Herr Weil, Rot-Grün hat durch den Wechsel von Elke Twesten die Mehrheit in Niedersachsen verloren. Fast direkt nach dem Bekanntwerden des Wechsels kamen dann noch die Vorwürfe in der „Bild am Sonntag“, Sie hätten sich eine Rede von VW umschreiben lassen. Keine ruhigen Zeiten.
Ja, Sie können sich sicher vorstellen, dass ich in meinem Leben schon angenehmere Zeiten hatte. Wobei es zwei ganz unterschiedliche Vorgänge sind. Im Fall Twesten finde ich es ausgesprochen störend, dass auf diese Art und Weise ein Votum der Wählerinnen und Wähler einfach ins Gegenteil verkehrt wird. Das geht nicht. Darum begrüße ich sehr, dass wir nun bald Neuwahlen haben werden. Was die Regierungserklärung anbelangt, handelt es sich um eine Kampagne. An der Sache ist nichts dran, da ist nichts weichgespült worden. Unter den damaligen Bedingungen war das Vorgehen völlig richtig. Hätten wir heute wieder ähnliche Bedingungen, würde ich mich ganz genauso verhalten.
Ihre Gelassenheit haben Sie offensichtlich nicht verloren. Sie scheinen mir ganz gut gelaunt. Sie müssen einen sensationell großen Sandsack im Keller haben.
Ach, ich habe wahrscheinlich einfach eine Extraportion niedersächsische Grundgelassenheit mitbekommen. Aber natürlich perlt so etwas nicht einfach an mir ab. Trotzdem bleibt für mich der entscheidende Maßstab, dass ich gut in den Spiegel blicken kann und mit mir im Reinen bin. Und das ist ganz und gar der Fall. Die gesamte Situation ist belastend, das ist ja gar keine Frage, aber ich kann zu allem stehen.
Der „Skandal“ um die Rede ist tatsächlich eine Luftnummer. Ich habe die Versionen verglichen, von „geschönt“ kann keine Rede sein.
Ja, und Sie sind nicht der einzige, der zu diesem Schluss gekommen ist. Auch LobbyControl hat das beispielsweise festgestellt. Und die haben ja nun wirklich keinen Grund, einem Politiker nach dem Mund zu reden.
Aber es bleibt natürlich trotzdem immer etwas kleben. Wenn ich mir die Foren ansehe, dann gibt es selbst unter Artikeln, die Sie voll und ganz entlasten, viele Stimmen, die Sie dennoch anfeinden. Wir haben neulich über die politische Kultur in Deutschland gesprochen. Momentan sehen wir das Gegenteil von dem, was Sie und ich uns für diese Kultur gewünscht haben. Sie haben beim Fall Twesten von einer Intrige gesprochen. Glauben Sie, dass es Absprachen gab?
Ich muss da gar nicht groß spekulieren. Frau Twesten hat gegenüber mehreren Menschen erklärt, sie hätte unseriöse oder unmoralische Angebote erhalten. Zuletzt hat sie das wenige Tage vor ihrem Fraktionsübertritt gegenüber dem früheren Landtagspräsidenten Rolf Wernstedt geäußert. Der ist nun wirklich ein Elder Statesman, und wenn der sagt, dass es solche Äußerungen gegeben hat, dann glaube ich das. Aus meiner Sicht müssen nun Frau Twesten und die CDU klar sagen, was da gelaufen ist.
Direkt im Anschluss kam die VW-Geschichte, fast wie nach Drehbuch. Sie sprechen von einer Kampagne. Fängt man da zwangsläufig an zu grübeln, ob so etwas wie eine Verschwörung läuft. Hatten Sie solche Gedanken?
Ja. Und das gebe ich auch gerne zu. Ich glaube nicht an Zufälle. Ich muss nicht über Verschwörungen spekulieren, aber ich muss auch nicht an solche Zufälle glauben. Dass etwas weniger als eine Mücke mit so einer Wucht zu einem medialen Elefanten wird, das ist schon auffällig. Wobei ich gar nicht die Menschen kritisiere, die der Berichterstattung zunächst glauben. Die Automobilindustrie ist sehr in der Kritik, wozu sie selbst kräftig beigetragen hat. Darüber hinaus leben wir in einer Zeit, in der es ein spürbares Misstrauen gegen große Teile der Politik gibt. Dann bedient eine solche Meldung vorhandene Gefühle.
Müssen wir uns in Niedersachsen auf einen schmutzigen Wahlkampf einstellen?
Ich hoffe nicht, aber der Auftakt lässt das schon vermuten. Der Beginn war ein erster Tiefpunkt. Ich hoffe sehr, dass alle Beteiligten jetzt schleunigst merken, dass sie damit auf dem Holzweg sind. Diese Art der politischen Auseinandersetzung führt nur dazu, dass sich viele Menschen mit Grausen abwenden.
Wie wird die SPD unter Ihrer Führung Wahlkampf machen? Sachthemen in den Vordergrund? Echte politische Auseinandersetzung?
Von meiner Seite aus gerne. Und ich halte das auch für dringend notwendig. Wir werden den Blick nach vorne richten und über die Zukunft unseres Landes reden. Und da können wir wirklich gut anknüpfen an unsere Arbeit in Niedersachsen. Wir haben in vielen Bereichen noch Luft nach oben und wollen noch mehr schaffen, aber der eingeschlagene Weg ist richtig.
