Almut Breuste – Künstlerin

Ein ehemaliges E-Werk in Ahlem. In der Turbinenhalle und auf dem Außengelände finden sich Anhäufungen von Eisenteilen, Gummischläuchen, -reifen und -matten, Gitterwagen und Regale, die Massen von Riemen, Tauen, Schuhen, industriellen Gütern bewahren. „Kunst? Das ist doch Schrott!“, wird mancher sagen. Doch wenn man den Ort selbst erobert, Fotos, Texte und Gemälde von schemenhaften Menschen entdeckt – dann erschließt sich einem eine ganz eigene Sinnhaftigkeit des Materials, das geordnet, gestaltet und in Beziehung gesetzt wurde. Dieser Kunstort namens ‚RosebuschVerlassenschaften‘ ist das Arbeitsumfeld von Almut Breuste, 46 Jahre alt. Ihr Atelier befindet sich unter dem Glasdach der Kunstkathedrale, über der gigantischen Installation, die Almut und ihr verstorbener Mann Hans in 21 Jahren gemeinsamer Kreativität zusammengetragen und aufgebaut haben. Eine Begehung und ein Gespräch.

Schrott – ja, was ist Schrott? Das fragt Almut Breuste sich und mich, als wir uns durch das Erdgeschoss bewegen. „Das Wort verbinden wir damit, was wir aussortiert haben, was wir wegschmeißen, was wir entsorgen. Und ja; wenn wir die Dinge hier nicht hergeschleppt hätten und in diesen geschützten Raum gebracht hätten, dann wären sie jetzt weg. Von daher trifft Schrott erst einmal schon zu. Aber ein Eisenteil, was erst nur ein Stück Schrott ist, kann auch eine Geschichte erzählen: Dass es für irgendetwas irgendwann einmal hergestellt worden ist, dann nicht mehr gebraucht worden ist, aber; – jetzt aus meiner Sicht – mit der Zeit auch immer schöner geworden ist. Weil die Zeiten eben auch ihre Spuren hinterlassen haben.“ Gerade auf dem Außengelände wird sichtbar, wie die Gezeiten im Jahresverlauf das Material zeichnen, es bearbeiten, verändern. Das Innere der Verlassenschaften scheint mir vielmehr selbst aus der Zeit gefallen: Materialien, Fotos, Gebrauchsgegenstände sind in diesem beeindruckenden Raum nicht antiquarisch verwaltete Zeitzeugen, stiften vielmehr in unvorhergesehenen Anordnungen neue Assoziationen.

Staunend fragt man sich: Wie ist diese raumgreifende Komposition entstanden?
In der Conti Limmer, wo der leidenschaftliche Sammler Hans Breuste Container um Container füllte, bis er und Almut schließlich die Stilllegung erlebten, konnten sie nicht bleiben. Tonnen an Kunstmaterial fanden ein endgültiges Zuhause, als ihnen 1997 die Turbinenhalle des ehemaligen E-Werks Hannover/Ahlem vom Kulturbüro der Stadt Hannover als neues Arbeitsdomizil angeboten wurde. Insgesamt hat die Stadt 447.000 Euro für die Sanierung der Halle investiert, um die RosebuschVerlassenschaften schließlich der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Dieses Ziel war zugleich eine enorme Chance, aber alleine der Umzug eine extreme Herausforderung angesichts der unüberschaubaren Dimensionen des Materials. Hans Breustes Objekt ‚Litzmannstadt‘ (seit den 80ern im Besitz der Stadt Hannover), bildete den ersten Abschnitt der Verlassenschaften. Mit seinen 3000 Lazarettliegen, den Dateikästen, Fotos und Namen nimmt es Bezug auf das Ghetto in der polnischen Stadt Łódz – und ist somit zugleich Hinweis auf das dunkelste Kapitel der Menschheit und dunkelste Seite der Verlassenschaften. Der Bezug zur Zwangsarbeit und zur industriell organisierten Vernichtung, der durch Objekte wie mit Kleinteilen gefüllte Metallpritschen repräsentiert wird – all das macht mich befangen, bedrückt mich, natürlich. Beim ersten Durchgehen sogar sehr. Aber: Aus dem kollektiven Schmerz ist an diesem Ort Kunst geworden. Er wird – nicht mahnend konserviert sondern künstlerisch verarbeitet – zum Bestandteil der Palette vieler Emotionen, die hier in der Luft liegen.

Künstlerin Breuste antwortet auf die Frage nach ihrem Blickwinkel auf die Verlassenschaften: „Wenn wir jetzt von Kunst ausgehen, was immer die Basis und die Voraussetzung ist, und auch die Thematik, die mitschwingt, etwas beiseite stellen, finde ich in dem Material, was sich hier versammelt, eine Schönheit und Ästhetik. Eine, die natürlich nicht der Schönheit entspricht, die uns vorgegaukelt wird durch die Werbung und so weiter. Doch wenn wir unser Leben durchlaufen, werden wir mit Situationen konfrontiert, die wir bewältigen müssen, und die werden auch Spuren hinterlassen an uns. Meine feste Überzeugung ist, dass wir damit nicht unschöner werden, sondern letztendlich schöner – und so ist das mit dem Material auch. Gerade junge Menschen, aber auch alte sehr gerne, dahin zu führen, dass die Dinge so betrachtet werden können, das finde ich wichtig. Sich dem zuzuwenden, was wir nicht mehr sehen (wollen), dem wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Und: Der Mensch hat ja alles produziert, was wir hier sehen, da steckt enorm viel drin; unsere Ideen, unsere Energie, auch sehr viel Liebe. Auf der anderen Seite dann die dunkelste Seite dessen, zu was der Mensch eben auch fähig ist; die Vernichtung ganzer Gruppen von Menschen, die er zu Schrott erklärt hat. Das kommt hier alles zusammen.“

