Lena Kußmann

Anstiftende Tante bei „Das wundersame Aktionsbündnis der Tante Trottoir“
(rechts im Bild)

Wenn man schon gar keine Nachrichten mehr gucken will, weil einem die dramatischen News schon fast wie sehr böser, aber banaler Alltag vorkommen und man sich denkt „Ach du liebe Güte, es wird alles immer schlimmer“ und „Herrjemine, wo soll das denn noch hinführen?!“ – dann gibt es nur eins: Aufstehen vom Kaffeetisch, raus aus der Hilflosigkeit und mitmischen bei Das wundersame Aktionsbündnis der Tante Trottoir. Es gibt nämlich niemanden, der was ändern kann, außer man selbst! In diesem Sinne initiieren die Tanten Weltverbesserungen aller Art – kreative Aktionen im öffentlichen Raum, die darauf aus sind, auf brisante Themen aufmerksam zu machen und dabei zu berühren, zu verzaubern, zu ver-rücken oder auch zu ent-rüsten. Lena Kußmann, Jahrgang 1979, Schauspielerin, Regisseurin, eine von drei künstlerischen LeiterInnen des Theaters an der Glocksee und eine der drei Gründungs-Tanten des Bündnisses, berichtet von den Aktionen im Bereich zwischen Kunst und gesellschaftspolitischer Arbeit.

 

Ein wundersames Aktionsbündnis – wie gründet man denn so etwas?
Seinen Ursprung hat Das wundersame Aktionsbündnis der Tante Trottoir in einem Format, das wir 2015 am Theater an der Glocksee gemacht haben, Wildwechsel, wo wir unter Zeitdruck neue Projekte ausprobiert haben. Einen Teil des Budgets wollte ich dafür nutzen, künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum umzusetzen. Zu brisanten Themen. Und ich habe mir dann zwei Kolleginnen gesucht, Astrid Köhler und Lisa Grosche. Astrid lebt in Berlin und Lisa in Hamburg, beide sind Schauspielerinnen, aber auch Drehbuchautorinnen, Pädagoginnen und Regisseurinnen, also ähnlich wie ich, ganz breit aufgestellt. Wir haben uns leiten lassen, sowohl von den Dingen um uns herum –  Alltagsgeschehen in Hannover und weltpolitisches Geschehen –  als auch von den Dingen, die aus uns selbst heraus kamen, die uns beschäftigt haben. Im Mai 2015 sind damals direkt vier Aktionen entstanden – unsere erste war die Demo der Verwirrten …

Das war die Demo mit den „frischen Meinungen“… Erzähl doch noch mal kurz!
Das war eindeutig auf diese ganzen aufkeimenden Demo-Bewegungen zu der Zeit bezogen: Da hatten Pegida und Hogesa ihren Start und alles drängte zu diversen Demos sehr unklarer Natur unter sonderbarsten Namen. Man wusste aber gar nicht so richtig, warum. Und daraus ist die Demo der Verwirrten entstanden, aus dem Wunsch heraus, das im öffentlichen Raum als Kunstaktion zu reflektieren. Die unpolitischen Sprüche auf unseren Bannern und Plakaten waren alle inspiriert von der Frage: Wo wollen wir denn jetzt eigentlich hin mit unserer politischen Ausrichtung? Im Zuge dessen hatten wir auch einen Bauchladen dabei mit Meinungen in S, M, L und Extrem. Ich habe dann meinetwegen gerufen: „Meinungen, frische Meinungen! Haben Sie denn schon eine Meinung?“ Und wie man es dann so macht, wenn man angequatscht wird in der Stadt, sagt man meistens „Nein!“ und geht weiter. Das haben viele gemacht, haben dann aber zwei Schritte später gemerkt, was sie gesagt haben, und sind doch noch mal zurückgekommen. Daraus sind echt witzige Dialoge entstanden.

Euer neuestes Projekt heißt „Tante Trust“. Was hat es damit auf sich?
Uns hat das Thema Vertrauen/Misstrauen total beschäftigt. Vor allen Dingen in Zeiten, in denen es auch in Deutschland schon Terroranschläge gab und das Misstrauen gegenüber Menschen, die vielleicht anders aussehen, schon in das Unterbewusstsein eingesickert ist. Da wollten wir mal schauen: Können wir nicht einfach mal andere Phantasien kitzeln? In dem Video, das wir dazu gedreht haben, spielen wir mit dem Klischee vom bärtigen, murmelnden, arabisch anmutenden Mann in der Bahn, was für viele ja bereits ausreicht, um in diese Muster zurückzufallen: Angst zu haben, dass das vielleicht ein Terrorist sein könnte, der sich in die Luft sprengt – obwohl das von allen Möglichkeiten auf der Welt die allerunwahrscheinlichste ist. Dass es auch tausend andere Gründe geben kann, warum der Mensch nervös ist – zum Beispiel einen ganz schönen und reizenden Grund. Daran wollten wir gerne erinnern, als Gegengewicht. Wir haben noch ein paar Ideen für Aktionen auf Lager, die alle solche Situationen anschauen und die Phantasie dafür öffnen, was es außer der Horrorvorstellung noch für Millionen andere Möglichkeiten gibt, wie solche Situationen weitergehen können. Damit man sich, wenn man das nächste Mal in einer ähnlichen Situation ist, vielleicht daran erinnert und darüber lachen muss – auch über sich selber ein bisschen.

