Auch wenn Gerd-Rüdiger Erdmann sich in seinem neuen Buch auf den Spuren Franz Hessels und Walter Benjamins eher auf Berliner Boden begibt, ist er eigentlich ein Kind unserer Stadt. Der geborene Hannoveraner ist auf die Bismarckschule gegangen, hat Soziologie in Hannover und Hamburg und danach Humanmedizin in Hannover studiert. Heute hat er eine eigene Praxis und arbeitet freiberuflich als Psychiater und Psychotherapeut an der Medizinischen Hochschule Hannover.
In seinem 2019 erschienen Buch „Zwei Flaneure in Berlin“ widmet er sich einem ganz anderen Thema. Schon früh galt sein Interesse den Zwanziger Jahren, der Weimarer Republik mit all ihren Glitzer- und ihren Schattenseiten. Vor allem beschäftigte Gerd-Rüdiger Erdmann, dass viele große und sehr gute Autoren aus dieser Zeit heute nicht mehr gelesen werden und bei den meisten Menschen schon längst in Vergessenheit geraten sind. Einer davon ist Franz Hessel.
Im Februar 2016 begann Erdmann, sich intensiv mit Hessel zu beschäftigen. Da dieser eng mit Walter Benjamin befreundet war, blieb Erdmann auch an der Biografie Benjamins immer wieder hängen. Zur Faszination, die Erdmann für diese beiden Köpfe empfand, gesellte sich bald noch eine Erkenntnis, die ihn immer tiefer in die Materie zog. Je mehr er recherchierte, desto deutlicher wurden die vielen Parallelen in den Biografien der beiden Männer. Ihr Leben, ihre Werke, die Beziehungen, die sie führten, ihre eigene Psyche und die große gemeinsame Leidenschaft, durch Berlin zu flanieren – keine dieser Parallelen war bislang herausgearbeitet worden. Erdmann beschloss, sich dem anzunehmen.
Wie kann ein Mann wie Hessel, der viele wichtige Übersetzungen abgeliefert hat, berühmten Persönlichkeiten wie Kaleko und Benjamin half, viele andere Berühmtheiten wie zum Beispiel Picasso kannte und sich für die Politik engagierte, heute so in Vergessenheit geraten? Dieser Frage wollte Erdmann auf den Grund gehen. Und zwar wortwörtlich. Er benutze sein Wissen und seine Recherchen als Grundlage, um geführte Spaziergänge durch Berlin zu geben, auf den Strecken, die einst Hessel und Benjamin in aller Ruhe und Freundschaft entlangflanierten.
Und für Fußfaule gibt es diesen Spaziergang nun also auch als Buch. „Zwei Flaneure in Berlin“ erzählt die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft zwischen dem Philosophen Walter Benjamin und Rowohlt-Lektor Franz Hessel. Gemeinsam übersetzten die beiden Männer Prousts „À la recherche du temps perdu“, interessierten sich für französische Literatur und schlenderten durch die Straßen Berlins. Der Leser wird mitgenommen in den urbanen Raum des Berliner Westen, ein „Industriegebiet der Intelligenz“, eine Stadt der Literatur- und Künstlerszene. Erdmann hat für die Aufarbeitung der Freundschaft und des Lebens der beiden Männer einen kleinen Meilenstein gesetzt. Aber zum Stillstehen kommt er deshalb trotzdem noch nicht. Weitere Spaziergänge sind geplant und neue Routen wurden bereits erkundet. Die Projektideen reichen bis zu einem zweiten Buch. Aber ganz langsam – Schritt für Schritt. Lisbeth Leupold
Zwei Flaneure in Berlin
Auf den Spuren von Franz Hessel und Walter Benjamin
vbb, 120 Seiten, 15 Abbildungen, 12 Euro
Für alle, die am 19. April zufällig in Berlin sind:
„Zwei Flaneure in Berlin“ mit Gerd-Rüdiger Erdmann
Literarischer Spaziergang und Lesung
Treffpunkt: Kultursalon – Die Flaneure e.V.
(bitte bei Kümmel klingeln),
Knesebeckstr. 89, 10623 Berlin
Beginn 15 Uhr, Dauer des Spaziergangs ca. 1 Stunde,
im Anschluss Gespräch und Lesung im Café Mosaique,
Knesebeckstraße 20/21, 10623 Berlin
Eintritt frei, Spenden erbeten, um Anmeldung wird gebeten.