Herr Weil, bei unserem letzten Gespräch haben wir zuletzt kurz über den Prozess der Meinungsbildung gesprochen. Haben Sie eigentlich noch Freunde, die Ihnen ab und zu auch mal richtig die Meinung sagen?
Aber ja, klar. Das fängt schon zu Hause an mit meiner Frau…
Kritiker in den eigenen Reihen?
Ja. Ich glaube, in meinem Freundeskreis gibt es niemanden, der mir nach dem Munde redet.
Das ist ja manchmal schon ein Problem bei höheren Ämtern, dass sich die Leute im Umfeld nicht mehr trauen.
Hofschranzen nannte man die früher. Das gibt es bei mir hoffentlich nicht. Es gibt allerdings schon das Phänomen, dass manche von der Autorität des Amtes offenbar so beeindruckt sind, dass sie sich mir gegenüber sehr zurückhaltend geben, gelegentlich sogar schüchtern.
Man kann dann wahrscheinlich nur mit sehr viel Offenheit und Herzlichkeit reagieren, um das zu vermeiden oder abzuschwächen.
In jedem Fall braucht es wohl auch ein wenig Zeit. Viele Menschen, die anfangs manchmal sehr zurückhaltend sind, tauen im Verlauf eines Gesprächs schnell auf und sagen mir dann mitunter, ich sei ja doch ganz normal. (Lacht) Dahinter verbirgt sich aber ein handfestes Problem: Viele Leute sehen Politiker als Aliens von einer fernen Galaxie. Wir müssen alle daran arbeiten, dass sich das wieder ändert.
Lassen Sie uns an dieser Stelle mal zur gerade vergangenen großen Debatte um den sogenannten Asylstreit kommen. Wenn die Diskussionen so geführt werden, bilde ich mir keine Meinung, sondern wende mich eher ab. Aus meiner Sicht war das alles eine ziemliche Luftnummer.
Das sehe ich ganz ähnlich. Es war Wahlkampfgetöse, aber gefährlich für die Stimmung im Land und deshalb unverantwortlich. Man kann über alles vernünftig reden, aber das war nicht gewollt. Es sollte erkennbar ein Großkonflikt ausgelöst werden, um Wählerstimmen in Bayern zu sichern, da fehlen mir die Worte. Ich bin mir allerdings auch ziemlich sicher, dass so etwas nicht verfängt. Die Leute sind mit Recht durchaus kritisch und dass sie ein solches Schauspiel beeindruckt, das glaube ich eher nicht. Die jüngsten Umfragen bestätigen das.
Wobei in der Sache viele Bürger Seehofer, Söder und Co. ja durchaus Recht geben, die scheinen da durchaus einen Nerv zu treffen bei der Bevölkerung.
Es gibt in Sachen Zuwanderung und Migration viele schwierige Fragen und man sollte niemanden kritisieren, der tatsächliche Probleme auch in angemessener Form benennt. Wir haben bei der Debatte in den letzten Wochen nur leider etwas völlig anderes erlebt: Wir haben einen Bundesinnenminister, der von einem Masterplan redet, den dann lange niemand zu Gesicht bekommt. Und wir haben eine Bundeskanzlerin, die erklärt, nur ein Punkt des Masterplans sei strittig. Die SPD kannte den Masterplan lange nicht und hatte zunächst keine Möglichkeit, sich konstruktiv einzubringen. Und an einer einzigen Fragestellung mit zahlenmäßig geringer Bedeutung entfacht sich dann eine Regierungskrise – das ist einfach nur gaga.
Aus meiner Sicht ist das, was die CSU momentan treibt, Populismus pur. Es wird versucht, AfD-Wähler einzufangen.
Ja, sie versuchen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Sie versuchen, die AfD dadurch überflüssig zu machen, dass sie sie kopieren. Das funktioniert nicht. Nach allen Erfahrungen ist es so, dass viele Leute dann am Ende doch lieber das Original wählen als die Kopie.
Und so wird es dann vielleicht auch kommen im Oktober.
Worüber man sich auch nicht unbedingt freuen könnte, denn wenn die CSU die Quittung bekommt, heißt das möglicherweise mehr Stimmen für die AfD. Ich habe tatsächlich die Befürchtung, dass das Verhalten der CSU am Ende nur der AfD nutzt. Die müssen ja im Grunde gar nichts mehr machen, die können sich zurücklehnen und ganz gelassen in den Urlaub fahren.
Wobei so ein Vorgang vielleicht auch einen heilsamen Effekt hätte, denn wenn eine etablierte Partei schmerzhaft erfährt, dass so ein Weg in die Irre führt und nicht erfolgreich ist, dann könnte das auch eine Mahnung sein an alle anderen etablierten Parteien, sich jetzt mal wieder am Riemen zu reißen.
Auf diesen pädagogischen Effekt würde ich hier gerne verzichten.
Für mich ist in den aktuellen Diskussionen immer sehr viel Stimmung, sehr viel Bauchgefühl im Spiel. Ist das nicht gefährlich? Muss man nicht gerade bei solchen Diskussionen unbedingt den Verstand einschalten?
