Christian Friedrich Sölter

Seit vielen Jahren – um genauer zu sein: Jahrzehnten – mischt Christian Friedrich Sölter in der subkulturellen Szene Hannovers mit. Den Ruf als „Hannovers ungeschlagener Kurzgeschichten-Großmeister“ hat der 46-jährige Lindener bereits weg, doch er ist nicht nur literarisch unterwegs. Auch mit der Musik und als Programmchef des Béi Chéz Heinz verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Ein echtes Multitalent, der die Balance zwischen schnodderig und charmant zu halten vermag und wie gemacht ist für die Bühne.

Christian Friedrich Sölter kennt sich aus mit der Subkultur. Als 1. Vorsitzender und Programmchef des Béi Chéz Heinz, Lindens berühmt-berüchtigtem Underground-Club, hat er mit einer Menge Konzerten, Lesungen und anderen Veranstaltungen fernab des Mainstreams zu tun. „Ein wichtiges Standbein, um mich als freier Künstler über Wasser zu halten“, erzählt Sölter. „Vor vielleicht 15 Jahren hatte ich mal so eine Phase, in der ich versucht habe, komplett vom Lesen und der Musik zu leben, aber da war der Monat finanziell schon am 12. vorbei.“ Der Vorteil: Er muss sich nicht verbiegen, um sein Geld zu verdienen, und kann genau das tun, wozu er Lust hat.

Mit dem Schreiben angefangen hat Sölter schon als Jugendlicher, im Alter von 17 Jahren stand er mit Politkabarett auf der Bühne. „Kurioserweise wurde aus diesem Projekt eine Band und ab diesem Zeitpunkt hatte ich mehr mit der Musik zu tun“, so Sölter. Nach besagter Band namens Kühlwalda folgten noch viele weitere. VEB Erdmöbel hieß eins seiner ersten Musikprojekte. Später stieg Sölter in Wunstorf bei der Hardcoreband Shreds And Laughter ein. Mit den Hippiehunters entdeckte er seine Leidenschaft für Ska, aus denen schließlich Hammerhai entstand, dessen Frontmann er noch heute ist und mit denen er sporadisch Auftritte hat. Aktuell ist außerdem seine Band Sultan (18.07., Die Große Welt), die sich dem 70er Jahre Hardrock-Cover verschrieben hat, sowie das Duo Sölter & Kirleis, mit dem er sich zusammen mit Holger Kirleis musikalisch auf ein ganz neues Feld gewagt hat: Chanson-Punk.

Ähnlich vielseitig sieht auch Sölters Weg als Literat aus, denn neben dem Schreiben von Songtexten verfasst er seit jeher Kurzgeschichten, die er entweder auf Einzellesungen, ab und an auf Poetry Slams oder aber bei seiner eigenen Lesebühne „Die Überholspurpiraten“ (18.06., Faust-Warenannahme) zum Besten gibt. Letztere gibt es sogar zweimal. „Wir haben ja mittlerweile eine ‚Lesebühnen-Außenstelle‘ in Helmstedt – mit einer etwas anderen Besetzung. Mit dabei sind Henning Chadde, Dominik Bartels und meine Wenigkeit. Alle drei Monate treten wir im ‚Pferdestall‘ auf und es ist immer ausverkauft“, erzählt Sölter. „Hier in Hannover haben Henning und ich seit letztem Jahr einen neuen Mitstreiter, nämlich Andy Strauß, der mit seiner verrückten Art die Leute noch einmal ganz anders abholt als wir beiden langjährigen ‚Residents‘.“ Mittlerweile blicken die Überholspurpiraten auf 40 Veranstaltungen zurück. Neben „fangfrischen Kurzgeschichten“, „messerscharfen Beobachtungen zum aktuellen Tages-, Medien- und Kulturgeschehen“ und der „Dichterey auf Zuruf“ überraschen die drei literarischen Freibeuter ihre Gäste mit allerlei neckischen Spontan-Gimmicks. Am 18. Juni ist es wieder soweit, ab 20 Uhr werden in der Faust-Warenannahme die Anker gelichtet. Schon mit der Heavy-Listening-Literatur-Lounge Kasulkes Sprechstunde, die Sölter wiederum zusammen mit Henning Chadde zwischen 2005 und 2010 im Béi Chéz Heinz veranstaltete, sorgte er für frischen Wind in der Literaturszene Hannovers. Doch die Trends verändern sich, auch im Bereich der Literatur und der Lesungen. Was gestern noch hip war, ist heute bereits überholt. Und so ist vielleicht auch zu erklären, warum die literarische Hochphase, die noch vor etwa zehn Jahren vor allem Linden ergriffen hatte, ein wenig abgeflaut ist. Der Hype um Poetry Slams, damals noch relativ neu in Hannover, und selbst einige gut laufende Lesebühnen sind heute verschwunden. „Es ist ja immer der Odem des Neuen, der spannend ist. Gerade in der alternativen Subkultur muss man sich immer neu erfinden. Tatsächlich war es eine Zeit lang ziemlich schrill. Damals kam man manchmal sogar auf 30 bis 40 Konkurrenz-Lesungen an einem Abend in Hannover. Hipster-Blogs schreiben, das ist das, was die Leute gerade voll abholt. Ein bisschen Gender, ein bisschen politisch, aber nicht zu viel, ein biss­chen Lifestyle…“

Im November letzten Jahres erschien Sölters Kurzgeschichten-Band „Die Karawane der Papiertiger“ – eine gelungene Mischung aus alten und neuen Geschichten. Hier zeigt der erfahrene „Kurzgeschichten-Großmeister“ nicht nur seine witzig-lakonische Seite, die das Groteske des Alltags auf den Punkt bringt, sondern schlägt auch durchaus ernstere oder gar mysteriöse Töne an. Ohne dabei die für ihn typische Mixtur aus elaboriertem Sprachcode und einer charmanten Rotzigkeit zu verlieren. Auch zu der Lindener Anthologie „Ver[w]ortungen“ steuerte Sölter einen Text bei und schrieb ganz aktuell für Bodo Dringenbergs Anthologie „Ein Pils, ein Sekt, ein Todesfall“ seinen ersten Kurzkrimi.

Ob auf der Bühne oder im Buchformat – Christian Friedrich Sölter sollte man sich mal geben, denn der Mann versteht es, mit seiner liebenswerten, schnoddrigen Art und einer dicken Portion Leidenschaft bestens zu unterhalten.

Katja Merx

Foto: Sterni Harke

Die Karawane der Papiertiger
Blaulicht Verlag (www.blaulicht-verlag.de)
Taschenbuch, 176 Seiten, 9,90 Euro


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