Randgruppenbeleidigung: Humor-Tote

Wer behauptet, beim Karneval ginge es um das „schöne Gemeinschaftsgefühl“, die „tolle Musik“ und die „althergebrachten Traditionen“, der hat gleich schon mal den besten Witz der Saison gerissen. Und den einzigen auf weiter Flur. Denn das scheint ein ungeschriebenes Gesetz der fünften Jahreszeit zu sein: Es herrscht Lachzwang bei gleichzeitigem Pointenverbot. Auf diese Weise soll wohl verhindert werden, dass irgendjemand durch einen richtigen Kracherwitz vorzeitig aus seiner Schunkel-Trance erwacht und dann mit seiner leisen Kritik am gebotenen Humorprogramm allen anderen Jecken den „Spaß“ verdirbt. Die vertragen nämlich nur ganz leichte Kost, weil sie als waschechte Klischee-Deutsche das ganze Jahr über zum Lachen in den Keller gehen – außer eben an diesen fünf Tagen, an denen sie sich bis zur Besinnungslosigkeit amüsieren wollen. Zumindest haben sie sich das so im Kalender aufgeschrieben.
Um bei diesen humoristisch Minderbemittelten die verhärteten Mundwinkel zu lockern, braucht es ein System aus ausgeklügelt albernen Hilfestellungen – allen voran die Kostümierungspflicht. Denn wie könnte noch ein Auge trocken bleiben bei dem Anblick einer flotten Biene, die in ihrem Maja-Strampelanzug aus Kunstfell durch die Straßen torkelt und dabei den Geruch einer verschwitzten Altherren-Fußballmannschaft verströmt? Oder bei der Begegnung mit einem Mittfünfziger, der seine weibliche Seite entdeckt hat und das mit einer Vulva-Gesichtsmaske feiert, die schwer an das Monster von Stranger Things erinnert? Sowas muss man doch mit Kamellen abschießen! Am besten sind natürlich jene Urgesteine, die mit Indianerfedern, Schläfenlocken oder schwarz bemalten Gesichtern ihren Beitrag zur Traditionspflege leisten. Dazu noch ein paar Opas, die ihre alten Wehrmachtsuniformen auftragen – selbstredend selbstironisch. Man möchte brüllen!
Um diese Peinlichkeitsparaden aushalten zu können, ohne einen dauerhaften Gehirnschaden davonzutragen, braucht es jahrelanges Training, oder doch eher Konditionierung, die in Karnevalshochburgen wie Köln oder Mainz zum ganz normalen Bildungsprogramm gehört. In speziellen Vereinen werden bereits unschuldige Kinder darauf getrimmt, die Signaltöne und Hinweisworte, die einen sogenannten „Ulk-Moment“ markieren, zuverlässig zu erkennen und die korrekte Reaktion folgen zu lassen. Erst, wenn sie diese Dressur erfolgreich durchlaufen und ein Mindestalter von 18 Jahren erreicht haben, sind sie bereit für das Zelt – und für den Alkohol, ohne dessen betäubende Wirkung selbst hartgesottene Karnevalisten keine fünf Minuten des Programms aushalten würden. So aber läuft alles wie am Schnürchen nach dem Schema X: Ein Moderator in Pailetten-Jäckchen liest vor, wer als nächstes in die Bütt steigt, was das schwer atmende Publikum mit bräsigem Applaus quittiert. Dann Auftritt zweier Nappel, von denen einer als dümmlicher Dödel verkleidet ist und der andere zwar relativ normal aussieht, dafür aber eine Gitarre umhängen hat, was viele vorsorglich noch einen Vodka Bull bestellen lässt. Es folgt ein längeres Gespräch der beiden, das dank ihres starken Dialekts größtenteils ein sinnloses Genuschel bleibt – bis sie nach etwa zehnminütiger Hinarbeit endlich zu dem Höhepunkt ihrer nervenzersetzenden Geschichte kommen, für die sie dann auch extra deutlich sprechen. „Du willst mich wohl auf den Arm nehmen“, sagt der eine. „Nein“, sagt der andere und kostet das Herauszögern des Unvermeidlichen noch mal aus, „dafür bist du mir zu schwer!“ Zehn Sekunden Stille, dann signalisiert das Orchester den Witz mit einem Tusch und der ganze Saal bricht reflexartig in das antrainierte Gelächter aus. Der schallende Schlachtruf der Humor-Toten. Unfassbar!
 Anja Dolatta


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