Roberto Goldner vom Zahnmobil

Porschefahrende Freizeitgolfer, die sich außerhalb ihrer Hochglanz-Praxis höchstens die Börsenkurse angucken? Solche Zahnärzte gibt es natürlich auch. Ganz andere trifft man beim Zahnmobil. Hier bieten sie in ihrer Freizeit kostenlos Zahnbehandlungen an. Für Menschen, die das gut gebrauchen können, weil sie aus den unterschiedlichsten Gründen aus dem System herausgefallen sind. Wir treffen den Diplom-Stomatologen Roberto Goldner in seiner Lindener Praxis.

Schon von Anfang an war er dabei, aufgrund seiner Freundschaft mit Dr. Ingeburg Mannherz, die das Projekt zusammen mit ihrem Mann initiiert hat. „Als sie die Idee hatte, 2010 muss das etwa gewesen sein, habe ich gesagt: Wenn du das machst, mache ich mit.”
Ein gebrauchter Rettungswagen, finanziert von der Stiftung „Hilfswerk deutscher Zahnärzte”, wurde zu einer sechs Quadratmeter kleinen, voll ausgestatteten Zahnarztpraxis umgebaut – und 2012 ging es los. „Über die Jahre ist mir das total ans Herz gewachsen”, so Goldner, der für sein Ehrenamt etwa zweimal im Monat seinen Freitagnachmittag, manchmal auch den Samstagvormittag im Zahnmobil verbringt. „Es ist toll zu sehen, dass sich da jemand riesig freut, dass er oder sie zu uns kommen kann und von Schmerzen befreit wird”, so der Zahnarzt. „Es macht Spaß, man lernt ganz andere Patienten und auch Kollegen kennen als im normalen Praxisalltag. Es ist einfach schön, auf diese Weise etwas zurückzugeben.”
Das Zahnmobil kommt zu festen Zeiten an verschiedene Standorte, oft in der Nähe von Wohnungslosentreffs. Dort wird über Aushänge und von den dort arbeitenden Menschen darauf hingewiesen, wann das Zahnmobil da sein wird. Meist wird es dann schon von einer Reihe Patienten erwartet.
„Wenn die Leute versichert sind, rechnen wir die Behandlung ganz normal ab und spielen so wieder ein bisschen Geld ein. Und die nicht Versicherten, häufig Geflüchtete, durch Migration illegalisierte Menschen, oder ehemals privat Versicherte, behandeln wir dann einfach so. Wir brauchen einen Stellplatz, einen Stromanschluss, fahren seitliche Ausleger aus, damit der Wagen nicht wackelt, und dann kann es losgehen. Digitales Röntgen, kleinere chirurgische Eingriffe – eigentlich sind alle therapeutischen Schritte durchführbar, ganz wie in einer normalen Praxis”, so Goldner.
„Nur bei einem Zahnersatz, der mehrere Termine erfordert, wird es schwierig. Denn erstens ist es ungünstig, wenn ein anderer Kollege weitermachen muss, was man selbst angefangen hat – da hat jeder seine eigene ‚Handschrift‘. Und vor allem weiß man nie so genau, ob die Leute wirklich wiederkommen. Wenn so etwas nötig ist, was ja auch oft mit mehrstündigen Terminen verbunden ist, die hier den Rahmen sprengen, versuchen wir, den Menschen die Angst zu nehmen, in eine Praxis zu gehen.”
Hier liegt oft das größte Problem. Denn auch Obdachlose sind in Deutschland in der Regel krankenversichert. Sie haben aber sehr oft riesige Berührungsängste, fürchten, schief angeguckt oder abgewiesen zu werden. Hier leistet das Team des Zahnmobils wertvolle Basisarbeit. Durch das niederschwellige Angebot kommen viele, die seit langer Zeit keinen Fuß mehr in eine Praxis gesetzt haben. So fassen sie Mut, sich wieder eine Praxis zu suchen.
„Und das funktioniert auch,” freut sich Goldner, „manchmal kommen Patienten nach Jahren wieder und sehen auf einmal 20 Jahre jünger aus, weil sie vernünftig mit Zahnersatz versorgt worden sind. Das ist dann echt schön! Die kommen manchmal und bringen kleine Geschenke mit, einfach weil sie sich so riesig freuen.”
2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle stand das Zahnmobil oft vor den verschiedenen Unterkünften, um Geflüchtete zu behandeln. Verständigungsprobleme wurden damals von den in den Unterkünften tätigen Dolmetschern gelöst. Ansonsten sind Sprachprobleme selten, man behilft sich notfalls mit Englisch. Oft werden die Patienten aber von den SozialarbeiterInnen der Wohnungslosentreffs vorbereitet und bringen jemanden mit, der übersetzen kann.
Zum Team gehören neben den ehrenamtlichen Fahrern und einer Zahnarzthelferin etwa 30 ZahnärztInnen, die an ihren freien Vor- oder Nachmittagen kommen. Manche haben halbe Stellen und somit freie Kapazitäten, andere sind schon im Ruhestand, oder nutzen ihre praxisfreien Zeiten. Die Zahnarzthelferin ist die einzige Angestellte. „Es ist ganz wichtig, dass es einen Fixpunkt gibt, eine Person, die genau weiß, wo alles ist und die immer den Überblick hat. Denn ansonsten wechselt die Belegschaft ja täglich”, erklärt Goldner. „Auch muss die Hygiene sichergestellt werden, wie in jeder anderen Praxis, und dafür ist sie ebenfalls zuständig.”
Und wie stark war der Einschnitt durch die Corona-Pandemie? „Wir waren im Grunde schon vor Corona vielleicht noch stärker auf Infektionsschutz bedacht als sowieso üblich, weil wir bei unserer Klientel nie sicher sein können, ob vorhandene Infektionen kommuniziert werden. Oft wissen diese Patienten ja nicht mal, ob sie Infektionen wie Hepatitis B oder C haben,” erklärt Goldner. „Von daher mussten wir gar nicht so viel ändern. Wir tragen jetzt noch zusätzlich Visiere und Schutzkleidung, aber alles andere, wie Desinfektion der Oberflächen etc., war auch vorher schon selbstverständlich. Das größere Problem war zunächst, dass die Wohnungslosen anfangs völlig uninformiert waren. Die gucken ja nicht unbedingt die Tagesschau oder lesen Zeitung. Und so haben sie sich auch gar nicht geschützt, weil sie keine Ahnung hatten. Dabei trifft gerade sie so eine Infektion am härtesten, weil sie ungesund ernährt und sowieso schon in einem schlechten Gesundheitszustand sind.”

Vor drei Jahren wurde unter der Trägerschaft des Diakonischen Werks ein Förderverein gegründet, dessen vorrangige Aufgabe es ist, den jährlichen Finanzbedarf des Zahnmobils von etwa 80.000 Euro über Sponsoren und Spenden zu sichern. Wer sich als ZahnmedizinerIn, FahrerIn, oder einfach als Fördermitglied engagieren möchte, findet alle Infos unter: www.zahnmobil-hannover.de

 Annika Bachem


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