konnte. Seine Bühnenauftritte, beispielsweise im Kabarett Club Voltaire oder dem Theater am Küchengarten in Hannover, konnten ihm aber nicht verboten werden – und die waren stets ausverkauft. Nicht zuletzt wurde sein Wirken 1984 mit dem Ehrenpreis des Deutschen Kleinkunstpreises geehrt. Im Mai wäre der umtriebige Satiriker 85 Jahre alt geworden – für Sylvia Remé ein guter Anlass, das bewegte Leben der Kabarettlegende in einer Biografie zu beleuchten.
„Dieser Mann – er formuliert scharf wie roter Chili, er agiert überlegt, und ihm zuzuhören bringt Spaß und bewegt die Lachmuskeln wie die grauen Zellen gleichermaßen!“ Mit viel Begeisterung erinnert sich der Journalist Rainer Butenschön an seine erste Begegnung mit dem spitzzüngigen Kabarettisten Dietrich Kittner beim hannoverschen Altstadtfest im Jahr 1980. Mit sprachlicher Raffinesse und Schlagfertigkeit wusste der sich nämlich gegen die plumpen Diskreditierungsversuche einiger Burschen vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten zu wehren, die sich über seine linksgerichteten – und atheistischen – Reden ärgerten. Kittner scheute die Konfrontation nicht. Selbst in ungemütlichen Situation behielt er einen klaren Kopf, und von denen gab es in seinem ereignisreichen Leben nicht gerade wenige, wie seine Biografin Sylvia Remé in ihrem Buch aufzeigt.
1935 als Sohn eines Zahnarztes und seiner Frau in Oels, Niederschlesien geboren, gründete Kittner bereits im Alter von 25 Jahren während seines (später abgebrochenen) Jura-Studiums in Göttingen ein eigenes Studentenkabarett. Die „Leid-Artikler“, wie die Gruppe sich nannte, trat ab den 60ern auch vermehrt in Hannover auf, wo Kittner sich mit seinen bewusst provokanten Aktionen und Programmen häufig den Ärger von Ämtern und Behörden zuzog. Ab 1966 trat er ausschließlich als Solo-Künstler bzw. zusammen mit seiner Frau Christel auf, vor allem auf der von ihnen im Jahr 1975 gegründeten Kabarettbühne Theater an der Bult. 1987 erfolgte der Umzug in größere Räumlichkeiten in Linden und die Umbenennung in Theater am Küchengarten, dessen Leitung das Ehepaar bis 1993 innehatte. In seiner Blütezeit absolvierte Kittner bis zu 220 Auftritte pro Jahr, teilweise sogar in der DDR. Denn er vertrat ein stark links orientiertes Kabarett, was ihm Mitte der 60er den Ausschluss aus der SPD und von 1973 bis 1989 auch noch ein implizites Auftrittsverbot im westdeutschen Fernsehen bescherte. In seinen späteren Jahren näherte er sich daher der DKP an, wurde zeitweise Mitherausgeber der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky und trat verschiedenen pazifistischen Organisationen bei. Neben seiner künstlerischen Arbeit legte Kittner aber auch stets großen Wert auf ein bürgerliches Engagement und die Aufklärung der Bevölkerung, bis er im Jahr 2013 im österreichischen Bad Radkersburg verstarb.
Für die Autorin Sylvia Remé ist dies nicht die erste Biografie über eine eng mit Hannover verbundene Persönlichkeit der jüngeren Vergangenheit. 2011 veröffentlichte sie bereits ein Buch über den Rechtsanwalt und sozialdemokratischen Politiker Werner Holfort, dessen Wirken in den 70er- und 80er-Jahren sie betrachtete. Remés Interesse für geschichtliche Themen kommt nicht von ungefähr: Sie studierte Geschichte und Literaturwissenschaften in Hannover sowie christliche Archäologie und byzantinische Kunstgeschichte in Göttingen. 2009 promovierte sie außerdem im Fach Geschichte an der Leibniz Universität Hannover. In ihrer Kittner-Biografie lässt die den Werdegang eines zeitlebens unbeugsamen, aber auch umstrittenen Künstlers Revue passieren und öffnet durch eine historische Einordnung seiner politisch-satirischen Kunst einen Weg, sein Werk im siebten Jahr nach seinem Tod neu zu entdecken. Ergänzt wird der Lebensbericht von zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos und Zeittafeln, ein paar Originaltexten Kittners sowie einer vollständigen bibliografischen Auflistung seiner Werke.
● Anja Dolatta Foto: karin_blher
Am 10. Oktober um 15 Uhr liest Sylvia Remé aus ihrer Kittner-Biografie im Bistro Sprechzeit, Hildesheimer Str. 76. Da die Teilnehmerzahl auf 16 Personen begrenzt ist, ist eine vorherige Anmeldung notwendig unter Tel. 0162 – 33 31 193 (Bistro Sprechzeit) oder 0171 – 82 54 746 (Sylvia Remé).
Dietrich Kittner
Porträt der Kabarettlegende
Mit einem Vorwort von Rainer Butenschön
zu Klampen! Verlag
304 Seiten
24 Euro
Auch als E-Book
erhältlich unter
www.zuklampen.de