Louise Miekse verzweifelt vor sich hin. Sie ist Ende dreißig, verheiratet, hat zwei Kinder und seit einiger Zeit das Gefühl, dass nichts mehr so richtig stimmt. Die bisher so vertraute Louise, die Louise im Spiegel, kommt ihr plötzlich beunruhigend fremd vor – abgesehen vom Doppelkinn und der nicht totzukriegenden Wuchskraft der Augenbrauenhaare. Aber der Rest? Aus einem kolossalen Gedankensalat wird eine waschechte Identitätskrise, die sie nicht wahrhaben will. Doch nach einer rätselhaften und folgenreichen Begegnung mit ihrem Spiegelbild und einer Packung Kichererbsen beschließt Louise, auf Spurensuche zu gehen.
Louises Laune ist mies. Allein vorm Spiegel forscht sie in sich hinein, aber findet kein schuldfähiges Vorkommnis: „Ich werde nicht betrogen, niemand ist ernstlich krank, unser Konto klagt, aber rafft sich immer wieder auf. Was ist los? Ist was los?“ Es ist nicht die viele Zeit, die sie bald zur Verfügung haben wird, wenn auch ihr zweites Kind ganztags in die Kita kommt. Es ist nicht der Lebenslauf, der einem nicht sehr kunstvollen Patchwork-Quilt ähnelt und unter Berufsrückkehrern das Premiumsiegel „katastrophal“ innehat. Und es ist nicht eine wiederaufkeimende Sehnsucht nach zwischengeschlechtlichen Abenteuern und pubertären Märchenprinz-Quests. Aber was ist es dann?
Neben dieser Frage beschäftigt Louise hobbymäßig die Selbstzuweisung von Schuld. Dafür, dass sie Nachbar Jobe – Gutmensch, Alleskönner und Haussympath – kaum ertragen kann. Dass sie es trotz Unwohlgefühl und Fotolinsenpanik einfach nicht schafft, ihrer Sportfeindlichkeit zu entkommen. Und, dass sie keine Antworten findet. Dafür aber jede Menge Fragen und Beobachtungen, über die sie nachgrübeln muss – und mit ihr der Leser. Wir begleiten Louise – wie ein „Gast in einer Parallelwelt“ immer halb in Gedanken, halb ansprechbar – wenn sie sich ihre Lebenswahrheiten aus dem Alltagsgeschehen herausfiltriert und dabei ihren Sorgen und Nöten auf den Pelz rückt. Und auf ihrer charmant-skurillen, traurig-trotzigen, liebevoll-poetischen Reise in die Abgründe der eigenen Identität blitzt einem so manches Mal das eigene Bild auf…
„Manchmal ist das Leben unhandlich“ ist aber nicht nur ein Fundus an Selbstbefragungs- und Denkanstößen. Eva Horters Roman hangelt sich von Überraschung zu Überraschung. Erzählt in einem angenehm lebensnahen, wortspaßigen Ton verwickelt sie den Leser in eine leise dahinglucksende Alltagsgackerei, um dann im richtigen Moment ein „AAALTER! LECK‘ MICH AM ARSCH!“ dazwischen zu schießen. Dabei findet sie für jede von Louises illustren Lebenslagen immer das perfekte Bild, mal scharfsinnig bis zum Witz, dann melancholisch treffend wie ein Spritzer Badspray ins Gesicht. „Eine Art Atombombe für Badeschmutz“, wie die Protagonistin mit Genugtuung feststellt – und leichtem Schuldgefühl gegenüber der Spinne. „Dürfen Buddhisten eigentlich Spinnweben entfernen? Ameisenhaufen umgraben und Maulwurfshügel plattkloppen? … Ach Louise, wer bist du denn bloß, außer wahrscheinlich kein Buddhist?“
Eva Horter, 1974 in Bochum geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Luxemburg auf, wo sie nicht nur Erbsen und Stachelbeeren aus Nachbars Garten stibitzte, sondern auch über die Welt und ihre Bewohner nachdachte, Gedichte schrieb und Romanplots ersann. Nach dem Studium der Soziologie, der Philosophie und der Romanistik in Bonn untersuchte sie einige Jahre in Dortmund die Kapriolen und Bizarritäten des Lebens. Heute lebt, arbeitet und forscht die Autorin in Hannover.
Anja Dolatta
Manchmal ist das Leben unhandlich
von Eva Horter
217 Seiten
Éditions Phi
Luxemburg 2016
ISBN: 978-99959-37-12-6