Keine Nadelstiche Richtung Althusmann als ehemaliger Kultusminister, keine kritischen Rückblicke auf Schwarz-Gelb?
Natürlich werden wir auch daran erinnern, was Schwarz-Gelb zu verantworten hat, zum Beispiel das Turboabitur. Zumal es mit der CDU in der Schulpolitik sozusagen ein Rollback geben würde; die Vorschläge, die der Spitzenkandidat gemacht hat, gehen ganz eindeutig in diese Richtung. Es würde unter anderem an die Verfügungsstunden gehen, was ich für ganz falsch halte. Aber ich wünsche mir vor allem bei der Schulpolitik eine maximale Sachlichkeit. Wahlkampfgetöse hat da nichts zu suchen. Wir wollen alles daran setzen, die Unterrichtsversorgung deutlich zu verbessern, die Ganztagsschulen weiter auszubauen und für ein Gelingen der Inklusion die sogenannten multiprofessionellen Teams weiter aufbauen, um die Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten.
Der Mangel an Lehrern geht auch darauf zurück, dass Schwarz-Gelb bei der Lehrerausbildung nachlässig war. Das wird Ihnen nun in die Schuhe geschoben.
Und an dieser Stelle beginnt für mich beispielsweise die Fairness. Wenn wir uns erinnern, dann richtig. Zu der Zeit hat niemand vorhersehen können, dass wir durch die Flüchtlingskrise rund 36.000 neue Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen bekommen würden. Es gab damals Prognosen, dass die Zahl der Kinder deutlich zurückgehen würde, was sich erfreulicherweise nicht bestätigt hat. Das zusammen hat die Anforderungen an die Lehrerversorgung immens gesteigert. Aber wir haben reagiert und die Anstrengungen für die Lehrerfortbildung deutlich intensiviert. Wir werden die Situation also in den nächsten Jahren verbessern können. Die Weichen sind richtig gestellt.
Ganz zum Schluss noch eine Frage zu Volkswagen und der Verquickung von Politik und Wirtschaft. Können Sie nicht einfach aus dem Aufsichtsrat ausscheiden?
Das möchte ich nicht, und das hat gute Gründe. Warum engagiert sich Niedersachsen bei Volkswagen? Weil etwa eine Viertelmillionen Menschen direkt oder indirekt mit ihrer Existenz an Volkswagen hängen. Die niedersächsische Politik hat diese Arbeitsplätze seit Jahrzehnten immer wieder in zugespitzten Situationen verteidigt und mit dafür gesorgt, dass der Konzern weiter ausgebaut wird. Wir sprechen über den größten Automobilbauer der Welt, den größten Arbeitgeber Europas, das größte deutsche Industrieunternehmen. So ein Unternehmen kann überall auf der Welt agieren, Standorte verlagern, umstrukturieren. Die Politik hat aber immer größten Wert darauf gelegt, dass Volkswagen ein niedersächsisches Unternehmen bleibt und sich hier entwickelt. Das ist in der Vergangenheit sehr erfolgreich geschehen. Nun haben wir seit zwei Jahren eine extreme Situation, in der insbesondere Olaf Lies und ich für uns in Anspruch nehmen, mit äußerster Konsequenz und Beharrlichkeit an der Aufklärung gearbeitet zu haben. Wenn ich mir die Frage stelle, was in der Vergangenheit bei Volkswagen nicht gut gelaufen ist, kann ich nicht erkennen, dass die Politik in Niedersachsen involviert war.
Es gibt die Forderung, man solle jetzt einfach verkaufen.
Das lehne ich ganz strikt ab. Das VW-Gesetz ist entstanden, um den Niedersachsen die Möglichkeit zu geben, Einfluss zu nehmen auf die Struktur von Volkswagen. Das ist unsere Aufgabe und Verantwortung. Der müssen wir uns auch in Zukunft stellen. Ich denke nicht, dass man jetzt aufgrund von irgendwelchen Kampagnen solche bewährten Grundsätze in Frage stellen sollte. Unser Ziel, unser Anspruch aber ist klar: Volkswagen muss sauber sein. Sauber im umfassenden Sinne. Sauber was Umweltwerte angeht, insbesondere auch durch einen starken Ausbau der Elektromobilität. Aber auch sauber, was die inneren Verhältnisse angeht. Was wir jetzt seit zwei Jahren erleben und was Volkswagen in die größte Krise seiner Unternehmensgeschichte geführt hat, das sind auch Ergebnisse einer Unternehmenskultur, die diesen Gesichtspunkt der Sauberkeit gelinde gesagt unterschätzt hat, und das muss sich gründlich ändern. Dafür sorgt seit zwei Jahren auch und gerade die Politik in Niedersachsen. Auf anderer Ebene aber war die Politik in der Vergangenheit in der Tat viel zu lax, beispielsweise bei den Zulassungsvoraussetzungen. Da hat der Bund große Grauzonen zugelassen und diese Grauzonen hat die Industrie bis zum Letzten und teilweise auch darüber hinaus ausgenutzt. Insofern haben Staat und Politik vor allem im Bund durchaus die Aufgabe, auch vor der eigenen Haustür zu kehren.
Interview: Lars Kompa