Herr Weil, wir müssen kurz darüber sprechen, dass es mit der Prämie für besonders ökologische Benziner und Diesel, die Sie gefordert haben, nun nicht funktioniert hat.
Ja, in diesem Punkt waren die Berliner Beschlüsse aus meiner Sicht alles andere als vernünftig. Aber jetzt sind die Würfel gefallen und eine solche Diskussion darf man auch nicht ewig weiterführen. Solange noch über etwaige Prämien gesprochen wird, halten die Käufer sich noch mehr zurück. Also, Haken dran. Aber das Problem bleibt leider trotzdem. Sorgen bereiten mir nämlich nicht in erster Linie die großen Hersteller, also zum Beispiel Volkswagen. Das sind ja starke und auch widerstandsfähige Unternehmen. In immer größere Schwierigkeiten geraten aber viele kleine und mittlere Zuliefer-Unternehmen, die wir in Deutschland und insbesondere in Niedersachsen haben. Seit drei Monaten werden kaum noch Autos verkauft und das merken gerade solche Unternehmen. Deswegen brauchen wir eine Ankurbelung des Marktes dringend. Am Ende geht es auch in Niedersachsen um viele Tausend Arbeitsplätze, die genauso viel Engagement erwarten dürfen, wie es für andere Branchen gezeigt wird.
Sie haben ja sehr viel persönlichen Kontakt zu den Unternehmerinnen und Unternehmern, nicht nur in dieser Branche. Vielleicht berichten Sie mal von Ihren Erfahrungen und Eindrücken. Ich kann mich erinnern, dass Sie vor einigen Wochen von gestandenen Unternehmern erzählt haben, die am Telefon furchtbar verzweifelt waren.
Das waren Reaktionen aus den ersten Tagen nach dem Lockdown, als wir reihenweise Geschäfte dichtgemacht haben. So manches Unternehmen stand von heute auf morgen ohne jede Einnahme da. In dieser ersten Phase haben sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer wie im falschen Film gefühlt, wie in einem Alptraum. Die Sofortprogramme, die dann ja sehr schnell installiert worden sind, haben die Verluste sicherlich ein wenig lindern können, aber unterm Strich blieben doch erhebliche Einbußen. Das Problem in der Zuliefer-Industrie ist nochmal ein anderes. Der Automarkt ist ja – wie gesagt – seit drei Monaten nicht mehr derselbe, die Nachfrage ist leider fast vollständig eingebrochen. Es kommt hinzu, dass viele Unternehmen aus diesem Bereich bereits angeschlagen in die Krise hineingegangen sind. Abgesehen davon, dass sie in den vergangenen Jahren schwierige Marktverhältnisse hatten, mussten sie auch teilweise hohe Investitionen tätigen im Zusammenhang mit dem Thema Klimaschutz. Und ebenso wie beim menschlichen Organismus machen auch bei Unternehmen etwaige Vorerkrankungen, also insbesondere eine Finanzschwäche, das Ganze noch einmal viel gefährlicher. Das ist derzeit meine große Sorge.
Und Sie haben tatsächlich schlimmste Befürchtungen?
Wie groß das Ausmaß sein wird, kann Ihnen so genau natürlich keiner sagen, aber die IG Metall hat auf Bundesebene ganz grob von etwa 150.000 Arbeitsplätzen gesprochen, die verloren gehen könnten. Und bei NiedersachsenMetall, dem Arbeitgeberverband hier in Niedersachsen, spricht man über gefährdete Arbeitsplätze im fünfstelligen Bereich. Das sind alles qualifizierte Arbeitsplätze, tarifliche Arbeitsplätze. Wir müssen wirklich verhindern, dass die Wertschöpfungsketten in der Großindustrie nicht kaputt gehen. Wir haben in Deutschland bisher den enormen Vorteil, viele starke Industriezweige im eigenen Land zu haben. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen, da müssen wir sehr genau hinsehen. Insofern hätte ich mir auch bei der Frage der Prämie einen längeren Blick und eine offenere Haltung gewünscht. Aber wie gesagt: Das Thema ist nun durch.
