Am 14. Mai 1948 endete das Britische Mandat über Palästina. Noch am selben Tag unterzeichnete David Ben Gurion, Vorsitzender der zionistisch-sozialistischen Arbeiterpartei, die israelische Unabhängigkeitserklärung – was unmittelbar darauf die Armeen der mit Palästina verbündeten Nachbarländer Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak auf den Plan rief; und die Zukunft des soeben erst gegründeten Staates Israel schien mehr als ungewiss. Keine drei Wochen später reiste der ungarisch-britische Journalist Arthur Koestler ins Land ein. Akkreditiert u.a. für den Manchester Guardian, den Figaro und die New York Herald Tribune würde er in den nächsten drei Monaten in zahlreichen Artikeln über die militärischen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Umbrüche berichten. Die Texte sowie seine Tagebucheinträge aus der Zeit bildeten die Grundlage für seine spätere Chronik „Promise and Fulfilment: Palestine 1917 – 1949“, die nun auszugsweise erstmals auf Deutsch erschienen ist.
„Während der ersten vierzehn Tage im Leben des neugeborenen Staates sah es so aus, als müsste er das Schicksal der kleinen Kinder unter Herodes teilen, deren zarte Körper dem Schwert zum Opfer fielen.“ Mühelos verankert Koestler seinen Augenzeugenbericht in dem biblischen Narrativ des Heiligen Landes. Auch an anderen Stellen nutzt er solche anschaulichen Sprachbilder, um auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu kommunizieren – etwa, wenn er das Flugzeug eines UN-Sondergesandten, das Tel Aviv überfliegt, als eine „motorisierte Friedenstaube“ beschreibt, „nur ohne Ölzweig“. Der Gebrauch solcher Stilmittel macht deutlich, dass der Autor nicht als neutraler Berichterstatter nach Israel reiste. Denn der 1905 in Budapest geborene Koestler wuchs als bewusster Jude auf, wurde im Laufe seines Lebens überzeugter Zionist und brannte für die Idee der Wiederauferstehung des jüdischen Volkes. Dennoch bemüht er sich um einen unparteiischen Blick, indem er beide Interessenseiten gleichermaßen kritisch betrachtet. Der israelische Arzt und Journalist Dr. Gil Yaron, der das Vorwort für die deutsche Übersetzung verfasst hat, schreibt über Koestlers Perspektive: „Das Leid der Palästinenser begriff er über seinen Intellekt, mit dem Schicksal der Juden verband ihn sein Herz.“
In den kurzen, episodenhaften Kapiteln verbinden sich weitsichtige Analysen und detaillierte Betrachtungen mit persönlichen Begegnungen. Denn im Laufe seines etwa dreimonatigen Aufenthalts ließ Koestler sich von den verschiedensten Menschen erzählen, wie sie die instabile Situation, mit der sie sich konfrontiert sahen, empfanden – darunter hoffnungsvollen Holocaust-Überlebenden, idealistischen Intellektuellen, aber auch einfachen Menschen, die niemals zuvor in Kriegsgeschehen verwickelt waren. In solchen Momenten, in denen banaler Alltag und geschichtsträchtige Ereignisse nahtlos ineinander übergehen, wird Koestlers Bericht besonders eindrücklich.
Obwohl der Text mehr als 60 Jahre alt ist, lohnt sich auch heute noch die Lektüre, und das nicht nur aus Geschichtsinteresse. Zum einen sieht Koestler bereits zu seiner Zeit viele der innenpolitischen Probleme voraus, die Israel bis in die Gegenwart erschüttern –
etwa das rasante Wachstum der ultraorthodoxen und nur schwer integrierbaren Bevölkerung – und formuliert Ansätze, diesen Herausforderungen zu begegnen. Andererseits abstrahiert der Autor aus seinen Analysen immer wieder allgemeinere Grundstrukturen und wiederkehrende Motive, die sich auch bei heutigen Konflikten weltweit wiederfinden. Dass das kein Zufall ist, sieht Koestler in der Beispielhaftigkeit der Situation von Israel begründet. So nehme dieses „auf jedem mittelgroßen Schulglobus zwar nicht viel mehr Platz als ein Staubkorn ein, und doch gibt es kaum ein politisches, soziales oder kulturelles Problem, dessen Prototyp man hier nicht vorfinden kann, und das in seltener Konzentration und Intensität.“
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