Zwischen all dem: Almuts Bilder. Menschen. Gesichtslos aber dennoch bekannt, verlassen, vertrieben, auf der Flucht? Nicht mehr. Hier haben sie ihren Ort gefunden. Und stehen als Beweis der menschlichen Kreativität als Fingerzeig auf das, was hier auch zu erfahren ist: Erfindergeist, Schaffenskraft, Metamorphose, Hoffnung. Die Künstlerin macht auf ein weiteres Gefühl aufmerksam: „Die Dinge sind sehr verlässlich, die sind einfach da. Ich habe mal einen Text gelesen, da kam das Wortspiel vor: Verlassen werden und sich verlassen können. Da merkte ich plötzlich: Nein, es ist nicht interessant, verlassen zu werden – da muss man mit zurecht kommen – sondern es ist interessant, sich verlassen zu können. Kann ich mich auf mich verlassen, wo kann ich mich auf andere verlassen – das ist das Spannende. Und all das lebt auch in dem Namen ‚Verlassenschaften‘.“

Es gab verlässliche Weggefährten, und zum Glück bekam und bekommt sie Hilfe, wenn ganz konkret Aufgaben anstehen, die kein Mensch alleine bewerkstelligen könnte. Durch ihre zwei erwachsenen Kindern, viele befreundete Helferhände, und durch Langzeitarbeitslose, die ihr die VHS-Hannover Land seit Jahren vermittelt. Almut erzählt beispielhaft vom Frühjahr, als sie einen Container Gummi von 9,38 Tonnen weggegeben hat – zu solchen Einsätzen kommen die Helfer zu sechst oder zu zehnt, berichtet sie: „Das ist enorm, was man dann schafft. Teilweise kommen sie über die Jahre immer wieder – und freuen sich genauso wie ich, weil wir immer eine gute Zeit zusammen haben und gemeinsam richtig was schaffen, was bewegen. Auch die schönen Räume, wo jetzt die Schülergruppen arbeiten können – das wäre alles ohne die Helfer komplett undenkbar gewesen.“

Die Halle an sich ist jetzt auf einem guten Stand, darum hat Almut Breuste das Anliegen, sich nun endlich wieder mehr der Malerei zu widmen. Um Kunst zu schaffen, die rein gar nichts mit all dem hier zu tun hat? „Auch die Bilder, die jetzt in den Verlassenschaften stehen, sind nicht für diesen Ort konzipiert worden. Dass sie thematisch so gut hier rein passen – das ist kein Zufall, das ist ganz klar; einfach, weil unsere Arbeit immer eng verknüpft gewesen ist. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen finde ich es sehr schön, dass sie sich hier so einfügen, als ob sie für hier entstanden sind. Ohnehin ist das oftmals der Trugschluss, dass der Besucher denkt, wir hätten uns das so ausgedacht im Vorhinein. Aber da gab es nie einen Plan im Voraus, deswegen darf und wird das Material auch immer mal wieder einen neuen Standort bekommen. Und es werden auch immer wieder Dinge verschwinden, die eben nicht ihren Platz gefunden haben.“

Zukünftig möchte sie die Verlassenschaften noch stärker für Schüler öffnen, und zwar auch die 14 vollen Überseecontainer, deren Inhalt noch der Wiederentdeckung harrt. „Dann können die Jugendlichen die Gegenstände herausnehmen, zueinander stellen und -legen, und dann schauen; was entsteht daraus für eine Geschichte. Vom Theoretischen weg kommen, hin zur Umsetzung, zum Künstlerischen. Überhaupt, mit Materialien Umgang haben – das ist aus unserem Alltag ja schon fast verschwunden, aus der Arbeitswelt auch. Da mal zu erfahren, wie ist das, wenn ich was in die Hand nehme, ein Stück Eisen, wie viel wiegt das, wie fühlt sich das an, wie riecht das, und dann den Bezug zur Industriearbeit zu bekommen – auf solche Aktionen freue ich mich. Ich bin auf der Suche nach Lehrern, die Lust haben, die Schule zu verlassen, die Freude daran haben, praktisch zu arbeiten, die Anregungen aus dem Umgang mit dem Material zu nutzen. Die auch offen sind dafür, mit ihren Schülern gemeinsam neue Erfahrungen zu machen – und auch über ihre Schüler Neues zu erfahren. Da öffnen sich ganz neue Zugänge, wenn es sowieso keine Schubladen gibt, in die man die Erfahrungen hier einsortieren kann.“

Interview und Fotos: Anke Wittkopp

Rosenbuschweg 9, 30453 Hannover
(nach der Bahnunterführung
links abbiegen in den städtischen Werkhof)  
Tel. (0511) 79 46 78
info@rosebuschverlassenschaften.de
www.rosebuschverlassenschaften.de
Öffnung: jeden 1. Freitag und Samstag im Monat, 15-19 Uhr, Winterpause: Dezember, Januar und Februar


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