Jörg Smotlacha

Hannover Slam City

Mit vielen Dichterschlachten in verschiedenen Formaten überall in Hannover konnte die Poetry-Slam-Szene unter dem Dach von „Macht Worte!“ die Ohren und Herzen vieler Zuhörer gewinnen. Zusammen mit seinem Kollegen Henning Chadde sorgt Jörg Smotlacha seit Jahren dafür, Hannover ein bisschen poetischer zu machen. Der 49-Jährige ist Pressesprecher des Kulturzentrum Faust und Mitveranstalter sowie Moderator zahlreicher Slams in Hannover. Am 20. und 21. September verwandelt er mit seinem Team vom Büro für Popkultur die Stadt gar in eine Slam City: „Hannover Slam City“ ist ein zweitägiges Poetry-Slam-Festival, das nach der erfolgreichen Open-Air-Premiere im Juli 2018 dieses Jahr im Kulturzentrum Faust in die zweite Runde geht – ein rasanter Querschnitt durch alle Spielarten des Poetry Slam.

Manchmal ist es wichtig, einfach ein paar Machtworte zu sprechen. Das aber zwei Abende lang zu erledigen und dabei auch noch witzig, wortgewandt und poetisch zu sein, klingt nach einem Erlebnis, das wir uns nicht entgehen lassen wollen. Deshalb freuen wir uns, Jörg Smotlacha als Mitveranstalter des Festivals „Hannover Slam City“ ein bisschen über das Projekt und den hannoverschen Poetry Slam im Allgemeinen ausfragen zu können. Wir treffen uns in der Nachmittagssonne auf der Terrasse von Der Nachbarin Café an der Faust. Nebenan in der Warenannahme finden regelmäßig Poetry Slams statt. Die Slams haben in den letzten Jahren im ganzen deutschsprachigen Raum ein breites Publikum für sich erobert und dabei sowohl die Literatur- als auch die Kabarett- und Comedyszene ordentlich durcheinandergewirbelt. Auch hier in Hannover stößt das erfrischende Dichtungs-Format auf immer weiter steigende Begeisterung.

„Die Frage ist, ob es da irgendwann eine Wachstumsgrenze gibt. Das wird in anderen Städten lebhaft diskutiert, wir haben aber bisher noch gar keine Besuchereinbrüche. Im Gegenteil: In der Faust sind wir regelmäßig ausverkauft und drumherum wächst so vieles. Wir haben das Glück, dass wir in Hannover alles zusammengetan haben und unter dem ‚Macht Worte!‘-Dach veranstalten können: in der Nordstadt, in der List und auch in Kleefeld,“ beschreibt Jörg das Slam-Fieber in seinen vollen Ausmaßen.

Auf der Suche nach dem Geheimrezept für diesen Erfolg fragen wir nach den Regeln des Poetry Slams und erfahren, dass sich hinter dem Konzept kein aufwendiges Hexenwerk verbirgt. Die Slammer bringen ihre selbstgeschriebenen Texte mit und tragen sie auf der Bühne vor. Das darf in Hannover nicht länger als sieben Minuten dauern, in anderen Städten sogar nur fünf. Das Publikum bekommt hinterher die Gelegenheit, mit Punktekarten oder durch Applaus abzustimmen, wer die beste Performance aufs Parkett gelegt hat. Die wichtigste Regel dabei lautet: Respect the poet. Jeder darf sich mit seinem Text für einen Slam anmelden und jeder verdient es, gehört zu werden. Für Jörg ist das einer der Gründe, weshalb immer mehr Nachwuchs-PoetInnen ihren Weg zu „Macht Worte!“ finden. „Das Format ist sehr niedrigschwellig – man kann es ja einfach mal ausprobieren. Und es passiert einem auch nichts, denn das Publikum würde nie die Anfänger auspfeifen, man wird eigentlich sehr wohlwollend aufgenommen.“ Gleichzeitig meint Jörg, dass die andauernde Poetry-Slam-Begeisterung noch einen anderen Grund hat: „Das Phänomen hat noch einmal einen Schub bekommen durch die Digitalisierung: Als wir vor 15 Jahren angefangen haben, war es die Ausnahme, dass irgendwer schon ein Buch veröffentlicht hatte oder vielleicht eine Hör-CD. Heute haben alle ihre YouTube-Videos online und schon SchülerInnen gucken sich das ab und gehen dann mit 15 auf die Bühne.“

Mit etwas Talent können sich viele auf diese Art schnell zu richtigen Slam-Profis entwickeln. Als Vollzeitjob sei Poetry Slam zwar eher nicht zu empfehlen, merkt Jörg an, aber Spaß macht die Sache auf jeden Fall – nicht nur, weil immer wieder neue Facetten entdeckt werden. Ob Motto-Slams zu unterschiedlichen Themen, Jazz- und weitere musikalische Slams, Workshops in Schulen, Rap-Slams oder „Literadeln“, eine Fahrradtour mit Poesie und Picknick – die vielen Arten des Formats allein hier in Hannover lassen erkennen, wie man mühelos ein zweitägiges Festival mit Poetry Slam ausfüllen kann.

