Gero Drnek

drnek01Als der liebe Gott am 6. August 1960 erwachte, stellte er fest, dass er sein Kontingent an Kreativität und Talent noch nicht ganz ausgeschöpft hatte. Er sah sich auf der Erde um, fand ein Neugeborenes und sagte zu ihm: „Da, nimm!“ Gero Drnek spielt so ziemlich jedes Instrument, das man ihm hinstellt, mehrere davon nahezu virtuos. Das machte ihn fast zwanzig Jahre lang zur Geheimwaffe von Fury in the å und zahllosen anderen Bands und Projekten. Als Musiker ist er immer noch aktiv, komponiert, produziert und tritt auf. Nebenbei macht er Fotos und kocht. Alles hochklassig. Irgend­etwas nur „ganz okay“ zu können, scheint keine Option zu sein. Wo nimmt einer mit solch einem Output den nötigen Input her?

Wenn man ständig neue Ideen hat, koordiniert man die dann irgendwie, damit man nicht darüber stolpert? Wenn ja, wie? Gibt es da ein Ablagesystem?
Gar nicht. Geht ja auch gar nicht, sonst wäre es ja nicht kreativ. Da gehört schon ein bisschen Chaos mit dazu, das muss man zulassen können. Generell ist Kreativität keine Sache, die man lernen, steuern oder gar bremsen kann.

Hast du noch nie eine Blockade gehabt?
Nö. Ich hab Musik auch schon rückwärts abgespielt, weil sie vorwärts nicht funktioniert hat, und dann geschaut, ob mir dazu was einfällt. Wenn’s nicht das eine ist, ist es das andere. Beides. Immer.

drnek02Wo nimmst du deine Inspiration her? Was beflügelt dich, was langweilt dich?
Erstmal sauge ich alles ungefiltert auf, Neues, Bekanntes, Seltsames. Auch in der Repetition kann ja Potenzial für Neues liegen. Dinge können mich zwar stören, aber nicht langweilen. Was nervt, lässt sich ja auch irgendwie verwerten.

Hast du dich je mit Neid auf deine Schaffenskraft und deinen Ideenreichtum konfrontiert gesehen?
Schon. In erster Linie mit Unverständnis, woraus oft Neid entsteht und im Regelfall eine stumpfe Ablehnung resultiert. Ablehnung in Bezug auf das Neue, das mein Gegenüber dann oft nicht kapiert: „Drnek, du bist doch völlig irre!“ Wenn man eine allgemein genannte Aufgabenstellung kreativ betrachtet, kommen da eben auch Dinge bei heraus, die alle anderen vielleicht als abstrus und nicht durchführbar abtun. Aber das Prinzip der Nachvollziehbarkeit gilt eben für Mathematiker und nicht für Künstler. Da muss ja alles gar nicht immer so linear sein. Man darf einfach nur keine Angst vor seinen eigenen Ideen haben und kann das ganze wirre Zeug auch ruhig mal anbieten. Obwohl man dann vielleicht wieder Drnek, der Irre ist.

Wie viele deiner Ideen setzt du durchschnittlich um? Wie viel wird verworfen?
Sagen wir mal, ich arbeite extrem dicht am Papierkorb. Und wenn ich mir irgendwas nicht merken kann, ohne es notieren zu müssen, ist es die Notiz meist nicht wert. Vieles hat auch so ein Vorecho, blubbert mir jahrelang im Kopf rum und irgendwann flatscht es raus und man prüft, ob es klappt.

drnek03Glaubst du, dass man auch dann ein guter Künstler, beziehungsweise Musiker sein kann, wenn man nicht in höchstem Maß kreativ ist?
Meinst du jetzt Musiker oder Musikant? Ein erfolgreicher Musikant, das geht. Dafür kann man sich der gängigen Bilder und Tonfolgen bedienen. Dann ist man aber eher Musikant als Musiker. Oder bestenfalls ein Eklektiker, der bereits Dagewesenes auf ein anderes Level hebt. Die Übergänge sind fließend. Da kann man auch aus einem simplen Nachspielen was ganz Originäres machen. Allerdings müsste man jetzt wieder differenzieren zwischen Ideenreichtum und tatsächlicher Kreativität… Meiner Ansicht nach jedenfalls kann man nur dann ein herausragender Musiker sein, wenn man höchst kreativ ist. Das würde ich allerdings für mich nicht beanspruchen.

Nicht?
Nein. Ein Songbook zum Beispiel ist nur so gut wie sein Musiker. Es kommt nicht auf die Reihenfolge oder das Tempo an, sondern auf die Absicht. Und was die angeht: Wenn die Bereitschaft da ist, alles auszuloten, was geht, kann das funktionieren. Nimm die Evergreens. Opus, „Life is life“ – ein Scheißlied! Aber wenn man den ganzen Schrott weglässt und das auf ein Minimum runterbricht, ist das irgendwie catchy. Und schon allein damit hat der Verfasser schwer was richtig gemacht. Du musst die Leute halt kriegen mit dem, was du machst. Insbesondere in der Musik. Oder der Fotografie.

drnek04Wieso ist das deiner Meinung nach dort anders als bei anderen Kunstformen?
Na ja, in der bildenden Kunst zum Beispiel, da frierst du den Augenblick ein. Dafür kannst du dir aber Zeit lassen, so viel du willst. Beim Fotografieren musst du zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf den richtigen Knopf drücken. Das ist schon schwieriger. Aber bei Musik, besonders Livemusik, oder Improtheater ist das anders. Da spielt auch der Parameter Zeit eine große Rolle. Du kannst ja nicht ewig rumdudeln, hast keinen zweiten Versuch. Da lebt deine Performance von plötzlichen Einfällen, menschlichen wie technischen Fehlerquellen und Einflüssen von außen. Deshalb halte ich Livemusik für wertiger als eine Studioaufnahme. Das muss halt einfach sitzen. Deine eigene Skulptur kannst du dir immer wieder angucken, bewerten, ändern, selbst dein Zuschauer sein. Wenn du was kochst, kannst du es gleich danach essen. Aber du kannst nie gleichzeitig Musiker und Rezipient sein.

Hast du Vorbilder?
Menschlich habe ich welche. Es gibt viele Künstler, die mit dem Medienrummel gut klar kommen und bei denen das Menschliche obsiegt. Je normaler und authentischer die Leute bleiben – egal in welchem Genre – desto kreativer können sie meines Erachtens sein. Das Musikalische betreffend eher nicht. Ich will ja niemandem nacheifern. Ich spiele so viele Instrumente, da gibt‘s natürlich überall irgendwelche Helden. Aber für mich sind die alle eher Inspiration als Vorbild. Das wird dann auch so mannigfaltig, dass man den Eindruck hat, zwar gut inspiriert zu sein, aber gar nicht voran zu kommen. Wenn ich heute was auf der Gitarre lerne, hilft mir das ja morgen beim Bassspielen nicht zwangsläufig. Aber das Spektrum wird stetig breiter. Und man lernt nie nur für ein Instrument, man verknüpft. Irgendwann kann man sich dann die retrospektive Frage stellen, ob man sich verbessert hat, beziehungsweise seine Inspiration genutzt hat. Insofern ist Kreativität auch irgendwo eine Transferleistung. Das passiert im Kopf und der Rest ist nur Handwerk.

 Interview und Fotos: UM


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