Herr Weil, kommt tatsächlich ein bisschen Bewegung in die Debatte um die Klimaziele? Angela Merkel möchte sich ja nun eventuell vielleicht der Macron-Initiative anschließen. Deutschland soll bis 2050 klimaneutral werden. Oder ist das alles wieder nur heiße Luft? Wie bewerten Sie das?
Naja, so restlos überzeugt bin ich noch nicht, ob Frau Merkel den Hebel jetzt endlich umlegen wird. Wir erinnern uns alle noch an die Bilder der Bundeskanzlerin in Grönland – ohne Folgen auf der Handlungsebene. Aber natürlich würde es mich sehr freuen, wenn jetzt endlich Bewegung in das Thema Klimaschutz in Deutschland käme. Zeit ist es allemal dafür. Entscheidend werden aber die Taten der Bundesregierung sein, nicht die Worte.
Sie haben der GroKo ein umfangreiches Versagen bei der Verkehrswende und der Elektromobilität bescheinigt und von Schneckentempo gesprochen. Fassen Sie doch bitte mal Ihre Kritik zusammen.
Ich mache mir große Sorgen um die vor sich hindümpelnde Energiewende. Ein Beispiel nur: Im ersten Quartal 2019 betrugen die Ausbauzahlen bei der Windenergie nur noch zehn Prozent des Vorjahreswertes und so ist das im Moment fast überall. In der Koalitionsvereinbarung der GroKo in Berlin ist davon die Rede, dass bis 2030 etwa zwei Drittel des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien stammen soll. Davon sind wir derzeit noch weit entfernt Es fehlt ein Drehbuch der Bundesregierung, wie sie dieses Ziel erreichen will. Das wäre dann gleichzeitig auch die zwingende Voraussetzung für die Verkehrswende. Wenn zukünftig viel mehr Elektrofahrzeuge in Deutschland fahren sollen, dann muss das auf erneuerbarer Basis geschehen. Ein Elektroauto, dessen Bau und Batterie mit Kohlestrom befeuert wird, ist für das Klima genauso schädlich wie ein Verbrennungsmotor.
Haben Sie denn ein Drehbuch für die Verkehrswende in der Schublade?
Das wäre für eine Landesregierung eine gelinde Überforderung. Aber die Schwerpunkte stehen fest: Wir brauchen dringend und zielstrebig und mit aktiver staatlicher Unterstützung einen Aufbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland. Die Industrie wird, davon bin ich überzeugt, ab dem nächsten Jahr mit vielen guten Elektrofahrzeugen auch wirklich am Markt präsent sein. Gekauft werden diese E-Fahrzeuge aber letzten Endes nur dann, wenn die Autofahrerinnen und Autofahrer das Vertrauen haben, dass sie sie überall aufladen können. Das ist derzeit absolut vordringlich. Ich glaube zudem, dass wir weiterhin eine Unterstützung für den Kauf von Elektrofahrzeugen benötigen, vor allem für die kleinen Einkommen. Es darf nicht sein, dass am Ende nur gutverdienende Menschen künftig mit gutem Gewissen im Auto sitzen können.
Wer blockiert denn aus Ihrer Sicht?
Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Verantwortlich für die Gesamtkoordination ist derzeit das Bundesumwelt-ministerium, aber das hat keinen Durchgriff auf die unterschiedlichen politischen Bereiche. Diesen Durchgriff haben nur die einzelnen Fachministerien, die sich aber leider nach wie vor dem Gesamtziel nicht sonderlich verpflichtet fühlen. Das führt de facto zu einer Art Blockadesituation. Es ist gut, dass es seit kurzem ein Klimakabinett gibt. Die Bundeskanzlerin hat endlich erkannt, dass Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe der ganzen Bundes-regierung ist und dass sie dafür die Gesamtverantwortung trägt. Aber wie ich eingangs schon sagte, nicht Worte und Absichten sind entscheidend, sondern Taten.
Jetzt soll es mit der E-Mobilität aber voran gehen. Bei Volkswagen hat man sich große Ziele gesetzt. Man konzentriert sich voll auf die Elektromobilität. Das geht doch auch auf Ihre Initiative zurück, oder?
Ich finde diese Richtung völlig richtig und ich habe auch gerne daran mitgewirkt. Es muss im Verkehrsbereich einiges geschehen in Sachen Klimaschutz. Unter dem Strich hat der Verkehrssektor zur CO2-Reduzierung in den letzten 30 Jahren nichts beigetragen. Das muss sich ändern, gar keine Frage, und das wird sich nur ändern lassen durch einen Übergang auf Elektromobilität. Volkswagen ist wahrscheinlich derzeit nicht nur in Deutschland, sondern weltweit dasjenige Unternehmen, das diesen Umbauprozess am konsequentesten vorantreibt. Aber dieser Transformationsprozess ist eine enorme Herausforderung.