Ja. Aber das eine darf das andere nicht ausschließen. Man darf Leuten nicht den Eindruck vermitteln, sie würden falsch fühlen. Da gibt es zunächst mal nicht richtig oder falsch. Man muss zuhören, Sorgen und Gefühle ernst nehmen und dann versuchen, die eigenen Argumente so einzubringen, dass sie überzeugen. Aber jemandem zuerst zu sagen „du fühlst falsch“, das sorgt einfach nur dafür, dass ein Gespräch gar nicht erst zustande kommt. Wenn mir jemand sagt, du hast keinen Grund ärgerlich zu sein, obwohl ich stinksauer bin, dann ist das kein guter Gesprächsauftakt.
Sondern das Gesprächsende.
Generell wird aus meiner Sicht die emotionale Seite der Politik total unterschätzt. Wir sind alle immer sehr auf der rationalen Ebene unterwegs. Was zunächst natürlich auch seine volle Berechtigung hat. Aber wenn man die emotionale Seite zu sehr ausblendet, gibt es oft keine gemeinsame Gesprächsbasis.
Die Kunst ist, das zusammenzubringen?
Es ist tatsächlich die Kunst, neben einer rational überzeugenden Politik auch eine Ebene zu schaffen, die bei den Menschen Vertrauen schafft.
Was wir momentan aber sehr oft erleben, ist genau das: Nur das eine oder nur das andere. Populismus ohne Sinn und Verstand, und auf der anderen Seite rationale Antworten auf teils sehr emotionale Fragen. Der Mittelweg ist eher selten.
Leider. Wobei ich persönlich schon versuche, diesen Mittelweg zu gehen. In Sachen Migration sage ich seit September 2015 im Kern immer dasselbe: Erstens, wir stehen zum Grundgesetz und zur Genfer Flüchtlingskonvention. Zweitens, wir versuchen, bei der Sicherheit nichts anbrennen zu lassen. Und drittens, wir setzen uns maximal für Integration ein. Damit ist auch das berechtigte Schutzbedürfnis angesprochen. Man muss sich anstrengen, das zusammenzubringen. Man darf nicht versuchen, das eine gegen das andere auszuspielen. Es geht da um Haltung, um Authentizität.
Ich bemerke, angesichts der teils hysterischen Debatten, die geführt werden, dass mir die aus meiner Sicht richtige Haltung viel zu kurz kommt. Bei der Asylfrage geht es doch beispielsweise zunächst mal um Menschen, die oft unfassbares Leid erfahren haben. Die kommen hierher und brauchen Schutz, das ist die Ausgangslage. Und sie bekommen Asyl aus Mitmenschlichkeit. Es geht zuerst darum, zu helfen. Es geht nicht von vornherein darum, diese Menschen abzuweisen. Nachgelagert kann man dann gerne darüber diskutieren, wie wir mit den Problemen umgehen. Und natürlich müssen wir prüfen, wer ein Recht auf Schutz hat. Aber die Basis sollte doch immer die Mitmenschlichkeit bleiben.
Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Und was mir momentan tatsächlich auch Sorgen bereitet, das ist die erkennbare Gefühllosigkeit und auch teilweise Herzlosigkeit. Ich räume immer sofort ein, dass wir gar nicht in der Lage sind, alle Menschen aufzunehmen, die gerne nach Deutschland kommen würden. Und ich stehe auch dazu, dass man den Zuzug begrenzen muss auf diejenigen, die wirklich schutzbedürftig sind. Aber diesen Menschen gegenüber muss man dann auch echtes Mitgefühl zeigen. Und auch allen anderen gegenüber darf niemals der Respekt fehlen. Niemand verlässt seine Heimat aus Jux und Dollerei. Es sind teils wirtschaftliche Gründe, klar, aber wer von uns kann sich ein Leben für sich und seine Kinder ohne jede Perspektive vorstellen. Ohne Perspektive macht man sich auf den Weg. Das war übrigens schon immer so.
In der Diskussion klebt man nun gerne Etiketten auf Menschen. Wirtschaftsflüchtling. Was es einfacher macht, sich auf die Abwehr zu beschränken.
Das ist nicht allein ein deutsches Problem, das zieht sich durch ganz Europa. Das Thema Zuwanderung ist überall ein echter Sprengsatz. Weil dieses Thema ganz viele Ängste auslöst. Ängste, die wir ernst nehmen müssen.
Aber man sollte beizeiten auch den Verstand einschalten. Die Ängste können ja nicht das politische Programm bestimmen.
Natürlich nicht. Politik muss am Ende rational abwägen. Aber sie muss auch vermitteln, dass die Ängste nicht einfach ignoriert werden. Ich glaube, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren immer wieder den Eindruck hatten, ihre Sorgen würden ignoriert. Man muss diese Sorgen aber aufgreifen, sie ernst nehmen, Hintergründe erklären und Lösungen vorschlagen. Vernünftige und verständliche Lösungen. Keine irrationalen Dummheiten oder Scheinlösungen. Es geht einfach darum, ehrliche Politik zu machen.