Sind alle Tante-Trottoir-Aktionen gesellschaftspolitisch motiviert?
Wir fangen auch oft mit einem poetischen Ansatz an. Ein Beispiel dafür ist Wake up, Rosie. Eine poetische Installation auf der Dornröschenbrücke. Auf die Brücke in Linden-Nord haben wir 2016 ein großes Himmelbett gestellt, dazu gab es ein riesiges Banner mit dem Schriftzug „Wake up, Rosie“ und ganz viele rote Rosen. Das war wieder sehr spannend für uns, weil die Leute natürlich versucht haben, das zu interpretieren. Von „Ach ja, im Märchen gab‘s doch auch die Rosenhecke, wahrscheinlich hat das was mit den Grenzen zu tun und den Flüchtlingen, die im Stacheldraht hängenbleiben…“ bis zu „Wir sollen wieder aufwachen – oder sollen wir uns lieber mal ausruhen und schlafen?!“ Im Himmelbett gab es die Möglichkeit, auf so kleinen Papierstreifen seine Gedanken zu hinterlassen oder auch direkt ins Gespräch zu kommen. Diese Einladung haben die Leute genutzt und saßen da, haben Bier getrunken und sich unterhalten – bis leider irgendwer nachts das Bett komplett kaputtgemacht hat.

Sind eure Aktionen denn grundsätzlich immer für den Moment gedacht, oder macht ihr aus den „Ergebnissen“ jeweils noch was Neues?
Manchmal gibt es Teile von der einen Aktion, die in die nächste münden. Wir hatten z.B. eine Kaffeekränzchen-Aktion im Sudanesenprotestcamp am Weißekreuzplatz, wo wir diese Hemmschwelle, einfach da mal reinzugehen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, abbauen wollten. Dort haben wir ein paar Sudanesen kennengelernt, die bei unserer nächsten Aktion, Tante Titanik, beteiligt waren, als wir auf den Balkonen des Ihme-Zentrums und mit einem Megaphon über den Fluss hinweg den Film „Titanic“ improvisiert haben. Das „Herz des Ozeans“, diesen Riesendiamanten, den hatten wir auch, ein riesiges Styropor-Herz. Mit dem hat sich einer aus dem Staub gemacht und wollte mit dem Schlauchboot über die Ihme türmen. Unsere drei neuen sudanesischen Bekannten haben dann gerufen, da sei es gefährlich und er solle sich lieber hinsetzen und so, aber er schrie nur immer „Lasst mich in Ruhe, das Boot ist voll!“ Und ist vor lauter Aufregung über Bord gegangen. Die drei haben ihn dann baywatchmäßig mit der Boje aus der Ihme gerettet. Was natürlich auch wieder ein Augenzwinkern in Richtung Situation im Mittelmeer war – so greifen manchmal die Aktionen oder die Erfahrungen, die wir machen, ineinander oder werden weiterentwickelt.

Was meinst du, was bewirken die Aktionen bei den Menschen, die damit in Berührung kommen? Und bei euch?
Wir haben gemerkt, dass uns diese Arbeit in der Zeit, in der wir leben, ganz viel Mut macht und uns wieder ermächtigt, ein aktiver Teil von der Gesellschaft zu sein. Mich regen Leute immer auf, die sagen, „Die da oben – wir da unten, was soll man denn schon tun?“. Weil man darüber vergisst, dass man Teil von dem Ganzen ist. Ich glaube, dass es immer eine Möglichkeit gibt, zu agieren, einzugreifen und irgendetwas dazu beizutragen, das Miteinander in eine gute Richtung zu bewegen. Und das ist auch der Haupt-Motor von den Tanten.

Es heißt nicht umsonst Das wundersame Aktionsbündnis der Tante Trottoir – ihr heckt die Aktionen nicht nur zu dritt aus, sondern bietet auch Möglichkeiten, mitzumachen…
Weil wir gemerkt haben, dass uns diese Arbeit so guttut, wollten wir das auch für andere Leute zugänglich machen. Wir drei Tanten sind die Initiatorinnen, aber jede Aktion bedingt ein neues Bündnis und auch andere Herangehensweisen. Es gibt immer ein Publikum, diejenigen, die der Aktion begegnen. Und dann gibt es die Akteure. Die lernen bei so einer Aktion, dass es eigentlich ziemlich einfach ist, auf andere Menschen zuzugehen – und an den Schrauben von ungeschriebenen Gesetzen zu drehen. Zu probieren – was passiert denn, wenn ich ein bisschen neben der Spur laufe? Das macht Spaß, diese ungeschriebenen Alltagsgesetze zu verrücken, damit zu spielen. Und dadurch fallen sie überhaupt erst auf.

Und woher kommt der Drang, das im öffentlichen Raum zu tun? Du könntest die Themen der Aktionen ja auch im Theater als Stück inszenieren.
Diese Anstrengung, die es kostet, dem heutigen Weltgeschehen ins Auge zu sehen und standzuhalten, kann dazu führen, dass man sich ganz davor zurückzieht. Uns geht es darum, eine Aktivität und ein Miteinander in der Gesellschaft zu stiften, die sicheren inneren Kreise zu öffnen: Unsicherheit auch zu erleben und auszuhalten und dann zu erfahren, was daraus werden kann in der künstlerischen, performativen Aktion, von der man vorher nicht weiß, wie sie wird, wie es einem dabei geht. Gerade in Zeiten, in denen es nur noch um Sicherheit geht. Sicherheit ist nicht nur gut, die schottet eben auch ab.

Anke Wittkopp

Die neuesten Entwicklungen, Workshop-Termine und
Videos zu den Aktionen gibt’s auf Facebook und unter www.tantetrottoir.de.

 


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