Was ich dabei nicht ganz verstehe: Was haben Sie gegen die verschärften CO2-Grenzwerte, die die EU festgelegt hat? Ende vergangenen Jahres haben Sie das noch kritisiert. Wenn man die Wende zur Elektromobilität jetzt konsequent angeht, sind diese Grenzwerte doch demnächst kein Thema mehr.
Wenn man sich ein hohes Ziel setzt, muss man auch einen Plan haben, wie dieses Ziel erreicht werden kann. 37,5 Prozent CO2-Einsparung in den nächsten 10 Jahren ist eine sehr anspruchsvolle Vorgabe für die Automobilunternehmen. In Brüssel oder Berlin sollte man sich nicht vormachen, dass dieses Ziel erreicht werden kann, ohne dass auch die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Nehmen Sie noch einmal das vorhin erwähnte Beispiel der Ladeinfrastruktur bei den Elektrofahrzeugen. Diese Infrastruktur wird man letzten Endes auch mit staatlicher Unterstützung mit aufbauen müssen, sonst werden die Leute keine Elektrofahrzeuge kaufen. Kurz gesagt, meine Kritik ist: Die Politik hat es sich viel zu leicht gemacht und wieder einmal nur Klimaschutzziele beschlossen, aber keinen Plan, wie diese Ziele erreicht werden können und sollen.
Ist es überhaupt denkbar mit einem Verkehrsminister Scheuer? Steht der nicht sehr auf der Bremse? Beziehungsweise zu sehr auf dem Gaspedal?
Ach, wir Sozialdemokraten geben ja keine Seele verloren. Problematisch ist aber in der Tat, dass Herr Scheuer sich bislang noch nicht durch eigene Initiativen zum Klimaschutz im Verkehrsbereich hervorgetan hat. Ich hoffe sehr, dass die Bundeskanzlerin auch den Verkehrsminister jetzt mit in die Pflicht nimmt.
Arbeitsplätze sind bei all dem geplanten Umbau natürlich auch noch ein Thema. Bei Volkswagen sollen insgesamt 7.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Ist das die bittere Pille, die wir alle einfach schlucken müssen?
Ja, und das sind auch nur die Vorboten. Die IG Metall rechnet damit, dass die Umstellung in der Automobilindustrie in den nächsten Jahren insgesamt etwa 150.000 Arbeitsplätze kosten wird. Der Grund ist, dass Elektrofahrzeuge sehr viel weniger beschäftigungsintensiv sind als die bisherigen Verbrennungsmotoren. Damit verbunden ist dann auch leider ein Rückgang an Arbeitsplätzen. Ich bedauere das sehr und ich mache mir insbesondere auch Sorgen wegen der Zulieferunternehmen. Einige werden durch den Übergang zur Elektromobilität ebenfalls starken Veränderungen ausgesetzt. Deswegen haben wir in Niedersachsen einen umfassenden Begleitprozess eingeleitet mit Automobilherstellern und Zulieferern sowie Politik und Wissenschaft. Wir wollen möglichst alle Unternehmen und möglichst viele Arbeitsplätze mit in die neue Zeit des Automobils bringen.
Ich würde gerne noch mal zurückkommen auf die Kosten für die E-Autos. Die sind noch sehr hoch. Sie haben vorhin schon angesprochen, dass man sich als Normalverdiener solche Autos vielleicht nicht leisten kann. Mit welchen Instrumenten kann die Politik da Abhilfe schaffen?
Zunächst einmal hat die technische Entwicklung im Moment eine enorme Dynamik. Es wird beispielsweise im nächsten Jahr schon ein Elektrofahrzeug geben, das mit dem Golf vergleichbar ist – auch, was den Preis angeht. Und ich hoffe, dass es durch technische Entwicklungen noch weitere Preisreduzierungen geben wird. Aber gerade für diejenigen, die beispielsweise als Pendler Tag für Tag zu ihrem Arbeitsplatz fahren müssen, wird sich die Politik noch mehr einfallen lassen müssen.
Also schließen Sie auch Kaufanreize nicht aus?
Nein!
Was halten Sie denn von der Idee einer CO2-Steuer?
Dem Grunde nach sehr viel. Es kommt allerdings auf die Ausführung an. Wir brauchen ein System, dass auch diejenigen berücksichtigt, die auf dem Land leben und nur ein geringes Einkommen haben, die täglich mit einem älteren Auto zum Arbeitsplatz fahren müssen, die in einem Haus mit Ölheizung wohnen. Wir haben als warnendes Beispiel die Gelbwestenbewegung in Frankreich. Das darf uns in Deutschland nicht passieren und deswegen müssen wir, bei aller Unterstützung, dem Grunde nach sehr genau hinschauen, wie die Umsetzung im Einzelnen ausschaut.