Das es übrigens nur in Hannover gibt. Zwar kommt die Inspiration für „Hannover Slam City“ vom Hamburger „Slamville“-Festival, das auf dem Dockvillegelände organisiert wird, mehrtägige Wortgefechte aber sind deutschlandweit bislang einmalig. Jörg berichtet, dass die Idee nach der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft entstanden ist, die 2017 erstmals in Hannover ausgetragen wurde und ein Riesenerfolg war. „Danach haben wir gesagt, irgendwas von diesem Spirit müssen wir behalten. Aber Meisterschaften wechseln jedes Jahr die Stadt. Darum haben wir uns dieses Festival überlegt und es im letzten Jahr dreitägig gemacht. 2019 ist so ein Zwischenjahr, denn im nächsten Jahr haben wir schon wieder Großes vor, weil wir die Niedersächsischen Landesmeisterschaften machen.“

Was Jörg mal so eben als etwas kürzer tretendes „Zwischenjahr“ bezeichnet, bietet aber trotzdem genug, um Poetry-Slam-Fan-Ohren aufhorchen zu lassen: Bei Hannover Slam City werden nicht nur die hannoverschen Stadtmeisterschaften ausgetragen, bei denen die Titelverteidiger Tobias Kunze und Johannes Berger und die besten Slammer aus Stadt und Region mit vielfältigen Texten in einer wahren Wortexplosion gegeneinander antreten, sondern es sind auch viele KünstlerInnen zu hören, die über Hannover hinaus die Zuhörer begeistern. Poetry-Slam-Altmeister Sven Kamin und Poetry-Slam-Champion Jan-Philipp Zymny wechseln sich ab mit  Beatbox-Weltmeister August Klar, Rapper und Bratschist Yunus, Rapperin Thara und Indie-HipHopper Juse Ju. Durch den taktvollen Mix aus Slam-Poeten und Sprach-KünstlerInnen aus dem wortreichen Musikbereich bietet das Programm nicht nur eine bunte Abwechslung, sondern gleichzeitig eine vielfältige Reise in die Welt des Slams. Wir lassen uns das von Jörg genauer auseinandersetzen: „Vom Sprachrhythmus her kommt der Poetry Slam ja aus dem HipHop bzw. hat Einflüsse aus dem Rap,“ – ein Poetry-Slam-Festival mit HipHop-Schwerpunkt ist deshalb nicht nur spannend, sondern auch ganz logisch.

Und wer vielleicht meinen könnte, die Organisation so eines Events sei neben dem Schreib-Job und einer langen Reihe anderer Projekte erst einmal genug, der hat sich eben noch nicht mit Jörg Smotlacha unterhalten. Auch für die nächsten Jahre ist in Bezug auf die Slam-Szene schon jede Menge in Planung. Ein Punkt sei auf jeden Fall, das Festival in den kommenden Jahren als Tradition zu verankern und gerne auch noch ein bisschen weiter wachsen zu lassen, weiht uns Jörg ein. Sowohl das Gelände als auch die Wiese der Faust böten da noch viel Potenzial, und die Slammer-Szene ja sowieso. Deshalb ist, auch vom Festival abgesehen, viel in Planung: „Niedersächsische Meisterschaften gibt es nächstes Jahr auf jeden Fall, da wird es ein paar Vorrunden in der Faust geben und das Finale in der Oper, außerdem wird interessant, was wir drumherum noch alles auf die Beine stellen.“

Viel Arbeit gibt es auch bis dahin: „Ich habe gerade wieder das neue Programmheft gemacht, es sind um die vierzig Veranstaltungen, die jetzt kommen. Aber das zeigt, dass die Leute es sehen wollen,“ sagt Jörg – Hannover scheint Spaß am Poetry Slam zu haben. Und auch Jörg hat seinen Spaß, das sieht man ihm ganz deutlich an: „Es gibt Schlimmeres, als sich schöne Veranstaltungen auszudenken!“, gibt er lachend zu und erzählt uns noch ein bisschen über die weiteren Projekte für dieses und das kommende Jahr.

So gibt es zum Beispiel nach langer Zeit mal wieder einen Preacher-Slam. Wir werden aufgeklärt: Der Preacher-Slam findet in der Jugendkirche zwischen Preachern, also Predigern, und Slammern statt, die sich im Rahmen eines Poetry Slams über Gott und die Welt unterhalten. Glauben oder Nicht-Glauben – das ist hier die Frage und Jörg fügt hinzu, dass der letzte Slam dieser Art ein ganz besonderes Erlebnis war. Bei so einem Thema kann es schon einmal zu verhärteten Fronten kommen, erinnert sich der Slam-Veranstalter: „Das habe ich noch nie erlebt, da hat tatsächlich auch mal ein Jury-Mitglied null Punkte gegeben,“ staunt Jörg trotz seiner langjährigen Erfahrung als Moderator.