Sie hatten ja so einen Kompromiss im Kopf, zwei weitere Jahre gibt man noch den Benzinern, um für die gesamte Branche ein bisschen Zeit zu gewinnen …
Ja, wir sprechen über die größte deutsche Industrie, die sich in einem dringend notwendigen Umbauprozess in Richtung Klimaschutz befindet. Diesen Kurs unterstütze ich auch persönlich sehr stark. Aber letztlich ist es wie bei einem sehr großen Tanker, der zwar seinen Kurs ändern kann, dann aber seine Zeit braucht bis er wieder mit guter Geschwindigkeit auf neuem Kurs fährt. Und diese Zeit muss man dem Tanker geben, sonst kommt man nicht ans Ziel. So ist es auch mit der Industriepolitik in Sachen Automobilwirtschaft.
Man hat aus Ihrer Sicht also eher nach dem gegenwärtigen Zeitgeist entschieden, nach der Stimmung in der Öffentlichkeit?
Für mich ist es ein ganz wichtiges Thema, Arbeitsplätze zu erhalten. Darum brauchen wir gute und kluge Kompromisse. Und wenn ich mir das jetzt anschaue und sehe, dass man sich in vielen Bereichen allergrößte Mühe gegeben hat, Unternehmen zu retten und Jobs zu erhalten, dann frage ich mich, warum das im Bereich der Automobilwirtschaft nur sehr verhalten geschieht.
Es gab ja einige Parteien und auch Organisationen oder Bewegungen wie Fridays vor Future, die diese Entscheidung gegen Prämien sehr begrüßt haben. Da gab es lauten Beifall und auch Genugtuung. Mir scheinen die Gräben sehr tief. Wie könnte man denn diese Gräben wieder ein bisschen mehr zuschütten?
Indem man sich gegenseitig zuhört und den notwendigen Diskussionen angemessen Zeit und Raum gibt. Es gibt Themen, die lassen sich nicht auf zwei Hauptsätze herunterbrechen. Leider werden aber viele Themen in den politischen Diskussionen zu stark verkürzt. Industriepolitische Entwicklungen sind schwierig und komplex und wenn man versucht, es sich damit ganz ganz einfach zu machen, dann macht man im Zweifel einen Fehler. In der Automobilwirtschaft sind ganz ohne Frage in der Vergangenheit sehr viele Fehler gemacht worden und wir könnten schon wesentlich weiter sein mit dem Umbau. Aber der jetzt eingeschlagene Kurs ist vernünftig und nachhaltig. Ich hätte mir gewünscht, dass man gerade die Zulieferunternehmen in dieser Krise unterstützt.
Ich habe den Eindruck, wir leben mehr und mehr in einer Zeit, in der es ständig darum geht, sich auf die vermeintlich richtige Seite zu schlagen, um dann Feuer frei zu geben auf die andere Seite. Gibt es so eine neue Sehnsucht, die Dinge mal schnell in Ordnung bringen zu wollen?
Wenn es diese Sehnsucht gibt, dann ist zunächst nichts dagegen einzuwenden. Es ist ja durchaus positiv, etwas in Ordnung bringen zu wollen. Und auch Stellung zu beziehen, eine Meinung zu haben und zu vertreten, auch öffentlich. Davon lebt unsere Demokratie. Aber wir leben tatsächlich in einer Zeit gefährlicher Vereinfachungen. Das geht, um bei unserem Thema zu bleiben, dann so: „Wenn wir jetzt auf Elektroautos umsteigen, dann sollen auch nur die gefördert werden, dann darf es kein Geld mehr für die Verbrenner geben.“ Das klingt auf den ersten Blick plausibel. Die Krux an der Sache ist nur, dass sich die Automobilindustrie gerade jetzt in einer anspruchsvollen Umbauphase befindet, was man sich übrigens in Hannover in Stöcken gut sehen kann. Der Prozess ist in vollem Gange, aber die E-Autos, die wir jetzt alle wollen, die gibt es momentan noch nicht. Sie werden kommen, im Laufe dieses Jahres, im Laufe des kommenden Jahres. Und man kann nicht all den Menschen, die momentan noch am Verbrennungsmotor arbeiten, sagen, sorry, für euch ist jetzt kein Platz mehr. Das sind nach wie vor im Augenblick noch 90 Prozent der Beschäftigten in dieser Industriesparte. Diese Menschen brauchen eine Perspektive und das verdient mindestens eine Abwägung mit dem Aspekt des Klimaschutzes. Diese Abwägung ist nicht nur in zwei Hauptsätzen möglich und sie ist in diesem Fall wesentlich zu kurz gekommen.