Kultur ist systemrelevant

Keine Konzerte, keine Ausstellungen, keine Lesungen, keine Aufführungen, gar nichts. Erst ganz allmählich wird in diesen Tagen nun das Leben hochgefahren, die Geschäfte haben geöffnet, ein paar Schülerinnen und Schüler kehren zurück in die Klassenzimmer – aber wann wir uns wieder über Veranstaltungen freuen dürfen, über Kultur, das steht noch in den Sternen. Es kann durchaus noch Wochen, vielleicht sogar Monate dauern, bis wir einen Veranstaltungskalender, so umfangreich wie beispielsweise den in unserer März-Ausgabe in diesem Jahr, wieder füllen können. Das kommt einem reichlich unwirklich vor. Fast gespenstisch. Der März war noch prall gefüllt, im Mai ist schon nichts mehr übrig. Natürlich, es wird gestreamt in diesen Tagen, die Kulturveranstalter probieren diverse neue Formate aus, um ihr Publikum über das Internet zu erreichen. Aber allen ist dabei klar: Das kann auf Dauer kein Ersatz sein für die echten Live-Erlebnisse, das ist alles nur Behelf.
Und wir alle bemerken, fast alle bemerken in diesen Tagen, welchen Stellenwert die Kultur hat, bzw. wohl eher haben sollte. „Kultur ist systemrelevant!“, so haben wir es auf unseren Titel geschrieben. Ein Statement. Was ich damit verbinde, dazu am Ende mehr.
Wir haben für diese Ausgabe ohne Kultur sehr viele Kulturschaffende angeschrieben, fast 150 waren es am Ende. Und wirklich alle haben geantwortet, sich teilweise entschuldigt, keinen Beitrag liefern zu können, zu sprachlos zu sein, zu „fertig“. Fast 90 haben trotzdem Texte und Fotos geschickt, sie haben teilweise kreativ auf unsere Anfrage reagiert, teilweise eigene, persönliche Texte verfasst oder sich die Zeit genommen, unsere umfangreichen Fragen zu beantworten.
Wiederholt sich das nicht? Diese skeptische Frage kam natürlich. Ja und nein. Natürlich gleichen sich die Probleme, aber es ist dennoch spannend, zwischen den Zeilen den zum Teil sehr unterschiedlichen Umgang mit der Krise zu erkennen. Optimistisch, pessimistisch, verzweifelt oder auch wütend, sehr viele unterschiedliche Tonlagen zeichnen in dieser Ausgabe gemeinsam ein Bild zu einer Kulturlandschaft zwischen Warteschleife, Schockstarre und purer Existenzangst. Letzteres ist nachvollziehbar. Vielen Kulturschaffenden hat das Virus von einem Tag auf den anderen die komplette Lebensgrundlage entzogen. Was ist jetzt zu tun? Soll man an die Reserven gehen, falls überhaupt welche vorhanden sind? Die versprochene Soforthilfe war für viele soloselbstständige Künstlerinnen und Künstler keine Hilfe, sie haben oft keine Betriebsmittel im herkömmlichen Sinne. Ist die Grundsicherung eine Alternative? Sie zu beantragen ist für die meisten Kulturschaffenden eine Zumutung, zumal abseits aller Theorie in der Realität Welten aufeinandertreffen, wenn Künstlerinnen und Künstler mit skeptischen Verwaltungsangestellten klarkommen müssen.
Ich denke, es braucht in Hannover noch mal eine weitere Soforthilfe, speziell konzipiert für die Kulturschaffenden. Die Niedersächsische Sparkassenstiftung und die VGH-Stiftung sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und haben einen Sonderfonds für Kulturschaffende aufgelegt. Die Stadt Hannover sollte – vielleicht im Schulterschluss mit einigen großen, teils städtischen Unternehmen – noch mal nachlegen, auch im Sinne der Bewerbung zur Kulturhauptstadt.
Wenn ich hier eben von der Skepsis der Verwaltungsangestellten gesprochen habe, dann hat das schon einen gewissen Hintergrund. Ich habe von vielen Kulturschaffenden gehört, vor allem aus dem Bereich der bildenden Kunst, dass die Kommunikation vor Ort teilweise nicht ganz einfach ist. Wenn man zum Beispiel gefragt wird, was man kann, was man gelernt hat, und dann antwortet, dass man Kunst studiert habe. Dass man also Kunst kann. Dann bekommt man ein Stirnrunzeln.
Solche Begegnungen sind bestimmt für beide Seiten nicht leicht, für die Kulturschaffenden aber sind sie äußerst unangenehm, werden sie doch in die Rolle gedrängt, sich für ihr Tun rechtfertigen zu müssen. Wobei es ein klassischer Musiker noch einfacher hat als ein bildender Künstler. Der Musiker hat wenigstens hörbar etwas zu bieten, ob der bildende Künstler was kann, das ist am Ende immer auch Geschmackssache. Und schon sind wir mitten in der Diskussion, welchen Wert Kultur in den unterschiedlichen Facetten eigentlich hat. Und bei der Frage, ob man in Krisenzeiten darauf nicht eine Weile verzichten könnte. Womit wir wieder bei unserem Statement sind. Meine klare Antwort: Nein, kein Verzicht! Kultur ist systemrelevant, denn Kultur verbindet, Kultur ist ein Bollwerk gegen Rassismus, Kultur hilft der Gemeinschaft, Kultur ist ein lebenswichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Gerade in großen Krisen müssen wir die Kultur und unsere Kulturschaffenden schützen. Denen überlasse ich nun das Wort in unserer gedruckten Mai-Ausgabe.

Lars Kompa
Herausgeber Stadtkind


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