Demnächst fängt auch die neue Slam-Reihe „Lesen für Bier“ an. Bei so einem ungewöhnlichen Namen werden wir natürlich hellhörig und erfahren belustigt, was es damit auf sich hat: Bei der feucht-fröhlichen Veranstaltung kann das Publikum eigene Texte mitbringen, die die Slammer auf der Bühne vortragen müssen, ohne sie vorher gesehen zu haben. Der eigentliche Überraschungseffekt aber daran ist; natürlich kann man klassische Gedichte mitbringen, aber ebenso gut geeignet sind Gebrauchsanweisungen für Waschmaschinen, Packungsbeilagen, Zeitungsartikel oder andere derartige literarische Höhepunkte … Wer trotz irrsinniger oder eben völlig dröger Texte die beste Performance des Abends geliefert oder den witzigsten Text mitgebracht hat, bekommt ein Bier.

Abgesehen von neuen Formaten gibt es aber auch noch eine ganze Reihe anderer Highlights für dieses Jahr. „Schön finde ich, dass wir so viele Leute hier einladen können,“ strahlt Jörg und deutet damit an, dass wir uns weiterhin auf viele verschiedene WortkünstlerInnen in Hannover freuen dürfen. Im November kommt zum Beispiel Jean-Philippe Kindler in die Warenannahme, der aktuell deutschsprachiger Meister ist. Das Programm scheint also weit davon entfernt, langweilig zu werden und alle Fans können sich auf weitere Jahre voller inspirierender Wortspielerei gefasst machen. Das „Macht Worte!“-Team um Jörg Smotlacha sorgt mit vielen Veranstaltungen und der Slam City für ein wortgewandtes Hannover und denkt voller Motivation in die Zukunft – 2025 auch gerne Richtung Kulturhauptstadt, um in diesem Sinne Poetry Slam im Stadtbild weiter zu verankern. „Das haben wir schon ganz gut geschafft, glaube ich,“ schließt Jörg bescheiden. Da können wir ihm nur voll und ganz zustimmen!

Interview: Lisbeth Leupold und Anke Wittkopp

Hannover Slam City
Kulturzentrum Faust, 60er-Jahre-Halle, Festival-Ticket 30 Euro, VVK 25 Euro,
www.hannover-slam-city.de, www.macht-worte.com

Fr, 20. September ab 19.30 Uhr:
mit Jan-Philipp Zymny, Yunus, August Klar und den Stadtmeisterschaften 2019, Eintritt 15 Euro, VVK 12 Euro

Sa, 21. September ab 17.30 Uhr:
mit Juse Ju, Thara, Sven Kamin und den Stadtmeisterschaften 2019, Eintritt 23 Euro, VVK 18 Euro

 

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Kurz nachgefragt:

Warum ist das Format des Slams so beliebt?
Es ist kurzweilig, passt in die Zeit, es ist niedrigschwellig; wirklich jeder kann mitmachen.

Dichtest/schreibst du selbst?
Keine Slam-Texte sondern nur für meine Band, in der ich singe. Davon ab habe ich ja das Schreiben zu meinem Beruf und mich damit selbstständig gemacht.

Immer im Moderatoren-Gespann? Warum?
Das ist nicht zwingend, aber macht mehr Spaß. Es geht ja auch um den ganzen Abend, den Aufbau, die Moderation, das Backstage-mit-den-SlammerInnen-Sitzen u.s.w.

Wie bereitest du dich auf die Moderation vor?
Es wäre furchtbar, wenn ich die Texte kennen würde! Ich lasse mich ja auch gerne überraschen. Von daher bereite ich mich nicht speziell vor, sondern lasse mich im Fall der Fälle auch vom Thema inspirieren.
Was sind No-go-Themen? Klar, Rassismus, Sexismus und Diskriminierung jeder Art würden wir sofort unterbinden. Meistens ist das Publikum schon sehr sensibel, wenn irgendwas daneben ist.

Deine größte Panne als Moderator?
Oder was kann schiefgehen? Letztes Jahr mussten wir bei Hannover Slam City mehrere hundert Menschen in die 60er-Jahre-Halle evakuieren, weil plötzlich der totale Sturm und Regen losbrach. Da wurden dann aus Sicherheitsgründen bei den Stadtmeisterschaften die punktgleichen Tobias Kunze und Johannes Berger zum Doppelsieger erklärt. Das Tanzen in den Pfützen war zwar cool, aber die Gitarren durften keinen Regen abbekommen und du selbst keinen Stromschlag und so…

Liest du noch oder hörst du schon – Buch oder Hörbuch?
Ich lese sehr viel und sehr gerne noch analoge Bücher. Was ich lese ist querbeet; gerne lateinamerikanische Literatur.

Auf wen oder was freust du dich bei Slam City 2019 persönlich am meisten?
Einen der besten Slammer ist als Headliner am Freitagabend dabei; Jan Philipp Zymny, der schon zweimal deutschsprachiger Meister geworden ist und hier auch regelmäßig ausverkauft ist. Ich freue mich auch sehr auf die Stadtmeisterschaften und den Publikumserfolg aus dem letzten Jahr – Sven Kamin. Der hat so dermaßen die Halle gerockt, dass wir ihn unbedingt wieder einladen wollten.

 

 


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